Qual und Befreiung
Die Romane des Norwegers Ketil Bjørnstad gleichen Kompositionen. Die Musik ist darin nicht nur ein zentrales Thema. Für den Jazzpianisten und Kultautor ist sie neben der Sprache ein unverzichtbares Ausdrucksmittel.
Der Romancier hat durch seine kreative Virtuosität eine poetische Gangart gefunden, die – stimmungsvoll eingebettet in die schroffe, faszinierende Landschaft des Nordens – einzigartig ist.
Auch auf den dritten Teil seiner Aksel Vinding-Trilogie, "Die Frau im Tal", trifft das zu. Wie schon in "Vindings Spiel" (1. Teil, 2004/2006) und "Der Fluß" (2. Teil, 2007/2009) steht der hochbegabte Pianist Aksel Vinding im Zentrum dieser Schicksals-Sinfonie. In ihm hat das Thema seine Verkörperung und Erzählbarkeit gefunden: die Musik als ein wunderbares Reich, dessen Tore sich nur dem öffnen, der begriffen hat, dass ihr Geheimnis nicht nur aus zwölf Tönen besteht.
Bjørnstads Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Der neunzehnjährige Vinding ist gerade grandios gescheitert. Doch nicht am Leben, sondern am Tod. Bei dem Versuch, seinem Dasein ein Ende zu bereiten, fischte ihn ein Angler mit seiner Glasfiberrute, die theoretisch nur einen Fisch von 20 Kilo bergen kann, aus dem eiskalten Wasser des Oslofjords. Ein Rettungsakt, der mythische Dimensionen hat. Vindings Verzweiflungstat ging der Tod seiner Frau Marianne voraus, die sich am Abend, da er sein Debütkonzert mit Werken Sergei Prokofjews feierte, erhängte. Freude und Trauer, Erfolg und Schmerz sind fortan unheilbar miteinander verknüpft.
In Vindings Seele herrscht Chaos. Der unfassbare Verlust des geliebten Menschen hat eine Wunde geschlagen, die nicht heilen kann. Das Überleben wird zur Qual und Vinding fasst den Entschluss auszusteigen. Bevor er Oslo verlässt und nach Kirkenes reist, kündigt er seinen Vertrag bei der Agentur, die sein Talent vermarkten will und schon den Herkules-Saal in München, das Pariser Châtelet und die Wigmore-Hall in London für seine Konzerte reserviert hat.
Außerdem befreit er sich aus den Krallen seiner Klavierlehrerin Selma Lynge, die in ihrem Schüler den jüngsten Pianisten in der Musikgeschichte sieht, der das B-Dur-Konzert von Johannes Brahms spielen kann. In Kirkenes begegnet er Mariannes Schwester Sigrun, die dort als Distriktärztin arbeitet. Während Vinding hofft, in der Idylle Nordnorwegens Ruhe zu finden, um Sergei Rachmaninows berühmtes 2. Klavierkonzert op. 18 in c-Moll einzustudieren, verfällt er Sigruns Ausstrahlung. In der eisigen, schneebedeckten Landschaft am Polarkreis erlebt er eine geheimnisvolle Glut erotischen Begehrens, die sein musikalisches Denken und Empfinden grundlegend verändert.
Ketil Bjørnstad schafft eine geheimnisvolle Symbiose von Musik und Literatur. Man sollte deshalb bei der Lektüre von "Die Frau im Tal" eine seiner Kompositionen hören, um sich ganz in den Bann des Künstlers zu begeben.
Besprochen von Carola Wiemers
Ketil Bjørnstad, Die Frau im Tal, Roman
Insel Verlag 2010,
Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider
335 Seiten, 22,90 Euro
Auch auf den dritten Teil seiner Aksel Vinding-Trilogie, "Die Frau im Tal", trifft das zu. Wie schon in "Vindings Spiel" (1. Teil, 2004/2006) und "Der Fluß" (2. Teil, 2007/2009) steht der hochbegabte Pianist Aksel Vinding im Zentrum dieser Schicksals-Sinfonie. In ihm hat das Thema seine Verkörperung und Erzählbarkeit gefunden: die Musik als ein wunderbares Reich, dessen Tore sich nur dem öffnen, der begriffen hat, dass ihr Geheimnis nicht nur aus zwölf Tönen besteht.
Bjørnstads Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Der neunzehnjährige Vinding ist gerade grandios gescheitert. Doch nicht am Leben, sondern am Tod. Bei dem Versuch, seinem Dasein ein Ende zu bereiten, fischte ihn ein Angler mit seiner Glasfiberrute, die theoretisch nur einen Fisch von 20 Kilo bergen kann, aus dem eiskalten Wasser des Oslofjords. Ein Rettungsakt, der mythische Dimensionen hat. Vindings Verzweiflungstat ging der Tod seiner Frau Marianne voraus, die sich am Abend, da er sein Debütkonzert mit Werken Sergei Prokofjews feierte, erhängte. Freude und Trauer, Erfolg und Schmerz sind fortan unheilbar miteinander verknüpft.
In Vindings Seele herrscht Chaos. Der unfassbare Verlust des geliebten Menschen hat eine Wunde geschlagen, die nicht heilen kann. Das Überleben wird zur Qual und Vinding fasst den Entschluss auszusteigen. Bevor er Oslo verlässt und nach Kirkenes reist, kündigt er seinen Vertrag bei der Agentur, die sein Talent vermarkten will und schon den Herkules-Saal in München, das Pariser Châtelet und die Wigmore-Hall in London für seine Konzerte reserviert hat.
Außerdem befreit er sich aus den Krallen seiner Klavierlehrerin Selma Lynge, die in ihrem Schüler den jüngsten Pianisten in der Musikgeschichte sieht, der das B-Dur-Konzert von Johannes Brahms spielen kann. In Kirkenes begegnet er Mariannes Schwester Sigrun, die dort als Distriktärztin arbeitet. Während Vinding hofft, in der Idylle Nordnorwegens Ruhe zu finden, um Sergei Rachmaninows berühmtes 2. Klavierkonzert op. 18 in c-Moll einzustudieren, verfällt er Sigruns Ausstrahlung. In der eisigen, schneebedeckten Landschaft am Polarkreis erlebt er eine geheimnisvolle Glut erotischen Begehrens, die sein musikalisches Denken und Empfinden grundlegend verändert.
Ketil Bjørnstad schafft eine geheimnisvolle Symbiose von Musik und Literatur. Man sollte deshalb bei der Lektüre von "Die Frau im Tal" eine seiner Kompositionen hören, um sich ganz in den Bann des Künstlers zu begeben.
Besprochen von Carola Wiemers
Ketil Bjørnstad, Die Frau im Tal, Roman
Insel Verlag 2010,
Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider
335 Seiten, 22,90 Euro