Punkerlook oder Nobelklamotten

05.02.2009
"Schönheit kommt von innen" - sagt sich so leicht, entspricht aber häufig nicht der ganzen Wahrheit. Denn die ist, dass man Schönheit auch nachhelfen kann: durch Schminke, Tätowierung, Frisuren, Magerwahn, Schönheitsoperationen, Pflegeprodukte für Männer und Fotographie. Dem komplexen Phänomen geht nun die Kulturwissenschaftlerin Annette Geiger nach und öffnet dabei den Blick auf andere Kulturen.
"Schneeweißchen und Lippenrot" - "Dürfen sich Nonnen eigentlich schminken?" - "Vidal Sassoon und die späte Moderne" oder auch: "Gesichter des Schreckens - Heavy Metal und die dunkle Seite der Schminke". Texte mit so schönen Titeln muss man einfach lieben. Man findet sie in dem von Annette Geiger herausgegebenen Sammelband "Der schöne Körper. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft".

Aber nicht nur die Titel sind wunderschön - es ist ganz allgemein ein überaus anregendes Buch. Die Autoren gehen darin der Schönheit und ihrer Herstellung nach - durch Schminke, Tätowierung, Frisuren, Magerwahn, Schönheitsoperationen, Pflegeprodukte für Männer, Glamour-Photographie ... Per definitionem ist es damit ein kulturwissenschaftliches Buch: Wer so über die Herstellung von Schönheit redet, der kann nicht wie manche Naturwissenschaftler von einer eindeutigen natürlichen Gegebenheit und einer klaren evolutionsbiologischen Funktion der Schönheit ausgehen.

In ihrer informativen Einführung kritisiert Annette Geiger - Kulturwissenschaftlerin und seit 2007 Inhaberin der "Wella-Stiftungsprofessur" für "Mode und Ästhetik" an der Technischen Universität Darmstadt - denn auch die evolutionstheoretische Reduzierung von Schönheit beim Menschen zum bloßen Faktor für den Vermehrungserfolg; die arg simple These, dass schöne Menschen eher einen Sexualpartner abkriegen und darum ihre Gene leichter weitergeben könnten. Dafür ist das Phänomen dann doch zu komplex, hat zuviel mit Kultur, Kunst, Mode zu tun. Schönheit wird zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen ganz anders aufgefasst - wer würde heute noch eine griechische Nase, das Schönheitsideal der Antike, wollen?

Vor allem aber kennen fast alle Kulturen eine Fülle von Techniken, mit denen der Schönheit nachgeholfen wird. Manche können, wie etwa Tätowierungen, Zeichen des Besitzes sein, die meisten haben etwas mit Identität und Selbstdarstellung zu tun. Gerade Mode ist diesbezüglich äußerst interessant: zugleich kollektiv vorbestimmter äußerer Zwang und Medium der individuellen Selbstfindung und des individuellen Selbstausdrucks - vom überbraven Strickjäckchen bis zum gepiercten Punkerlook.

Viel Wissenswertes erfährt man auch in den folgenden Beiträgen: Dass es Lippenrot in Stiftform erst seit 1883 gibt; dass die katholische Kirche ein ambivalentes Verhältnis zu Schminke unterhält (Nonnen sollten sich eher nicht schminken, Ehefrauen dürfen es tun, um ihren Männern zu gefallen); dass Tätowierung im Mittelmeerraum eine lange prähistorische und antike Tradition hat und vor allem an Frauen ausgeführt wurde; dass Schönheitsprodukte für Männer in unserem Kulturraum erst seit kurzem wieder flächendeckend angeboten und auch beworben werden. Die Autoren gehen dabei ehrgeizig historisch-philosophisch und kulturtheoretisch vor mit Referenzen von Kant bis Lacan, von Hegel bis Arendt. Die Mischung die entsteht, ist attraktiv: tiefsinnige Reflexionen über oberflächliche Phänomene.

Rezensiert von Catherine Newmark

Annette Geiger (Hg.): Der schöne Körper. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft
Böhlau, Köln / Weimar / Wien 2008
286 Seiten, 29,90 Euro