Packer mit Diplom
Für qualifizierte Ausländer bleibt die Integration ins Arbeitsleben eine Herausforderung. Das Bewerbungssystem ist kompliziert, Abschlüsse werden oft nicht als gleichwertig anerkannt. Gerhard Richter hat drei Menschen mit ausländischen Ausbildungen in ihrem deutschen Arbeitsalltag begleitet.
Es ist morgens um drei, in zwei Stunden müssen Marek Margiel und seine Verlobte bei der Arbeit sein.
Beide kommen aus Polen, leben seit knapp einem Jahr im brandenburgischen Neuruppin. Margiel macht sich Kaffee in der winzigen Küche der Neubauwohnung und belegt Brote mit Wurst und Käse. Er hat helle grüne Augen und raspelkurze Haare. Der Wasserkocher arbeitet schon auf Hochtouren, während die beiden langsam wach werden. Diese Woche sind sie für die Frühschicht eingeteilt.
"Weil jetzt unser Chef hat gesagt, dass wir wirklich viel zu tun haben. Also wir arbeiten fast zehn Stunden pro Tag."
Seine Verlobte gießt Tee in die Thermoskanne. Margiel verstaut die Brote in einer roten Stofftasche. Eine halbe Stunde fahren sie zur Arbeit.
In Fehrbellin, nahe der Autobahn, betreibt ein Discounter seinen Onlinehandel. In einer Halle stehen hohe Regale, vollgepackt mit den aktuellen Angeboten. Die Frühschicht beginnt um fünf. Marek Margiel bekommt eine Liste mit Bestellungen in die Hand gedrückt. Mit einem übergroßen Einkaufswagen fährt er durch die Gänge, greift mal rechts, mal links in die Regale. Trainingsanzüge, Waffeleisen, Laubsäcke.
"Wir müssen für die Bestellungen alle Waren, alle Dinge sammeln, und das ist alles."
Der Wagen wird immer schwerer. Verpackt und versandt werden die Waren dann in einer Halle nebenan. Marek Margiel startet die nächste Runde mit einer neuen Liste. Rund 15 Kilometer weit schiebt er den Wagen jeden Tag. Körperlich anstrengend, aber für den studierten Biotechnologen nicht besonders herausfordernd.
"Meistens denke ich: Wie kann ich meine jetzige Tätigkeit wechseln. Was sollte ich nach der Arbeit machen, um die Arbeit zu wechseln. Das denke ich am häufigsten."
Als Packer im Onlineversand
Seit acht Monaten arbeitet Marek Margiel als Packer im Onlineversand. Der 30-Jährige ist bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, und die Chancen, dort mal etwas Anspruchsvolleres zu machen, als Waren aus einem Regal zu holen und in einen Einkaufswagen zu packen, sind minimal. Um seine Karriere kümmert er sich deshalb nach der Schicht.
Am Wohnzimmertisch in der Neubauwohnung fährt er sein Notebook hoch. Er hat eine Liste mit einhundert Firmen in Deutschland, die einen Biotechnologen wie ihn gebrauchen könnten. Allen hat er eine Bewerbung geschickt, noch vom polnischen Stettin aus, wo er fünf Jahre studiert und sieben Jahre gearbeitet hat. Beim Polizeipräsidium im kriminaltechnischen Labor. In den Bewerbungen hat er ausführlich geschildert, was genau er da gemacht hat.
"Polizeiexperten ermöglichte ich die Anschauung des Beweismaterials aus den Ereignissen. Bestimmte die Sorten der menschlichen Flüssigkeiten, entnahm Proben für Genforschung und untersuchte sie."
Margiel hat im Stettiner Polizeipräsidium DNA isoliert, vervielfältigt, sichtbar gemacht. Hat Protokolle geschrieben, die ganzen Labor-Geräte gewartet und war auch auf Spurensuche am Tatort. Ein gut ausgebildeter Fachmann mit Erfahrung. Warum sollte er als EU-Bürger nicht auch in Deutschland Arbeit finden? Seine Mutter hat dort oft gearbeitet und bei der Spargelernte geholfen.
