Das elisabethanische Zeitalter
Seit 63 Jahren und 217 Tagen sitzt Queen Elizabeth II. auf dem Thron. Das ist länger als irgendein britischer Monarch zuvor. Während ihrer Regentschaft hatte das Königshaus einige schwere Krisen zu überstehen. Wo steht die britische Monarchie heute?
Vier Tage im Juni 2015. Die Queen reist durch Deutschland. Es ist ihr fünfter Staatsbesuch. Empfang im Schloss Bellevue bei Bundespräsident Joachim Gauck, eine Bootsfahrt auf der Spree. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt der Queen vom Balkon des Kanzleramts aus, wo früher die Mauer stand. Genau 50 Jahre ist es her, da kam Elizabeth II. zu ihrem ersten Staatsbesuch nach Deutschland, im Sommer 1965. Auch damals besuchte sie Berlin. Aus der Limousine blickte Elizabeth stumm auf das Brandenburger Tor, das unerreichbar im Osten der Stadt hinter Stacheldraht lag. In diesem Sommer winkt die Queen am Brandenburger Tor schaulustigen Berlinern zu, unter ihnen Doris Mai:
"Ich hab' sie vor 50 Jahren gesehen, damals war es eben das erste Mal und es war alles neu. Und da war halb Berlin auf den Beinen. Und heute ist es eigentlich schon ein bisschen vertrauter. Aber ich find's trotzdem schön, dass so viele Menschen auf der Straße sind. Weiß nicht, was man damit ausdrückt. Vielleicht Verehrung. Oder Sympathie oder was auch immer. Auf jeden Fall sind positive Gedanken dabei."
Verehrung würde Kristin aus Thüringen es nennen – sie lebt inzwischen in Berlin. Elizabeth II.in ihren schicken Kleidern, die war für Kristin ein exotischer Farbtupfer, als das Mädchen in der DDR aufwuchs. Kristin sammelte jeden Zeitungsschnipsel, den sie kriegen konnte. Und ist noch immer fasziniert:
"Und wie wunderbar sie aussieht! Haben Sie mal gesehen, was sie für eine schöne Haut hat? Das ist vielleicht das feuchte englische Wetter, das ist gut für die Haut…?"
Mit 89 Jahren noch bewundernswert fit – seit sechs Jahrzehnten repräsentiert Elizabeth II. das Vereinigte Königreich von Großbritannien in der Welt. 97 Staatsbesuche haben sie in alle Winkel der Erde geführt. Jubel und Begeisterung - wohin sie auch kommt. Die britische Insel kann sich keine bessere Werbeträgerin wünschen, meint der Historiker Robert Lacey, Autor mehrerer Bücher über die britische Königsfamilie:
"Die Magie der Monarchie: Man könnte das zynisch nennen, aber ohne die Queen würden wir nicht diese Touristenströme nach London locken. Und was die Kosten angeht: Die Queen kostet jeden der 60 Millionen Briten im Jahr weniger als eine Flasche Milch. Die Königin ist ihr Geld wirklich wert."
Unbezahlbar und auch immer noch bemerkenswert fit: der Mann an ihrer Seite. Prinz Philip, inzwischen 94 Jahre alt. Die Rolle seines Lebens: Immer zwei Schritte hinter seiner Frau gehen. Elizabeth und Philip – ein unschlagbares Team meint Robert Lacey:
"Prinz Philip ist die Geheimwaffe der Königin. Die beiden tragen ihre Verbundenheit nicht offen zu Schau, aber es hat Anlässe gegeben, wie Hochzeitstage, da hat Elizabeth ihre tief empfundene Zuneigung ausgedrückt. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie ist umgeben von 'Ja-Sagern'. Und er sagt Sachen wie: Dummes Weib, mach das Fenster zu. Das ist der frische Wind, den sie braucht, um ihren Job machen zu können."
Krönung als Mischung aus religiösem Akt und mittelalterlichem Pomp
Einen Job, den sie jetzt seit über 63 Jahren macht. Und den sie plötzlich und unerwartet schon als junge Frau übernehmen musste. Die Nachricht vom Tod ihres Vaters Georg VI. erreichte Prinzessin Elizabeth im Februar 1952 in einem Baumhaus in den Bergen von Kenia, als sie Nashörnern beim Trinken zuschaute. Der 56-jährige König war schon länger lungenkrank gewesen. Elizabeth brach die Afrika-Reise sofort ab und kehrte als Königin Elizabeth II. nach London zurück, nachdem der Thronrat sie zur Regentin proklamiert hatte. Später sagte die Queen über diese entscheidende Wendung in ihrem Leben:
"Mein Vater starb viel zu jung und ganz plötzlich. Es kam darauf an, das Beste aus dem zu machen, was in meinen Kräften stand, und die Tatsache zu akzeptieren, dass dies jetzt mein Schicksal war und dass Kontinuität ganz wichtig ist."
