Programmtipp: Am 24. August senden wir "Too Old to Die Young", ein Feature über Punks der ersten Stunde und das Älterwerden.
Geschichte wird gemacht
07:33 Minuten
Punk ist die gelebte Verweigerung gegenüber Kommerz und Eliten. Doch auch in diesem Bereich häufen sich mittlerweile edel aufgemachte Wiederveröffentlichungen klassischer Alben. Wie geht das zusammen? Der Amerikanist Martin Butler hat dazu geforscht.
Punk, das stand einmal für Verweigerung und Authentizität, für Skepsis gegenüber der Musikindustrie und ausgestelltem Virtuosentum. Drei Akkorde müssen reichen, mehr als "Billigverstärker und Kaufhausgitarren" (wie die Berliner Punkband Terrorgruppe einst sang) braucht es nicht, um als Band die Bühnen zu erobern.
Die Folge: ein meist grottiger Schrabbelsound. Doch gerade den empfindet die Szene als besonders authentisch.
Die Popkultur archiviert sich
Der aktuelle Musiktrend, Klassiker der Rockgeschichte in aufwändig neu abgemischten Luxusausgaben erneut auf den Markt zu bringen, macht allerdings auch vor Punk nicht halt. Mit digitaler Studiotechnik auch das letzte bisschen an hochauflösender Qualität aus aufwändigen Rockproduktionen herauszukitzeln, das passt zwar gut, wenn die Bands Pink Floyd oder Alan Parsons Project heißen, aber im Fall des typischen Punksound wirken solche Gesten der Veredelung eher widersprüchlich.
Punk und Audiophilie, Punk und Kanon - geht das zusammen? Mit solchen Fragen befasst sich Martin Butler in seinem Vortrag beim Online-Workshop "Re-Make, Re-Model, Re-Issue – Formen und Funktionen der Wiederveröffentlichung von Pop-Musik".
Die Popkultur wendet sich seit einiger Zeit der eigenen Geschichte zu, um diese zu archivieren, beobachtet der in Oldenburg lehrende Amerikanist, der seit einiger Zeit zum Thema Authentizität und Nostalgie in der Popkultur forscht.
Die Form des "Re-Issues", also der meist luxuriös ausgestatten und aufwändig restaurierten Wiederveröffentlichung klassischer Alben, sei hierbei auch im Punk naheliegend.
Wer bestimmt die Punk-Klassiker?
In der Szene sei das allerdings umstritten, erklärt Butler: Klangpuristen wittern Verrat am Original. Andere betonen, dass das ursprüngliche Klangerlebnis gerade erst in der digitalen Neuabmischung im vollen Umfang ermöglicht werde: "Da wird das Analoge durch das Digitale in seiner Ursprungsform erst hörbar, auch dieses Argument gibt es."
Aber wie rückt ein Punk-Album überhaupt in den Klassikerstatus auf? "Das hat sicher damit zu tun, wer wann wie an welchem richtigen Ort war und durch welche Magazine oder Labels dann gefeaturet worden ist", sagt Butler.
"Das hat damit zu tun, dass bestimmte Institutionen im Punkbetrieb, wie zum Beispiel die Zeitschrift 'Maximumrocknroll', nur bestimmte Bands besprochen haben und diese Bands vor dem Hintergrund dann auch einen Platz im subkulturellen Gedächtnis erhalten haben. Das heißt, es gibt auch da Institutionalisierungsprozesse, die es ermöglichen, dass bestimmte Bands erinnert werden und andere in der Versenkung verschwinden."
Ein Bewusstsein für die eigenen Wurzeln
In solchen Prozessen sieht Butler eine voranschreitende Historisierung von Punk: Die Subkultur, die unter dem Leitmotto "No Future" einst nur das Hier und Jetzt betonte, gebe sich selbst eine Geschichte, unterscheide zwischen Epochen und Revivals und lade diese Geschichte dadurch mit Bedeutung auf. Auch die im Zeitalter von Streaming zugespitzte Aufmerksamkeitsökonomie spiele hierbei neben einem gestiegenen Bewusstsein für die eigenen historischen Wurzeln eine Rolle, so Butler.
Der Amerikanist selbst hält es in seinem Alltag übrigens pragmatisch: Dem digitalen Klangerlebnis von heute ist er zwar durchaus zugewandt, aber die alten Demo-Kassetten seiner Band von früher holt er dennoch immer wieder mal gerne aus dem Schrank.
(thg)