Kurzer Rock, Make-up, Feminismus
Clementine Creevy fordert in ihren Songs als Cherry Glazerr die Gleichstellung von Mann und Frau. Auf ein weibliches Äußeres wolle sie dabei nicht verzichten. Den Weg dafür hätten die Riot Grrrls der 90er geebnet. Zu ihnen hat Cherry Glazerr ein zwiespältiges Verhältnis.
Martin Böttcher: "Millennial Punk Feminist Icon" hat mal das "Vice"-Magazin Sie genannt. Was empfinden Sie dabei, wenn Sie so etwas hören, wenn Sie so etwas über sich lesen?
Clementine Creevy: Oh mein Gott! Ich habe das Gefühl, dass ich da so eine Lücke ausfüllen muss. So viele Leute denken, dass ich total großartig wäre. Bin ich aber gar nicht. Im Ernst: Ich versuche, nicht so viel darüber nachzudenken. Mich nicht um die Labels zu scheren, die mir andere verpassen. Ich habe viele Facetten, und ich habe dieselben Probleme wie alle anderen auch. Aber ja: Ich bin eine Feministin, seit meinem 17. Lebensjahr, seit ich das hier verstanden habe: Feminismus beschreibt die Theorie von politischer, ökonomischer und sozialer Gleichstellung von Mann und Frau. Eine Theorie, die doch die meisten Männer und Frauen unterschreiben sollten und auch würden. Da ist es also nichts Besonderes, dass ich eine Feministin bin.
Und klar: Ich mache Punk-Musik. Ein Millennial bin ich auch. Obwohl: Eigentlich gehöre ich zur Generation Z, habe ich gehört.
Böttcher: Punk auf der einen Seite, Feministin auf der anderen Seite – damit können Sie ich identifizieren. Punk heißt ja immer noch, sehr wütend zu sein. Sind Sie auch als Feministin nach wie vor sehr wütend, darüber, dass es eben diese Gleichstellung von Mann und Frau immer noch nicht gibt?
Creevy: Ich finde es gut, dass ich meinen Ärger in der Musik rauslassen kann. Auf der Bühne kann ich nicht anders, als durchzudrehen. Die Bühne ist mein Safe Place. Da kann ich alles rauslassen, was sich über den Tag, die Woche oder die Jahre angestaut hat. Viele dieser Gefühle kommen vom Selbsthass, von der Unterdrückung, tief in mir drin. Also, mir geht es gut, keine Sorge. Ich glaube, die meisten Frauen können verstehen, was ich meine – diese Dinge, in die man von der Gesellschaft reingedrückt wird.
"Mein Vorbild ist Ozzy Osbourne"
Böttcher: Sehen Sie sich denn eigentlich noch so in der Tradition der Riot Grrrls, also dieser feministischen und kulturellen Bewegung, die sich eben gegen dieses typisch Männliche - Bühnenshows zum Beispiel – wendet, gegen das Rockistische, gegen das Ungleichgewicht von Männern und Frauen?
Creevy: Irgendwie schon. Was mir an den Riot Grrrls sehr gefällt, ist … Die Riot Grrrls waren eine Bewegung der 90er, die Frauen haben damals den Punk für sich reklamiert. Das hätte ruhig etwas intersektionaler ablaufen können. Heute zum Beispiel gibt es eine neue Bewegung, mit Bands, die von braunen, von schwarzen Frauen angeführt werden, zum Beispiel T. Rextasy.
Aber was mir an den Riot Grrrls von damals gefällt: Die haben innerhalb der Punk-Szene die Weiblichkeit für sich behauptet. In der ersten und zweiten Feminismuswelle hieß es: Verneine deine Weiblichkeit, wenn du Feministin sein willst. Diese Feministinnen haben dann zum Beispiel Hosen statt Röcke getragen, haben das Make-up weggelassen, mit dem Ziel, dadurch genauso wie Männer behandelt zu werden. Die Riot Grrrls der 90er dagegen dachten sich: Ich will dieselben Rechte wie ein Mann haben, verzichte aber nicht auf meinen pinken Stiefel, aufs Make-up oder die kurzen Röcke.
Und das gefällt mir. Weil ich nicht daran glaube, dass man möglichst maskulin sein muss, um gerecht behandelt zu werden.
Madonna? Problematisch!
Böttcher: Lassen Sie uns über eine andere Frau der Popgeschichte sprechen, wo vielleicht diese Wiedersprüche auch zwischen Äußerem und dem, was man so für einen Anspruch hat, ganz gut zu Tage kommt. In Ihrem Video zum aktuellen Song "Wasted Nun", da erinnern Sie etwas an Madonna, die ja auch so mit ihren Outfits von Nonne bis Reizwäsche gespielt hat. Die hat gerade ihr 13. Studioalbum angekündigt, sie ist 60 Jahre alt. Was halten Sie als 22-Jährige von Madonna?
Creevy: Madonna hat ein paar ganze gute Songs, das auf jeden Fall. Und sie ist cool. Aber Bell Hooks, diese großartige feministische Autorin, hat ein tolles Essay über Madonna geschrieben. Sie beschreibt darin, dass sich niemand so sehr anderer Kulturen bedient wie Madonna, also kulturelle Aneignung betreibt. Und ich glaube, das macht Madonna problematisch.
Trotzdem: Man kann ja bestimmte Eigenschaften eines Menschen kritisieren, andere Dinge aber total toll finden. Und so geht es mir mit Madonna; einige Songs von ihr liebe ich einfach. Als Role Model würde ich sie aber nicht unbedingt bezeichnen. Mein Vorbild ist Ozzy Osbourne.
Böttcher: Das kam überraschend. "Stuffed And Ready" heißt Ihr neues Album, also in etwa "vollgestopft und bereit". Auf dem Cover sieht man Sie mit der Gitarre in der Hand, ein Stück Torte im Mund. "Stuffed" kann ja viele Bedeutungen haben, vom Essen bist zu etwas satt haben. Wie genau ist das bei Ihnen gemeint? Vielleicht sogar politisch?
Creevy: Ja. Der Name "Stuffed And Ready" ist mir eingefallen, als ich alleine mit dem Auto in der Wüste unterwegs war. Das Album war zu dem Zeitpunkt fast fertig. Es gab eine riesige Liste mit möglichen Namen: "A Gackle of Bungaloos" war einer, "Bad" ein anderer. Nichts davon erschien mir aber passend. Platten Namen zu geben ist überhaupt das Schwerste. Schreiben und Aufnehmen fällt mir leicht, einen Namen finden ganz und gar nicht. Ich finde ja, ein Titel sollte einfach gut klingen, er sollte lustig sein, man sollte ihn gut aussprechen können.
Wie dem auch sei, ich war also in der Wüste unterwegs. Und plötzlich war der Titel da: "Stuffed And Ready". Fand ich super. Und mit dem Namen hatte ich auch gleich das passende Konzept zum Album gefunden. Wenn man vollgefressen ist, also stuffed, dann fühlt man sich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. Man will einfach nur auf dem Sofa liegen. "Stuffed And Ready" bezieht sich demnach darauf, dass man sich eigentlich nicht in der Lage sieht, irgendwas zu machen, es dann aber trotzdem tut. Weil es einfach keinen Sinn ergibt, rumzusitzen und auf den perfekten Moment zu warten.