Islands Piratenpartei profitiert von Panama-Enthüllungen
Betrug an der Gesellschaft wird sehr ernst genommen in Island. So wurde der Premier Sigmundur Gunnlaugsson nach Bekanntwerden seiner Offshore-Geschäfte aus dem Amt gejagt. Im Herbst sind Parlamentswahlen. Und die Piratenpartei hat gute Chancen, die Regierung zu übernehmen.
Wenn sie etwas kann, dann improvisieren. Birgitta Jónsdóttir lacht. Stimmt haargenau. Es ist Freitag-Nachmittag, Reykjavik, die isländische Hauptstadt. Ein trüber Regentag, der vergessen lässt, dass auch auf Island kalendarisch noch Sommer ist. Die Frontfrau der Piraten-Partei stört das nicht weiter. Birgitta ist ganz in ihrem Element. Sie sucht im Traditionsbuchladen Penninn nach ungedruckten Karteikarten, die sie später bemalen will. Ein Geschenk für die Gastgeber der E-Governance-Konferenz in Chile. Morgen fliegt die Poetikerin nach Santiago de Chile.
"Ja, ja, ich bin Poetikerin, also eine Mischung aus Poetin und Politikerin – und keine traditionelle Politikerin. Ich glaube, es würde dem politischen Geschäft nur gut tun, wenn mehr Leute wie ich mitmischen würden. Nicht nur auf Island, sondern auch in der Europäi-schen Union. Künstler, Philosophen, Aktivisten statt irgendwelcher Technokraten – das wäre es. Machen wir uns doch nichts vor: Technokraten gehen stur nach Schema F vor und kleben an der Macht. Dagegen will ich etwas tun. Ich will eine Art Robin Hood sein. Ich will den Mächtigen die Macht entreißen und sie den Leuten geben."
Exzentrikerin und Aktivistin
Egal ob der Kassierer im Penninn, mit dem sich Birgitta in aller Seelenruhe unterhält. Oder später draußen - auf der verregneten Straße – Raknar, der offizielle Stadt-Künstler, vielen auf der 330.000-Einwohner-zählenden Atlantik-Insel ist der Robin Hood der isländischen Politik ein Begriff. Als Aktivistin, die seit der letzten Legislaturperiode den Althing, das Parlament, auf Trab hält. Und als Exzentrikerin.
Die Gruftie-Frau mag zwar jenseits der fünfzig sein, doch noch immer könnte sie als ältere Schwester von Lisbeth Salander durchgehen, die Anarcho-Hackerin aus Stieg Larssons Trilogie. Birgitta sieht nicht nur anders aus: Sie agiert auch anders als die traditionellen Politiker. Unverblümt, ohne doppelten Boden, immer gerade aus. Seit den Panama Papi-eren ist das ihr großes Plus. Die unappetitlichen Enthüllungen über das Finanzgebaren der isländischen Elite haben die Vulkaninsel erschüttert. Schlecht für die etablierten Partien. Gut für Birgitta: Ihre Piraten liegen in den Umfragen bei 30 Prozent – weit vor allen anderen.
Zurück in ihrem Büro unterm Dach verzieht Birgitta das Gesicht. Ganz geheuter ist ihr der Hype nicht; dass plötzlich alle etwas von ihr wollen.
"Das Gruselige ist: Als Politikerin wirst du über Nacht zur öffentlichen Person. Du hast keine Privatsphäre mehr. Deshalb setze ich mich auch so sehr für das Recht auf Privatsphäre ein, auch im Digitalen. Ich möchte mich von niemandem ausschnüffeln lassen. OK, dass die Leute mich anstarren – geschenkt. Ich bin schließlich immer noch Punk. Ich glaube ich war die erste in Island, die in den 80ern eine Irokesen-Frisur hatte. Du kannst dir gar nicht vorstellen, mit wie viel Ekel die Leute mich angeglotzt haben."