"Meine Mutter wiederholte mehrmals. Lern´, lern´ Deutsch, lern´ Deutsch. Wenn du möchtest deine Zukunft besser machen, lern´ die Sprache von unserem Nachbarn."
Marek Margiel hat diesen Rat ernst genommen. Er hat schon in Polen Deutsch gelernt. Ausgezahlt hat sich das bislang aber noch nicht. Auf die 100 Bewerbungsschreiben an Landeskriminalämter, Lebensmittellabore und Abwasserverbände kamen nur Absagen, oft aus demselben Grund: Marek Margiel sei überqualifiziert. Eigentlich ein Witz, und Margiel kann sogar darüber lachen.
"Ich wollte ein T-Shirt vorbereiten mit hier eine große Aufschrift: Ich bin überqualifiziert. Ich wollte täglich anziehen."
Das T-Shirt hat er dann doch nicht gemacht. Nach Deutschland ist er trotzdem gekommen. Hat seinen gut bezahlten Job in Stettin aufgegeben, um erstmal als Packer in Fehrbellin zu arbeiten. Sein Vater, der ebenfalls in Brandenburg lebt, hat ihm und seiner Verlobten den Job besorgt. So verdienen die beiden Geld und können Deutsch üben. Sich von Deutschland aus zu bewerben, hat sicher mehr Aussicht auf Erfolg, dachten sie. Geklappt hat das aber noch nicht.
Beide haben deshalb einen Termin mit Maksym Morin. Im Neuruppiner Gewerbegebiet hat das Bildungswerk der Wirtschaft in Berlin/Brandenburg (BBW) ein Büro. Zweimal im Monat kommt Maksym Morin hierher, um in einem schmucklosen Raum Menschen mit Migrationshintergrund zu beraten, wie sie ihren ausländischen Abschluss anerkannt bekommen.
"Also diese Beratung wird angeboten auf Deutsch, Englisch, Polnisch, Russisch, Ukrainisch, ein bisschen Französisch kann ich und Arabisch mit Dolmetscher."
Maksym Morin ist in der Ukraine geboren und arbeitet seit einem Jahr beim BBW. Er trägt ein feingestreiftes Business-Hemd und eine Brille. Diese Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung, die er anbietet, gehört zum bundesweiten Förderprogramm IQ.
"IQ heißt Integration durch Qualifizierung. Also dieses Programm wird finanziert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Und wird umgesetzt mit Kooperationspartnern. Bundesministerium für Bildung und Forschung und Bundesagentur für Arbeit."
Marek Margiel und seine Verlobte setzen sich. Margiel hat einen dicken Ordner mit Unterlagen dabei. Zeugnisse, Bescheinigungen über Weiterbildungen, Kurse, Qualifizierungen. Viele der Papiere hat er bereits ins Deutsche übersetzen lassen. Rund 700 Euro hat ihn das bisher gekostet. Jetzt holt er vorsichtig ein Blatt Papier aus einer Folienhülle und zeigt es stolz.
"Ich wollte dir vorstellen unser erstes Diplom hier in Deutschland. ... Sehr gut ... Wir haben beide die Deutschprüfung auf der Stufe B1 bestanden. Also wir uns vorbereiten jetzt auf die nächste Stufe: B2."
Morin nickt anerkennend. Mit B1 kann man in Deutschland immerhin schon ein Studienkolleg besuchen. Für berufliche Zwecke braucht man aber B2. Den Deutschkurs haben die beiden Polen neben ihrer Arbeit gemacht. Eine echte Ausdauerleistung.
