Zwang zum QR-Code
Was früher die Papierlosen waren, sind heute die Handylosen: Menschen zweiter Klasse, die keine Zugangsberechtigung mehr haben, ärgert sich Adrian Lobe. © Getty Images / PM Images
Wer kein Smartphone hat, ist raus
Jeder Zehnte in Deutschland besitzt kein Handy. Weil Smartphones im Alltag immer häufiger eine Art Passierschein sind, haben diese Menschen inzwischen ein Problem. Der Politologe Adrian Lobe kritisiert das: Digitalisierung darf kein Zwang werden.
Wer das Forum Romanum in der italienischen Hauptstadt besuchen will, steht erst mal vor hohen Mauern und Hinweistafeln. Über einen QR-Code, den man mit seinem Smartphone fotografieren muss, wird der Besucher auf eine Webseite weitergeleitet, auf der man online Tickets buchen kann. Mit dieser elektronischen Eintrittskarte geht man durch ein Drehkreuz, hinter dem wie am Flughafen das Gepäck durchleuchtet wird.
Erst dann gelangt man zu den historischen Sehenswürdigkeiten rund um den Palatin. Nur eine geringe Anzahl von gedruckten Tickets ist am Schalter vor dem Kolosseum erhältlich. Das heißt: Wer kein Handy hat, muss draußen bleiben. Mit der Idee eines Forums, wo jeder Bürger Zugang hat, hat das nicht mehr viel zu tun.
Reduzierte Teilhabe in fast allen Bereichen
Das Smartphone wird in der digitalen Gesellschaft immer mehr zum Passierschein – und zwar für fast alle Lebensbereiche. Man braucht es, um seinen Boarding Pass herunterzuladen, seinen Impfpass zu aktualisieren oder einen E-Scooter zu leihen. Oder um zu lesen.
So hat die Deutsche Bahn die Printausgabe ihres Kundenmagazins eingestellt – die digitale Version kann nur über ein mobiles Endgerät oder Laptop abgerufen werden. Wer in Zügen noch Zeitung liest oder dem Schaffner sein gedrucktes Ticket vorzeigt, kommt sich fast schon als Analogfossil vor.
In manchen hippen Cafés und Restaurants gibt es schon gar keine gedruckte Speisekarte mehr. Wer danach verlangt, wird fast schon mitleidig gefragt: „Haben Sie denn kein Handy?“
Viele ältere Menschen haben kein Mobiltelefon
Laut einer Erhebung des Branchenverbands Bitkom besitzt jeder zehnte Deutsche kein Handy. Und mehr als die Hälfte der über 65-Jährigen nutzt gar kein Smartphone. Diese Bevölkerungsgruppe ist von einem Teil des öffentlichen Lebens ausgeschlossen.
Was aber, wenn jemand die Speisekarte oder Zeitung weiterhin gedruckt lesen möchte? Wenn jemand bewusst auf ein Smartphone verzichtet, weil er sich nicht auf Schritt und Tritt überwachen lassen will? Kann man die so einfach aussperren?
Natürlich ist das Smartphone ein wichtiges Werkzeug im Alltag. Es ist Navigationsgerät, Fotoapparat, Kalender und vieles mehr. Wenn aber aus einer Technologie ein impliziter Zwang wird, ist das ein Problem.
In den USA screenen Grenzpolizisten Smartphones und Tablets von Einreisenden – und das ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Kontakte, Chatnachrichten, Fotos: Das private Leben wird komplett durchleuchtet.
Wer kein Handy hat, macht sich erst recht verdächtig. Man könnte den Behörden schließlich etwas verbergen. Welch verquere Logik! Als wäre nur derjenige rechtschaffen, der sich nackt macht.
Diskriminierung der Handylosen
Nun ist man in Deutschland von der Paranoia amerikanischer Sicherheitsbehörden zum Glück weit entfernt. Doch auch hierzulande verstärkt sich der Trend zur digitalen Ausweispflicht. Wer einen offiziellen Covid-Test machen will, braucht ein Smartphone. An den meisten Teststationen werden Menschen ohne Handy weggeschickt, weil keine manuelle Anmeldung mehr durchgeführt werden kann.
Was früher die Papierlosen waren, sind heute die Handylosen: Menschen zweiter Klasse, die keine Zugangsberechtigung mehr haben.
Es stimmt ja: Deutschland hat bei der Digitalisierung geschlafen, und dass in Arztpraxen immer noch gefaxt wird, ist ein Relikt aus grauer Vorzeit. Doch wenn jetzt gefordert wird, das Land müsse den „Digitalisierungsturbo“ einlegen, muss man aufpassen, dass ältere Menschen nicht den Anschluss verlieren.
Es braucht daher Wahlfreiheit zwischen analoger und digitaler Technik. Das gilt für Impfnachweise genauso wie für Arztrezepte oder Zugtickets. Denn nur so verschafft man einer Technologie Glaubwürdigkeit und Akzeptanz und schließt nicht Millionen Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben aus.