Tochter einer alleinerziehenden Alkoholikerin
Wer hätte das gedacht! Dass ausgerechnet einmal jemand wie Birgitta als zukünftige Premierministerin gehandelt würde. Am wenigsten sie selbst. Die Frau, die von sich sagt, sie trage den schwarzen Gürtel des Todes, zuckt die Schultern. Ihre Biographie ist nicht ohne: Tochter einer alleinerziehenden Alkoholikerin; mit Drogen experimentiert; ihr Stiefvater beging Selbstmord, später auch ihr erster Mann. Als wenn das nicht schon alles genug wäre, geriet sie zwischenzeitlich auch noch ins Visier des FBI. Weil sie Wikileaks-Gründer Julian Assange geholfen hatte. Ziemlich viel Druck. Doch Birgitta ist nicht klein zu kriegen. Vielen Isländern imponiert das. Ein Punk als Premierministerin – spätestens seit den Panama-Papieren können sich das immer mehr Leute vorstellen.
"Darüber wird viel geredet. Aber ich kann mich nur wiederholen: Ich werde nicht Premierministerin. Echt. Ich will das nicht. Ich bin dafür denkbar ungeeignet. Irgendwelche Empfänge und so was. Es gibt andere bei den Piraten – die könnten das viel besser. Ich würde viel lieber Parlamentspräsidentin werden. So hätte ich Gelegenheit, die Macht des Parlaments zu stärken. Es würde ein starkes Signal senden - über Island hinaus. Bislang ist es doch so: Die Regierung nimmt das Parlamentspräsidium nicht ernst. Sie präsentiert Gesetze auf den letzten Drücker, voller Fehler - und niemand stört sich daran. Ich finde das absolut inakzeptabel."
Ein neuer Tag, eine andere Ecke Reykjaviks – doch auch hier die gleiche Wut auf "die da oben". Andri Sigurdson klopft in seinem Büro beherzt das alte Kaffeemehl aus der Espressomaschine. Gleich kommt Sara vorbei, die Mitbegründerin von Jaeja, der Protest-Grup-pe. Jaeja – das bedeutet auf Isländisch "Ja, ja" oder "ist-schon-gut". Was man halt sagt, wenn man die Geduld verliert. Der Web-Designer schnauft leise. Überall nur Korruption und Vetternwirtschaft. Selbst bei ihm in der Nachbarschaft. Er dreht sich nach links: Die weiße Villa draußen: Das sind die Geschäftsräume des Vaters von Sigmundur Gunnlaugson, dem zurückgetretenen Premier.
"Eine wirklich illustre Gesellschaft"
"Da drüben ist sein Büro. Neben Gunnlaugssons Vater haben noch weitere Unternehmer ihren Sitz dort – unter anderem sein Geschäftspartner. Ein Sozialdemokrat. Sein Name taucht auch in den Panama-Papieren auf. Er musste inzwischen zurücktreten. Eine wirklich illustre Gesellschaft. Ich hatte ja keine Ahnung, wer meine Nachbarn sind."
Seit zwei Jahren organisiert der Typ mit dem Hipster-Bart den Jaeja-Protest. Damit endlich, wie versprochen, die neue Verfassung in Kraft tritt, die alte Machtklicke abdankt. Im April schienen Andri und Sara ihr Ziel fast erreicht zu haben. Im Zuge der Panama-Geschichte war herausgekommen, dass die Ehefrau von Premier Gunnlaugson Besitzerin eines Offshore-Unternehmens war. Auf den Skandal folgten Massenproteste; die größten, die der westlichste Zipfel Europas jemals gesehen hatte. Halb Island war auf den Beinen. Andri rührt missmutig in seinem Kaffee. Gunnlaugson musste zwar zurückgetreten, ansonsten aber: Blieb alles beim Alten. Keine sofortigen Neuwahlen, keine neue Regierung. Und Gunnlaugson?! Ist zwar nicht mehr Premier, aber immer noch Vorsitzender der Fortschrittspartei.