"Das war schwer, das waren vier oder fünf Stunden vormittags, neun bis zwölf, von neun bis eins, Montags bis Freitags Vormittags Deutschkurs, dann sehr schnell mittagzuessen, und weiter in die Arbeit gehen. Und manchmal bis 22 Uhr und jetzt bis fast Mitternacht."
Die Bescheinigung über den Deutschkurs kann helfen, einen Job zu finden, aber das größere Problem liegt woanders. Die meisten Hürden auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt es bei den sogenannten "reglementierten Berufen".
"Die meisten reglementierten Berufe sind akademische Heilberufe. Ärzte Apotheker, Pfleger oder Hebamme zum Beispiel, als auch soziale Berufe. Erzieher, Erzieherin, Lehrer Lehrerin, das heißt: Berufszulassung muss man beantragen, das heißt, man darf nicht einfach so arbeiten."
Das gilt auch für EU-Bürger. Marek Margiel hat in Polen fünf Jahre Biotechnologie studiert. Welcher Job passt da jetzt? Das Landeskriminalamt in Berlin hat zwei Stellen ausgeschrieben. Einmal als Bioingenieur und einmal als Technischer Assistent in wissenschaftlicher Kriminalistik. Als Assistent benötigt Margiel kein Studium, eine zweijährige Ausbildung hätte gereicht. Um sich darauf zu bewerben, braucht Margiel etwas anderes: Eine Bestätigung vom Amt, dass sein polnisches Studium dem deutschen Berufsbild entspricht.
"Wenn Herr Margiel jetzt die Arbeit in Brandenburg aufnehmen will, dann muss er den Antrag stellen beim Landesamt für Gesundheit und Umwelt in Zossen."
Will er sich in einem anderen Bundesland bewerben, braucht er von dort wieder eine neue Zulassung. Margiel schüttelt ungläubig den Kopf. Würde er sich bundesweit bewerben, bräuchte er 16 Zulassungen.
Das Problem - die Vorschriften
Bewirbt er sich dagegen als Bioingenieur, kann er das ohne Anerkennung machen, muss dann allerdings auf seinen Ingenieurtitel verzichten. Um sich auch in Deutschland Ingenieur nennen zu dürfen, benötigt er eine Anerkennung durch die Brandenburgische Ingenieurkammer. Margiel schüttelt wieder den Kopf, Morin hebt entschuldigend die Hände:
"Das Problem liegt an den Vorschriften. Es gibt staatliche Gesetze, die diesen Beruf regeln."
Es gibt aber noch eine Alternative: Margiel lässt seinen ausländisches Abschluss von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen in Bonn bewerten. Das dauert aber, bis zu drei Monaten, und kostet 200 Euro pro Abschluss. Margiel lehnt sich im Stuhl zurück, überlegt, ob sich der Aufwand für diese Zeugnisbewertung überhaupt lohnt. Als Bioingenieur verdient er zwar mehr, aber die Chance, diese Stelle zu bekommen, ist geringer.
"Das alles ist ein bisschen kompliziert, deswegen wir versuchen viele Wege. Erstmal den besten, den höchsten, und dann sich abstufen lasen. Also die Person mit ausländischer Qualifikation soll auf seinem Niveau dann arbeiten in Deutschland. Nicht jetzt eine Stufe niedriger."
Solche Ratschläge wirken ermutigend auf Marek Margiel. Und er ist bereit, den Weg durch die Bürokratie zu gehen, auch wenn er mühsam ist. Noch einmal Unterlagen zusammenstellen, Beglaubigungen machen lassen, Anträge ausfüllen.
Margiel: "Viele kleine Schritte."
Morin: "Aber lohnt sich, aber wie gesagt, wer hart dran bleibt, wird bestimmt Erfolg haben. Das ist nicht einfach."
Margiel: "Darum er ist mein Schutzengel ..."
Margiel packt seine Papiere ein. Beide schütteln sich die Hände.
Morin: "Ich muss mich leider verabschieden."
Margiel: "Und wir haben Kontakt per E-Mail."
