"Putin ist kein Freund des Westens, aber eben auch kein Feind"

Moderation: André Hatting |
Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hat den angekündigten Machtwechsel im Kreml positiv bewertet. Mit dem zukünftigen Präsidenten Putin würden die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wieder konkreter und pragmatischer, sagte er.
André Hatting: Es ist ein Machtwechsel mit Ansage: Weil Wladimir Putin laut Verfassung nur zwei Amtszeiten hintereinander Präsident Russlands sein durfte, tauschte er mit Medwedew und wurde Regierungschef – befristet natürlich nur.

Denn jetzt kehrt Putin zurück, im März will er sich wieder zum ersten Mann im Staate wählen lassen, Medwedew darf dann wieder Regierungschef sein. Am Telefon ist Alexander Rahr, er leitet das Berthold-Beitz-Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Diese Abteilung sieht sich als Schnittstelle zwischen Deutschland, EU und den Nachbarn im Osten, vor allem Russland. Guten Morgen, Herr Rahr!

Alexander Rahr: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Herr Rahr, alle wissen: Die Demokratie in Russland ist eigentlich eine Farce, trotzdem begehrt niemand auf, Deutschland nicht, die EU nicht, die USA nicht. Warum?

Rahr: Was sollen wir denn machen? Die Russen sind ein starkes Volk, 140 Millionen Menschen. Sie kommen aus einer ganz schwierigen totalitären Vergangenheit. Wir müssen Nachsicht üben, wir müssen eine, denke ich auch, Verantwortung dafür übernehmen, dass in Russland zunächst mal Stabilität aufkommt.

Wir haben, denke ich, in den 90er-Jahren Russland gehörig unterstützt auf dem Weg zur Demokratie, heute sehen viele Politiker, dass diese Demokratie in Russland so gescheitert ist, und sehen gleichzeitig, dass Russland aber sich wirtschaftlich erholt hat und eben für die Menschen in Russland Stabilität, Sicherheit, Ordnung momentan – ich betone: momentan, das kann sich in zehn Jahren wieder ändern – wichtiger ist als die Begriffe von Freiheit, Liberalismus und Pluralismus.

Hatting: Das klingt, wenn Sie mit der Gegenfrage kontern, was sollen sie denn machen, so, als gäbe es gar keine andere Chance. Man muss das alles dulden, man muss die Menschenrechtsverletzungen, die Demokratiedefizite in Russland, das muss man so hinnehmen?

Rahr: Wissen Sie, die Europäische Union ist ein kleiner Akteur, zusammen mit Amerika auch nicht gerade groß auf unserem Planeten. Wir sind umringt von Kontinenten, auf denen die Demokratie auch sehr fraglich, vielleicht sehr zaghaft voranschreitet. Wollen wir erst mal schauen, was in Nordafrika alles passiert, in der islamischen Welt.

Russland ist für viele in Asien mit seiner Halbdemokratie oder mit seinem halbabsolutären System immerhin doch ein Stabilitätspfeiler und viele erinnern sich, wie schlimm es war, als dort die Kommunisten regierten, als die Sowjetunion wirklich totalitaristisch war und alle bedroht hat. Man ist froh, dass heute keine Bedrohungen mehr von Russland aus kommen.

Hatting: Immerhin. Bundeskanzlerin Merkel spricht gern von strategischer Partnerschaft. Das Wort Freundschaft vermeidet sie, anders als Sie, Herr Rahr. Ihr aktuelles Buch, das heute erscheint, heißt "Der kalte Freund". Wie geht man mit einem kalten Freund um?

Rahr: Ja, wir haben ja nicht mehr den Kalten Krieg, sondern wir haben mit Russland eine kalte Freundschaft. Auch Putin ist kein Freund des Westens, aber eben auch kein Feind. Russland steckt irgendwo dazwischen, zwischen Rivalitäten, nicht mehr Feindschaften, und möglicherweise ist Russland unser zukünftiger Verbündeter, das würde ich auch so sagen.

Nicht jetzt, aber in zehn Jahren, obwohl die Energie-Allianz, die wir mit Russland jetzt geschmiedet haben über die Pipelines, über das Gas, das wir aus Russland bekommen, aber auch die Rohstoffe, die wir brauchen, schon davon zeugen, dass wir uns verflechten, wirtschaftlich verflechten mit Russland.

Hatting: Welche strategische Bedeutung hat das Land noch, sieht man mal von der Frage der Rohstoffe ab?

Rahr: Es hat eine immense Bedeutung, die hier gar nicht erkannt wird: Die Russen haben uns im Prinzip selbst angeboten, zusammen ein USA-Schutzpatron…, ein Schutzpatron Europas zu werden, eine gemeinsame Raketenabwehr aufzubauen. Leute wie Ischinger, der Chef der Sicherheitskonferenz in München, betonen, dass das alles sehr wichtig ist, diese Idee hat viele Freunde. Bloß wollen die Amerikaner heute nicht.