EM-Erfolg als Ablenkungsmanöver
Als solcher ließ er es nicht nehmen, während der Fußball-Europameisterschaft öffentlichkeitswirksam die Island-Fahne zu schwenken. Der Underdog im Viertelfinale: Natürlich hat auch Andri vor dem Fernseher mitgefiebert. Nur: Dass sich die üblichen Verdächtigen die kollektive Euphorie gleich wieder zu Nutze machten mussten, nach dem Motto: Seht her, was wir alles gemeinsam erreichen können: Das – ereifert er sich – sei ein reines Ablenkungsmanöver.
"Das ganze ist nicht so sehr eine Frage des politischen Systems, sondern der politischen Kultur Islands. Politiker übernehmen bei uns keine persönliche Verantwortung. Es ist nicht wie in anderen skandinavischen Ländern: Da musst du als Politiker ja schon zurücktreten, wenn du aus Versehen deine Abgeordneten-Kreditkarte privat benutzt hast. In Island kannst du auf frischer Tat ertappt werden oder lügen: Aber zurücktreten?! Nicht bei uns. Es wird niemand gefeuert – weder in der Politik noch der Wirtschaft. Ich denke, das hat damit zu tun, dass wir so ein kleines Land sind. Jeder kennt jeden. Wenn du entlassen wirst, wissen es bald alle. Du bist erledigt. Falls du als Politiker in Island zurücktrittst, bist du am Ende."
Andri schaut auf seine Armbanduhr. Eigentlich müsste Sara längst da sein. Er springt auf und läuft zum Tisch mit den wuchtigen schwarzen Ledersesseln. Da sollte eigentlich sein Smartphone liegen. Fragt sich nur wo. Der 36-Jährige durchwühlt seine Unterlagen – bis er fündig wird. Aha! Eine Nachricht von Sara. Sie kommt später. Andri lächelt. Er ist das schon gewohnt. Kennengelernt haben die beiden sich bei den Massenprotesten der Krankenschwestern vor zwei Jahren. Auch so ein Aufreger-Thema. Findet der Jaeja-Mann.
"Geld ist da. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Also, an mangelndem Geld kann es nicht liegen, dass unser Gesundheitssystem chronisch unterfinanziert ist. Es ist eine politische Entscheidung. Die jetzige Regierung könnte viel mehr Steuern erheben. Tut sie aber nicht, im Gegenteil: Als die konservative Koalition 2013 an die Macht kam, senkte sie als erstes der Fischerei-Industrie die Steuern. Das sind hunderte Millionen Kronen, die dem isländischen Staat jährlich verloren gehen. Ich könnte viele solcher Beispiele aufzählen. Die Schwerindustrie etwa: Unter der linken Vorgänger-Regierung mussten die Aluminium-Öfen eine Extra-Umweltsteuer zahlen. Unter der jetzigen nicht mehr. Dieses ganze Geld hätten wir in unser Gesundheitssystem stecken können."
Klein beizugeben kam nicht in Frage
Da ist sie endlich: Sara, Andris Mitstreiterin. Beide umarmen sich. Die zierliche Malerin mit dem blonden Haar macht einen gestressten Eindruck. Kein Wunder: Eines ihrer vier Kinder ist krank. Deshalb auch die Verspätung. Sie lässt sich auf einen der Sessel fallen. Eigentlich will sie kürzer treten. Keine schlaflosen Nächte mehr wie im April, zur Hochphase des Jaeja-Protests; kein Psycho-Stress wegen der ganzen Verantwortung. Sara stöhnt leise. Stressig das Ganze – aber klein beigeben – das kam für sie nicht in Frage. Dazu steht zu viel auf dem Spiel.
"Kunst und Politik gehören für mich zusammen. Ich trenne das nicht. Schau dir nur die Kunstgeschichte an: Kunst ist oft politisch gewesen. Gewisse Bilder haben die Welt aufgerüttelt. Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich hat mein politisches Engagement meine künstlerische Schaffenskraft beeinträchtigt. Sei’s drum. Für mich zählt das große Ganze. Außerdem ergeben sich durch meinen Protest auch neue Möglichkeiten. Im November habe ich eine Show in Paris. Es geht da um politische Kunst am Beispiel isländischer Landschaftsaufnahmen."