Morin: "Genau."
An der nächsten Ecke ist ein Imbiss. Hier gibt es einfaches Mittagessen für die Arbeiter des Gewerbegebietes. Maksym Morin bestellt sich eine gefüllte Paprika mit Kartoffeln, genießt so gut es geht die Mittagspause. Seit einem Jahr berät der gebürtige Ukrainer ausländische Jobsuchende.
"Hier fühle ich mich schon qualifiziert. Also ich mag gern mit Menschen arbeiten, also die Arbeit ist vielseitig, herausfordernd, also ich kann mich in diesem Beruf weiterentwickeln."
Bewerbungen waren frustrierend
Auf der Krim hat Maksym Morin ein Magisterstudium für Anglistik und Germanistik abgeschlossen. Mit Auszeichnung, fügt er ein bisschen stolz hinzu. Er wollte promovieren und als Dozent arbeiten, bekam dann aber ein DAAD-Stipendium für die Uni in Frankfurt Oder. Dort hängte er noch ein Bachelorstudium in internationaler Betriebswirtschaftslehre an. Trotz beider Qualifikationen waren die Bewerbungen aber frustrierend.
"Weil der deutsche Arbeitgeber sah mein ukrainisches Studium nicht einfach in den Unterlagen oder wollte das nicht sehen."
Morin zerteilt die letzte Kartoffel, tunkt sie in den Rest Sauce. Er erzählt, dass es vorwärts ging, als er sein ukrainisches Zeugnis offiziell bewerten ließ.
"Ich wollte, dass der deutsche Arbeitgeber mich mit einem Mastertitel sah. Und nicht nur mit einem Bachelortitel."
Der erste Job war als Werkstudent bei Mercedes, dann bei BASF und jetzt bei der BBW Akademie. Den Berater-Job hat er nicht nur bekommen, weil er zwei Studiengänge absolviert hat und fünf Sprachen spricht, sondern hauptsächlich, weil er sich mit dem bürokratischen Prozedere um die Zeugnisbewertung auskennt, sagt Morin und lächelt verschmitzt.
"Weil, es wurden die Menschen gesucht, die im Zusammenhang mit diesem Anerkennungsverfahren stehen, oder etwas darüber wissen. Und ich hatte, denke ich, einen Wettbewerbsvorteil, weil ich denke, nicht alle haben so was gemacht."
Weniger Glück hatte Hassan Al Iraki. Der 44-Jährige hat insgesamt sieben Jahre lang Elektrotechnik gelernt, aber leider keinen Abschluss gemacht. Zurzeit ist er gerade wieder arbeitslos und kann darum nachmittags seinen Sohn von der Kita abholen.
"Ich werde abgeholt!"
Der kleine Imran kommt angerannt und stürzt sich in die Arme seines Vaters. Imran ist fünf, hat dichte schwarze Locken. Sofort erzählt er was er heute in der Kita gelernt hat.
"Ein Wal ist ein Säugetier."
Hassan al Iraki ist stolz auf seinen Sohn, vor allem auf dessen Wissbegierde. Wenn es nach ihm ginge, sollte Imran später einen angesehenen Beruf ausüben.
"Professor, Doktor, Chirurg."
Der kleine Imran will sich noch nicht festlegen. Fragt man ihn, was er mal werden will, legt er den Finger an die Stirn und grübelt.
"Ich will, ... was lernen vielleicht."
Hassan al Iraki zieht seinem Sohn Jacke und Schuhe an und macht sich auf den Heimweg durch Berlin Spandau.
Der 44-jährige Iraker hat kurze graue Haare und wie sein Sohn dunkle wache Augen. Der Gedanke an eine Stelle als Elektroniker, bei der er das anwenden kann, was er mal gelernt hat, kreist ständig in seinem Kopf. Aber mittlerweile würde er fast jeden Job machen. Den Döner-Imbiss, an dem er auf dem Heimweg vorbeikommt, wollte er mal pachten, aber es ist unklar, wieviel er dem Betreiber an Ablösesumme hätte zahlen müssen.
