Von der Punk-Lady zur Menschenrechtsaktivistin
Weil sie mit ihrer Punkband "Pussy Riot" in der Moskauer Erlöserkirche für Tumulte sorgte, bekam Nadja Tolokonnikowa eine zweijährige Freiheitsstrafe aufgebrummt. Nach dem Gefängnisaufenthalt setzt sie sich jetzt für einen humanen Strafvollzug in ihrem Land ein.
In Los Angeles, weit weg von der kalten russischen Heimat, produziert Pussy Riot neue Musik. Ihr Punk-Gebet gegen Patriarch Kyryll und Präsident Putin ging um die Welt, vor allem wegen Auftrittsorts, in der Moskauer Erlöser-Kirche.
Wenn sie nicht im Studio ist, verfolgt Nadja Tolokonnikowa auch unter der kalifornischen Sonne die Nachrichten aus Moskau, das bevorstehende Urteil gegen die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko, der 23 Jahre Haft in einer Strafkolonie drohen.
"Sie ist sehr stark und kann sich verteidigen. Wer aber nur etwas schwächer ist als sie, hat es schwer. Wie ich zum Beispiel. Nadja Sawtschenko hat einen großen Vorteil: Sie ist bereit, bis zum äußersten zu gehen, sie ist bereit zu sterben. Das kapiert die Gefängnisleitung. Eine zivilisierte, ruhige Sprache verstehen sie dort nicht."
Die ukrainische Pilotin dürfte dann Russlands Gefangene Nummer eins sein. Nadja Tolokonnikowa verbüßte ihre zweijährige Freiheitsstrafe wegen des Kirchen-Auftritts 500 Kilometer von Moskau entfernt in Mordwinien, wo sie mehrfach in den Hungerstreik trat, sich offiziell beschwerte über die 16-20-stündigen Arbeitstage, mit einem einzigen freien Tag im Monat.
"So wie Schalamow und Solschenizyn die Gefängnisse zu Stalins Zeiten in ihrer Literatur beschrieben haben, sind sie nicht mehr. Nicht mit dieser hohen Todesrate wegen der Sklavenarbeit. Aber sie sind wie zu Zeiten der späten Sowjetunion. Keiner hat diese Geschichte aufgearbeitet, man beruft sich immer noch auf die gleichen verrotteten Wurzeln. Der Häftling muss Zwangsarbeit verrichten, erniedrigt werden. Das gilt bis heute, auch wenn ich nicht im Bergwerk, sondern in einem Textilbetrieb arbeiten musste."
Trotz Erkrankungen Zwangsarbeit verrichten
Nadja Tolokonnikowa schreibt in ihrem jüngst erschienenen Buch über Häftlinge, die tot über den Nähmaschinen zusammenbrachen, weil sie trotz ihrer schweren Erkrankungen Zwangsarbeit verrichten mussten.
"Es wird sich nichts ändern, solange wir uns nicht endlich mit unserer Geschichte beschäftigen, mit dem, was der Staat, sein Strafvollzug den Menschen angetan hat."
Nadja Tolokonnikowa und Maria Aljochina gründete die Hilfsorganisation "Zona Prawa", "Rechtszone", tief unter dem Eindruck der Rechtlosigkeit im russischen Strafvollzug. Die Punkmusikerinnen und Aktionskünstlerinnen mauserten sich zur Menschenrechtsaktivistinnen. Es gelang ihnen, 18 sterbenskranke Häftlinge freizubekommen, sie arbeiten an 40 weiteren Fällen und sorgen mit einem Netz von Aktivisten und Anwälten dafür, dass in Russland bekannt wird, was sich hinter Gittern und Stacheldraht abspielt.
"Wir haben gerade Post von der Generalstaatsanwaltschaft bekommen. Wir hatten aus dem ganzen Land zusammengetragen, in welchen Strafkolonien die HIV-Infizierten keine Medikamente bekommen. Jetzt will die Generalstaatsanwaltschaft Antwort vom Gesundheitsministerium. Normalerweise werden Menschenrechtsorganisationen ignoriert. Für uns ist das ein großer Erfolg."
Das Private ist politisch
Musikerinnen sind sie immer noch, "Wodka killt den Sex", spielen sie hier. Ihre Lebensllust haben sie nicht verloren. Ihre Liebe zu Männern und auch Frauen machte Nadja Tolokonnikowa öffentlich, was ihr in Haft zusätzlichen Ärger einbrachte.
"In der Strafkolonie kam eine der Wärterinnen zu mir mit einem Foto, bei dem ich auf der Schwulen- und Lesbenparade zu sehen war. Das hat sie mehr empört als unser Auftritt in der Kirche. Damit wird mein Sex mit Frauen tatsächlich zum politischen Akt."
Für die Pussy-Riot-Frau ist das Private politisch, die Erfahrung mit der russischen Justiz keine persönliche Angelegenheit. Die 27-Jährige studierte Philosophin mag sich nicht abfinden damit, dass nur 0,4 Prozent aller russischen Gerichtsverfahren mit einem Freispruch enden, 99 der Angeklagten verurteilt werden, so wie sie, und morgen vermutlich die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko.