Russlands Krieg

Putin ist nicht mehr erreichbar

08:36 Minuten
Wladimir Putin sitzt an einem überlangen Tisch im Gespräch mit seinem Verteidigungsminister und einem General der Streitkräfte.
Gespräche führt Putin oft vom Ende eines überlangen Tisches aus - für Ulrich Schmid ein Sinnbild seiner Abkapselung. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Ulrich Schmidt im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 03.03.2022
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Viele bezeichnen den russischen Präsidenten inzwischen als Diktator. Für den Russland-Experten Ulrich Schmid keine ganz falsche Einschätzung: Putin ordne seinem "Wahnprojekt" mittlerweile alles unter.
Präsident Putin sei ein Diktator, sagte US-Präsident Joe Biden kürzlich in seiner Rede zur Lage der Nation. Viele stimmen angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der Schreckensmeldungen, die von dort kommen, mit dieser Bewertung überein.
Auch für Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, hat der russische Präsident inzwischen unkontrollierbare Züge angenommen.

Putin folgt blind seiner eigenen Ideologie

Vor einiger Zeit hätten Politikwissenschaftler noch vermutet, dass Putin kein Diktator im Stile Stalins sei, sondern eher eine Art Schiedsrichter, der zwischen den Ansprüchen verschiedener Lobbys vermittle, so Schmid. "Mittlerweile kann man aber tatsächlich sagen, Putin folgt blind seiner eigenen Ideologie und ordnet seinem Wahnprojekt eines historischen Russlands alles unter – egal, was die Kosten sind."

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Geheimdienstberichte, wonach sich der russische Präsident zuletzt immer mehr abgeschottet habe und aggressiv reagiere, wenn etwas ihm nicht passe, hält Schmid für glaubwürdig. Corona habe hier vermutlich ein Übriges getan:
"Putin hat sich regelrecht abgekapselt, vielleicht sogar eingepuppt. Wir haben alle diesen lächerlich langen, weißen Tisch gesehen, an dem er den französischen Präsidenten und den deutschen Bundeskanzler empfangen hat. Es scheint tatsächlich so, dass niemand mehr vordringen kann zu Putin."

Putin außer sich über militärische Misserfolge

Die aktuelle Lage in der Ukraine scheine der russische Präsident allerdings noch wahrzunehmen, so der Russland-Experte. "Wir haben diese Berichte, dass Putin außer sich ist über die militärischen Misserfolge in der Ukraine. Aber er ist wahrscheinlich eben auch außer sich, weil seine eigene Obsession – nämlich die Idee, dass die russischen Truppen in der Ukraine freudig empfangen würden – sich nicht bewahrheitet hat."

Die "Friedensverhandlungen" sind nur eine Fassade

Dass die sogenannten Friedensverhandlungen mit der Ukraine zu einem Ergebnis führen werden, erwartet Schmid nicht. Diese Option sei von jeher eine "Nebelkerze" gewesen. Was jetzt in Weißrussland passiere, sei "einfach nur eine Fassade, die der Kreml aufbaue".
Ein düsteres Szenario wäre, dass Russland militärisch die Oberhand gewinnen würde und die Ukraine bei den Verhandlungen ein Friedensdiktat Moskaus akzeptieren müsse. Im Moment jedoch sehe es noch so aus, "als ob die Ukrainer wirklich alles tun, um ihr Vaterland zu verteidigen."
(ckü)
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