"Dit weeß ick nich, aber man hat mir gesagt. Zum Beispiel wenn wir ihm 50.000 Euro in die Hand geben, wird er das auch nicht akzeptieren."
So viel Geld hat Al Iraki gar nicht. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im siebten Stock eines Wohnblocks. Vom Fenster aus hat er einen weiten Blick über andere Häuser und Grünanlagen.
Hassan Al Iraki holt eine Plastiktüte mit Kugelschreibern. Hat er für einen Euro bei Ebay ersteigert. Für ihn sind diese Kugelschreiber aber sehr wertvoll. Sie entsprechen genau dem Modell, das ihm sein Großvater mal geschenkt hat. Da war er zehn Jahre alt. Der Irak führte Krieg gegen den Iran, und auch seine Heimatstadt lag öfter unter Beschuss. Er war ein kluges Kind und wusste, wie man am Klang erkennt, ob ein Artillerie-Geschoss gefährlich ist.
"Wenn eine Bombe kommt, dann macht chchchchchchbumm, wenn zu weit dann hhhhep, wenn zu nah, dann schPumm."
Er saß damals im Garten und hatte den Kugelschreiber auseinandergeschraubt, wollte sehen wie er innen drin funktioniert. Genau in dem Moment schlug eine Bombe ein, er warf sich zu Boden, die Teile des Kugelschreibers fand er nie wieder. Jetzt - in seiner Berliner Wohnung - schraubt er den Kugelschreiber auf und zu, es explodiert keine Bombe, aber die Risse in seiner Biografie bleiben. Dabei fing es ganz hoffnungsvoll an.
"Also nach Abitur habe ich Ausbildung zwei Jahre besucht, als Elektroniker von 1990 bis 1992. Und dann Studium auf Uni in Basra."
Drei Jahre später – mitten im Studium – muss Al Iraki sein Heimatland verlassen. Weil er im Fach Nationalkunde an der falschen Stelle gelacht hat, gerät er ins Visier von Saddam Husseins Geheimdienst. Ihm drohen Verhaftung und Folter.
Erst flieht er nach Jordanien, schlägt sich dort als Kofferträger durch, bevor er in Berlin Asyl beantragt. Al Iraki studiert an der Technischen Uni drei Jahre lang Elektrotechnik. Aber die Sprache ist noch fremd, der Stoff schwer.
"Eigentlich zuerst wollte ich weiter lernen und Zeugnis in der Hand haben, aber ich hab gedacht, ich mach jetzt Pause. Aber die Pause hat länger gedauert."
Er jobbt in einem Hostel, macht Klos sauber, bezieht Betten, sammelt Pfandflaschen. Das Studium lässt er sausen. Ein Riesenfehler in einem Land, das größten Wert auf Abschlüsse legt. Das weiß er jetzt – und lässt trotzdem nicht locker, einen Job in dem Metier zu finden.
Weil sein Computerbildschirm kaputt ist und er kein Geld für einen neuen hat, hat er seinen Rechner an den großen Fernseher im Wohnzimmer angeschlossen. Ein Kinderspiel für den Praktiker. Auf der linken Hälfte des Riesenbildschirms schaut seine Tochter Kinderkanal, auf der rechten Hälfte sucht Al Iraki nach Jobangeboten.
"Also ich bekomme Angebotsstellen von Jobcenter und auch Internet, die Seite 'Arbeitsagentur'."
Ein halbes Jahr die Schulbank gedrückt
Al Iraki sucht inzwischen nach Stellen als Energieberater. Vor vier Jahren hat er eine Weiterbildung gemacht. Ein halbes Jahr lang hat er die Schulbank gedrückt, acht Stunden täglich gelernt. Grundlagen der Windenergie, Solarenergie und Kraftwärmekopplung. Projektmanagement zur Entwicklung energieautarker Gemeinden. Diese Weiterbildung hat er abgeschlossen, mit einem sehr guten Ergebnis.