Die Russen, wie gesagt, liefern uns die Energie und die Rohstoffe. Aber gleichzeitig, denke ich, ist Russland auch eine sehr wichtige Brücke nach Asien, nach China. Wenn Sie sehen, wie die russische Infrastruktur – natürlich sehr langsam, aber nichtsdestotrotz – jetzt aufgebaut wird, können wir uns schon vorstellen, zukünftig unsere Güter von West nach Ost, also nach Asien rein über russisches Territorium über die Nordpassage zu liefern. Das wird alles viel sicherer und viel bequemer als über den Persischen Golf oder das Horn von Afrika.

Hatting: Wird es für Deutschland leichter mit einem Präsidenten Putin oder wird es schwerer?

Rahr: Also, es wird eher konkreter, pragmatischer. Wir sind bisher immer Umwege gegangen, die deutsche Wirtschaft musste zunächst einmal in den Kreml, musste mit Medwedew reden, der hat aber nichts wirklich bestimmt oder nichts entschieden, dann musste man in eine zweite Tür zu Putin. Jetzt sind die Wege kürzer geworden, Putin entscheidet alles und für die Wirtschaft ist er jetzt der richtige Ansprechpartner. Was sozusagen die Frage der Demokratie angeht: Ich glaube, der Putin ist im Grunde genommen auch ein Europäer, bloß gehört er nicht ins 21. Jahrhundert, sondern ins 18. Jahrhundert. Aber damit müssen wir wahrscheinlich leben. Leben müssen wir wahrscheinlich auch damit, dass 60 bis 70 Prozent der Russen weiterhin Putin die Stange halten.

Hatting: Die russische Opposition – eine sehr kleine Opposition – hat in einer ersten Reaktion von einem Horror-Szenario gesprochen. Sie befürchtet Massenflucht der Menschen, Kapitalflucht. Stimmt das, ist Putin tatsächlich so unbeliebt bei den Russen?

Rahr: Nein, das stimmt nicht. Erst mal ist die Opposition ja auch selber schuld, die können sich seit 20 Jahren nicht vereinen. Sie haben immer fünf oder sechs Parteien, mit denen sie antreten können. Natürlich werden sie drangsaliert, das muss man hier auch sagen, auch Putin beschimpft sie ständig als Schakale. Das geht alles nicht mit demokratischen Wegen in Russland. Auf der anderen Seite: Es gibt auch eine sehr starke andere Position, nämlich die Ultranationalisten, die Faschisten. Und die sind Gott sei Dank von der Macht auch entfernt worden.

Hatting: Eine erste innenpolitische Reaktion gab es gestern auch schon. Der Finanzminister Alexej Kudrin ist von Präsident Medwedew entlassen worden. Er hatte nämlich angekündigt, mit einem Regierungschef Medwedew wolle er nicht mehr zusammenarbeiten. Wie interpretieren Sie diese Entlassung?

Rahr: Das ist eine sehr persönliche Note. Alexej Kudrin hat sich große Chancen ausgerechnet, Premierminister unter Putin zu werden. Er hat Putin auch ständig unterstützt, auch in Zeiten, wo einige andere Minister vielleicht noch gedacht haben, es laufe alles auf Medwedew hinaus. Und er ist einfach, denke ich, stinksauer darüber, dass jetzt die Entscheidung schon im Vorfeld gefallen ist, wer 2012 Premierminister unter Putin wird, nämlich Medwedew und nicht er.

Hatting: Interessant ist auch diese Wortmeldung: Der Berater von Medwedew Igor Jurgens hat gestern davon gesprochen, eine politische Modernisierung, Liberalisierung Russlands sei nötig, dazu gebe es keine Alternative. Ist das vielleicht der erste Ansatz einer Bewegung Richtung Meinungspluralismus, Richtung moderner Demokratie?

Rahr: Also, ich kenne Igor Jurgens genau so wie Kudrin sehr gut, das sind nicht Leute, die verschwinden werden. Natürlich stehen sie für Modernisierung. Und warten wir mal ab, was alles passiert, vielleicht wird alles nicht so düster, wie das manche Zeitungen hier im Westen schreiben. Vielleicht gelingt jetzt dem Medwedew als Regierungschef auch eine Art Durchbruch, vielleicht kann er sich auf sehr wichtige Wirtschaftsfelder konzentrieren und seine Modernisierung viel realer, viel natürlicher durchführen als im Präsidialamt. Und ich denke, dass Leute wir Igor Jurgens, der Medwedew seit sechs Jahren massiv unterstützt, möglicherweise sogar in der nächsten russischen Regierung eher einen Platz bekommen wird, als das unter einer Präsidentschaft Medwedews möglich war.

Hatting: Alexander Rahr war das, Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums für Osteuropa-Politik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rahr!

Rahr: Gerne, Herr Hatting!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.