Qiu Miaojin: "Aufzeichnungen eines Krokodils"
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
Ulrike Helmer Verlag, Frankfurt am Main
320 Seiten, 20 Euro
Queerer Klassiker aus Taiwan
04:59 Minuten
Qiu Miaojins Debütroman "Aufzeichnungen eines Krokodils" rüttelte 1994 die queere Community in Taiwan auf: Darin erzählt Qiu vom Lieben und Leben einer lesbischen Studentin und ihrer Freunde. Heute gilt er als moderner LGBT-Klassiker.
Qiu Miaojins Debütroman war literarischer Sprengstoff, als er 1994 in Taiwan erschien. Er erzählt von den Leidenschaften der lesbischen Lazi, die in den späten 1980er-Jahren in Taipeh studiert. Also kurz nach Ende des bleiernen Kriegsrechts, unter dem das Land jahrzehntelang stand. Homosexualität war noch verboten, ein Coming-out eine gesellschaftliche Katastrophe.
Qius "Aufzeichnungen eines Krokodils" aber waren frisch und frech, sie waren hochemotional und erotisch explizit, und sie sprengten die enge Welt, in der viele queere Taiwaner furchtsam lebten. Der Roman gilt daher als moderner Klassiker der taiwanischen LGBT-Community und wird bis heute hochgeschätzt. In den letzten Jahren wird er auch in etliche europäische Sprachen übersetzt.
Ergreifende Amour fou
Qiu Miaojin hat den Langzeiterfolg ihres Debüts selbst nicht miterlebt. Ein Jahr nach der Veröffentlichung erstach sie sich in Paris. Sie wurde nur 26 Jahre alt. Man kann davon ausgehen, dass die emotionalen Nöte ihrer Erzählerin Lazi teils auch ihre eigenen waren.
Gleich zu Anfang des Romans schafft Lazi es an die renommierteste Universität von Taiwan, doch sie studiert ohne größere Leidenschaft. Sie findet, dass sich an der Uni all jene Ordnungsprinzipien ungut überlappen, die jungen Asiatinnen und Asiaten schon früh die Luft abdrücken: Schulpflicht, Arbeitszwang und Heiratsdruck. Besonders heillos wird dies, wenn man wie Lazi nicht ins kapitalerotische System passt und sich trotz Studiums keine leuchtende Zukunft auftun will.
Auch privat läuft es für Lazi nicht ideal. Über viele Seiten hinweg trennt sie sich von ihrer großen Liebe Shuiling, kommt wieder mit ihr zusammen, trennt sich erneut. Ein Mix aus herzzerreißender Liebesunsicherheit und spätpubertären Schmerzensschreien. Eine ergreifende Amour fou, die in ihrem steten Aufwallen aber auch enorm ermüdet. Für etwas Alltag sorgen einige queere Freundinnen und Freunde, die Lazi fürsorglich unterstützen und je eigene Problemlagen in den Roman einbringen.
Deutsche Übersetzung zu wenig pointiert
Gemein ist ihnen allen ein hohes Maß an Verzweiflung bei geringer Distanz zu sich selbst. Nur der grimmige Witz der Erzählerin balanciert den allgemeinen Gefühlsüberschuss passagenweise aus. Dies bringt die Übersetzung an einigen Stellen spitz rüber und klingt dabei sogar noch lässig. An anderen Stellen aber häufen sich die Umständlichkeiten, und man muss sich den Sinn manch eines Satzes mühsam erknobeln. Da fragt man sich leseerschöpft, warum die deutsche Übersetzung nicht auch so pointiert klingen kann wieder die englische Übertragung von Bonnie Huie.
Das wäre auch deshalb wichtig, da der Roman vor allem aus Lazis Grübeleien und den Gesprächen mit ihren Freundinnen und Freunden besteht. Viel Handlung, gar einen plotbasierten Spannungsbogen gibt es nicht. Auch seine politerotische Brisanz ist nach drei Jahrzehnten queeren Publizierens verblasst. So läuft dieser Roman Gefahr, nur noch literaturhistorisch von Interesse zu sein. Die Übersetzung hätte durchweg glänzend sein müssen, um ihn davor zu bewahren. Leider ist sie es nicht.