"Und dann hab ich ein Jahr Job gesucht als Energieberater in Berlin und außerhalb ... gar nichts."
Später vermittelt ihm das Jobcenter eine Stelle als Packer bei Amazon, danach beim Onlineversand Zalando und bei Mac Donalds. Alles immer nur befristet. Auch heute ist kein Job im Angebot. Dabei sehnt er sich danach, das Gelernte endlich einmal anzuwenden. In seinem Notizbuch konstruiert er Stromspargeneratoren und andere technische Neuerungen. Er schickt seine Vorschläge auch an die Entwicklungsabteilungen großer Firmen. Dort ist sein Platz, glaubt er.
"Ich hätte gern, das irgendwie ein Institut oder eine Firma mir glaubt. Und versucht, meine Idee zu machen. Vielleicht diese Idee ist eine Phase von einem anderen Projekt oder anderer Forschung oder anderer Ideen."
Al Iraki fühlt sich dafür qualifiziert, aber was ihm fehlt, ist die Qualifikation, der Nachweis. Ohne Hochschulabschluss hat der 44-Jjährige hier in Deutschland keine Chance. Um trotzdem etwas Sinnvolles zu tun, bewirbt er sich bei Flüchtlingsheimen als Sprachmittler. Immerhin kann er deutsch und arabisch. Davon erzählt er auch ein paar Tage später seiner Berufsberaterin beim Jobcenter.
Auf dem Schreibtisch von Maria Schulz liegen Flyer für Qualifizierungen als Kraftfahrer, Pflegeassistent, Fachhelfer für Landschaftsbau. Schulz findet Al Irakis Idee mit dem Sprachmittler grundsätzlich gut, aber nicht zielführend.
"Er wollte seine Arabisch-Kenntnisse nutzen, und als Übersetzer tätig werden. Was aber schwierig war, da er da in diesem Bereich eher wenig Vollzeitstellen vorhanden sind, sondern eher ehrenamtliche Tätigkeiten oder auf Honorarbasis."
Darum hat sie ihm eine neue Weiterbildung ausgesucht. Als "Integrationscoach und Trainer für interkulturelle Kompetenzen".
"Also generell gibt's einen Markt durch diese ganzen Flüchtlingsthematiken. Das wird Deutschland auch noch eine Weile beschäftigen bzw. die Arbeitsvermittler und die Arbeitsvermittlung generell da halt zu qualifizieren und auch die Lücken sag ich jetzt mal zu füllen. Sei es jetzt in Willkommensklassen, generell die Sprachkurse. Also der Markt ist da wirklich sehr groß für Erwachsenenbildung."
Maria Schulz druckt den Bildungsgutschein aus. Mehrere Tausend Euro kostet diese Maßnahme. Al Iraki lernt dort Marketing, Rhetorik, Deutsch als Fremdsprache.
Schulz: "Und im Anschluss? Können Sie gleich arbeiten? Entweder direkt beim Träger oder bei anderen?"
Al Iraki: "Er hat mir gesagt, bei ihm gibt es keine Arbeit, aber er hat mir gesagt, ich hab die Möglichkeit mich."
Schulz: "Genau, genau."
Al Iraki: "Mich woanders zu bewerben."
Schulz: "Genau, bei den Trägern, die alle solche Kurse anbieten."
Es geht endlich wieder vorwärts
Der 44-jährige Iraker zückt seinen Kugelschreiber und unterschreibt. Es geht endlich wieder vorwärts. So wie Hassan Al Iraki vor zwanzig Jahren voller Hoffnung auf ein besseres Leben nach Berlin geflohen ist, so sind auch in den vergangenen zwei Jahren etwa eine Million syrische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Zwei von Ihnen haben sich in Neuruppin bei Maksym Morin zur Anerkennungs- und Qualifizierungs-Beratung angemeldet.