Das Gedächtnis eines Goldfisches hat er – der durchschnittliche Isländer: Um einen griffigen Spruch ist Agust Beaumont nie verlegen. Luftlinie gut sechzig Kilometer nördlich von Reykjavik entfernt lässt der "Kapitän" des Piraten-Ablegers von Borgarnes seine Faust auf den Holztisch sausen. Die Sonne ist herausgekommen, deshalb hat sich der End-Dreißiger nach draußen gesetzt – vor das "Siedlungszentrum", das Multimedia-Museum zur Geschichte des Fischerdorfes. Es gehört einem der drei mächtigen Clans hier.
Piraten fordern mehr Transparenz
"Es ist ein wunderbarer Ort und die Besitzer sind super. Keine Frage. Nur: Die Art und Weise, wie sie an die Immobilie gekommen sind, ist mehr als fragwürdig. Ganz am Anfang mieteten sie das Gebäude von der Gemeinde für hundert Euro – im Jahr. Sie waren damals die einzige touristische Einrichtung im Ort, deshalb sagte die Gemeinde: Ok, dann subventionieren wir euch. Irgendwann konnten die Betreiber das Haus kaufen – ohne dass der Verkauf öffentlich ausgeschrieben war. Auch der Kaufpreis ist bis heute geheim. Unser Transparenzgesetz gilt nicht für Kommunen."
Mehr Transparenz, gerade auf kommunaler Ebene: Es war einer der Gründe, warum Agust die Piraten in Borgarnes gegründet hat. Ein bisschen Fisch-Industrie, eine kleine Werft, eine Molkerei: Lange Zeit war Borgarnes ein verschlafenes Nest. Doch das hat sich geändert – nicht zuletzt dank des boomenden Tourismus. 1,3 Millionen Touristen sind letztes Jahr auf die Insel der Vulkane und Geysire gekommen, dieses Jahr sollen es noch mehr werden. Es hat wieder angefangen zu regnen. Agust stapft trotzdem los – Richtung "Friedens-Café". Er will kurz mit der Besitzerin sprechen. Ob auch alles ok geht mit dem Piraten-Treffen morgen Abend. Er zieht seinen Jackenkragen hoch – ehe er an der Mole stehen bleibt. Auf der anderen Seite der Bucht, unterhalb der noch immer schneebedeckten Gipfel: Da ist sein Refugium – seine Holzhütte. Dort lebt er – bei Wind und Wetter – zum Missfallen der Behörden. Das sei nur eine Sommerhütte – sagen sie. Ergo dürfe er da nur im Sommer wohnen. Agust tippt sich an die Stirn. Bislang hat er Vater Staat immer noch ein Schnippchen geschlagen. Doch langsam hat er die Nase voll – von der Behördenwillkür.
Kafkaeske Zustände
"Als wir unseren Ableger der Piratenpartei gründeten, wollte uns die Lokalbank kein Konto geben. Ich sei nicht ordnungsgemäß gemeldet, ergo obdachlos – hieß es. Deshalb würden bei mir die Terrorismusgesetze gelten. Ich sei ein Sicherheits-Risiko. Völlig lächerlich. Was ich damit sagen will: Sobald du auch nur einen Millimeter von der Norm abweichst, hast du in Island ein Problem. Auch die Sache mit meinem Haus: Es gehört mir, genau wie das Grundstück. Und trotzdem darf ich dort nicht legal wohnen."
Kafka auf isländisch: Für Agust nur ein weiteres Indiz, dass etwas schief läuft in seiner Heimat. Aber vielleicht bringt ja die Parlamentswahl im Herbst frischen Wind. Nach der Sommerpause will er entscheiden, ob er antritt als Parlamentskandidat für die Piraten. Kann gut möglich sein. Islands etablierte Parteien sollten sich auf etwas gefasst machen.