Der eine ist etwa 50 Jahre alt, ein hochgewachsener Mann mit einem scharfen Profil und hochgezogenen Augenbrauen über den grünen Augen. Man sieht ihm an, dass er es gewohnt ist, Anweisungen zu geben. Der andere ist dessen Neffe, hat schwarze lockige Haare und kann Englisch. Er übersetzt für seinen Onkel, der angegeben hat, Koch zu sein.
Maksym Morin: "Also wir beginnen mit dem syrischen Koch, mit Herrn Fa-ly-oun."
Muhamad Tameh: "Falyoun, it´s difficult the Arabic."
Maksym Morin: "Falyoun. Das ist die Erstberatung, ich hab keine Informationen."
Maksym Morin arbeitet sich langsam in die Biografie des syrischen Kochs ein, fragt, welche beruflichen Pläne Herr Falyoun in Deutschland hat. Muhamad Tameh, der Neffe übersetzt.
Muhamad Tameh: "Er würde gerne als Chefkoch arbeiten, wie bisher, gerne in einem Hotel."
Maksym Morin macht sich Notizen. Nach und nach stellt sich heraus, dass Saleh Falyoun ein Spitzen-Koch mit Leib und Seele ist. Schon sein Vater war Chefkoch im Sheraton Hotel in Damaskus. Mit 14 Jahren hat Saleh Falyoun dort angefangen. Jetzt ist er 50 und hat schon einige berufliche Stationen hinter sich.
Maksym Morin: "Wir klären jetzt im Moment wegen der Ausbildung, Ausbildungsdauer, und wo er das gemacht hat, wegen des Berufserfahrungsnachweises."
Gefragt sind Zeugnisse, Nachweise, ein Lebenslauf. Falyoun hat eine Plastiktüte dabei. Darauf ist Yoda, der Yedi Ritter aus den Star Wars Filmen. Und ähnlich wie dieser Fantasyheld habe auch sein Onkel Falyoun erstaunliche Fähigkeiten, erzählt der Neffe begeistert.
Muhamad Tameh: "Er kann mit geschlossenen Augen ein Huhn ausnehmen. In Griechenland hat er das gemacht. Man hat ihm die Augen verbunden und er hat ein Huhn küchenfertig zerlegt."
Maksym Morin ist zwar beeindruckt, aber für die Jobsuche in Deutschland hilft das kaum weiter. Was er braucht, sind Zeugnisse, Diplome, Qualifikationen. Falyoun holt einen Stapel Papiere aus der Tüte. Morin sortiert mithilfe des Neffen die Unterlagen, während Falyoun die Arbeitgeber aufzählt. Sheraton Hotel Damaskus, syrisches Tourismusministerium, an der Kochschule in Aleppo war er Ausbildungsleiter im Fach Fleischzubereitung. Zeitungsausschnitte zeigen ihn in Spitzen-Hotels in Frankreich und Wien.
Saleh Falyoun holt eine Schachtel Marlboro aus der Jacken-Tasche, seine Lieblingszigarette. Seitdem er arbeitslos ist, kann er sie nicht mehr richtig genießen.
Muhamad Tameh: "Er würde sich freier fühlen, wenn er rauchen kann, was er will. Die hier sind teuer in Deutschland und er bekommt das Geld vom Sozialamt. Das fühlt sich nicht gut an. Er sucht eine Arbeit, dann hat er eigenes Geld und kann damit machen, was er will."
Auf Hilfe angewiesen
Morin nickt. Das kann er verstehen. Ein Mann von seinem Format - und jetzt plötzlich auf Hilfe angewiesen. Aber er hat schon einen Plan, wie Chefkoch Falyoun einen adäquaten Platz in der Küche finden kann. Auch wenn der Weg dahin mit weiteren Bescheinigungen gepflastert ist.
Maksym Morin: "Ein syrischer Koch ist kein deutscher Koch. Was Sie in ihrer Ausbildung nicht gelernt haben, können Sie aber hier in Qualifizierungskursen nachholen. Das bietet unser IQ Netzwerk kostenlos an. Dafür müssten Sie sich bewerben. Wenn die Industrie- und Handelskammer Ihre Qualifikation zum Teil anerkennt, können Sie sich damit auch gleich um einen Job bewerben. Oder Sie machen noch eine Weiterbildung, um die volle Anerkennung zu bekommen."
Das kann dauern, bis zu drei Monaten. Saleh Falyoun nickt, obwohl er bestimmt nicht alles verstanden hat. Aber er vertraut Maksym Morin. Der schreibt als erstes ein Referenzschreiben für die Arbeitsagentur, damit kann sich Falyoun immerhin schon einmal arbeitsuchend melden.
Morin geht in den Nebenraum, und kopiert alle Unterlagen, die der Syrer mitgebracht hat.
Maksym Morin: "Wir machen jetzt Kopie von der Beschreibung des Berufes Koch auf Englisch für Herrn Falyoun, die restlichen Unterlagen, die er mir gegeben hat, mach ich Kopie davon und geb sie ihm zurück, weil er sie vielleicht woanders braucht."
Saleh Falyoun verstaut die Nachweise seines gesamten Berufslebens wieder sorgfältig in der Star Wars Plastiktüte. Morin wendet sich dem Neffen zu, der ebenfalls eine Beratung wünscht. Auch Muhamad Tameh ist Gastronom. Er ist ausgebildeter Hotelmanager, er hat ein entsprechendes Zertifikat eines syrischen Instituts und sechs Jahre Berufs-Erfahrung.
Muhamad Tameh: "Ich habe Erfahrung im Fast Food, Pizza, Pasta, Salat und Burger. Zubereitung und Service."
Nach seiner Flucht aus dem zerstörten Aleppo, hat er erst im Libanon gearbeitet, später in Schweden, bei einem arabischen Landsmann. Tameh ist zu seinem Restaurant gegangen und hat nach Arbeit gefragt. Der Chef hat ihn in die Küche geführt und Tameh hat gezeigt, was er kann. So einfach hat er bisher seine Jobs gekriegt. Leider hat er davon keine Zeugnisse, nur ein paar Handyfotos von den bunten Salattellern und den Nudel-Gerichten.
Morin ist begeistert. Die Bilder sind wertvolle Illustrationen der Bewerbung. Aber noch viel wichtiger sind in Deutschland Zeugnisse.
Maksym Morin: "Nur eine Bestätigung, dass sie da gearbeitet haben. In der Position, von dann bis dann. Ganz einfach. Das würde ihnen helfen, in Deutschland eine Arbeit zu finden."
Muhamad Tameh stöhnt und rollt mit den Augen, aber er verspricht, sich um die Papiere zu kümmern. Lieber würde er etwas vorkochen, als Papieren nachzujagen. Anderswo hat das ja auch funktioniert.
Muhamad Tameh: "Ich habe im Libanon gearbeitet, da brauchte man kein Zeugnis, sondern Erfahrung."
Maksym Morin: "In Deutschland ist das komplizierter. Da braucht man Belege, Belege, Belege. Nachweise sind alles. Qualität! Viele Leute kommen hierher und denken morgen fangen sie an zu arbeiten."
Muhamad Tameh: "Ist das nicht so?"
Maksym Morin: "Das ist nur der Anfang."
Die beiden Syrer verabschieden sich. Sie haben verstanden, dass es viele Möglichkeiten gibt, auch viel Unterstützung, aber einfach wird es nicht in Deutschland. Der bürokratische Bewerbungs-Dschungel ist schwer zu durchschauen.