Prinz Philip kümmerte sich um die Details der Krönungszeremonie. Erst über ein Jahr nach dem Tod des Vaters, am 2. Juni 1953, konnte die Feier stattfinden. Es wurde ein Weltereignis von noch nie dagewesenen Ausmaßen – auch, weil erstmals das Fernsehen dabei war. Alle wollten live erleben, wie Elizabeth gekrönt wurde.
Fast hätte es die Live-Übertragung übrigens gar nicht gegeben: Die junge Königin fand Fernsehen vulgär und der Erzbischof von Canterbury nannte diese "massenproduzierte Form der Unterhaltung eine der größten Gefahren für die Welt". Der Druck aus der Bevölkerung war aber zu groß, und so lenkten Hof und Kirche am Ende ein.
Die Krönung geriet zu einer Mischung aus religiösem Akt und mittelalterlichem Pomp. Der Erzbischof von Canterbury salbte Elizabeth in der Westminster Abbey nicht nur zum Oberhaupt Großbritanniens und des Commonwealth, sondern auch der anglikanischen Kirche. So unerwartet der Zeitpunkt war – die 25 Jahre alte Prinzessin war auf den Thron vorbereitet, sagt ihr Biograf Robert Lacey:
"Die Queen wurde von früh an auf diese Aufgabe vorbereitet. Ihr Vater hat sie sehr gut unterrichtet. Sie hat viele Lektionen über die britische Verfassung bekommen. Und von einem sehr frühen Alter an hatte sie diese Ernsthaftigkeit, die zu ihrem Markenzeichen wurde."
Die Queen hält in ihrer Kutsche Einzug in Royal Ascot, und das Publikum jubelt ihr zu: Dies ist vermutlich einer der Termine im Jahr, auf den sie sich wirklich freut. Denn die Pferdenärrin reitet auch mit fast 90 Jahren selbst noch aus, sie besitzt einige Rennpferde, und sie wettet gern. Für ihr Volk bietet die Royal-Ascot-Woche im Juni eine der wenigen Gelegenheiten, die Queen einmal leibhaftig zu sehen – und darüber freut sich Besucher Robin:
"We live not far from London – and you don't often get the chance to see her in the flesh. Generally, we don't see a lot of her. So it's nice she is here."
Bond-Girl an der Seite von 007-Darsteller Daniel Craig
Auch wenn die Monarchin in den Medien dauerpräsent wirkt: Ihre Untertanen kommen ihr nur selten wirklich nahe.
Eine weitere Chance bietet auch die Royal Chelsea Flower Show, die Elizabeth II. seit Jahrzehnten besucht. Und im Juni wird stets der Geburtstag der Monarchin offiziell gefeiert, mit der traditionellen Parade "Trooping the Colour" in London:
Bei gutem Wetter fährt die Königin mit Prinz Philip in offener Kutsche die Londoner Prachtstraße Mall entlang, später zeigt sie sich mitsamt Familie auf dem Balkon des Buckingham Palastes.
Verdiente Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren, werden zu den jährlichen Teepartys in die Palastgärten eingeladen, zum Beispiel nach Holyrood, die königliche Residenz im schottischen Edinburgh. Wer Glück hat, darf sogar kurz mit der Königin plauschen – diese junge Schottin ist danach völlig aus dem Häuschen:
"Ich habe gerade zum ersten Mal die Queen persönlich getroffen und gesprochen, das war ein einzigartiges Erlebnis! Sie hat mit mir über die Universität St. Andrews geredet, wo ich studiert habe. Ich habe mich noch gar nicht erholt davon, ich bin wie in Schockstarre!"
Zurück nach Royal Ascot: Kaum haben Pferde und Jockeys im letzten Rennen des Tages die Ziellinie überquert, fährt auch schon der gepanzerte Bentley der Monarchin vor und bringt sie zurück zum nahe gelegenen Schloss Windsor. Elizabeth II. ist das mit Abstand beliebteste Mitglied des Königshauses; und ein Land ohne ihre Queen, das mögen sich Pat und Ainsley gar nicht vorstellen:
"Lang lebe die Königin!" – das ist ihr Wunsch. Während Elizabeth II. auf Windsor vermutlich schon die Füße hochlegt, feiern ihre Untertanen in Ascot bei Bier und Pimm's kräftig weiter – und singen schließlich gemeinsam "God save the Queen".
Es war im April 1953 eine der ersten Aufgaben der gerade gekrönten Queen, die königliche Yacht Britannia auf der Werft in Glasgow zu taufen: Das Schiff sollte sie 44 Jahre lang durch alle Welt begleiten. An Bord der königlichen Yacht wurde Geschichte geschrieben:
"Nelson Mandela, Rajiv Gandhi, Winston Churchill, Elizabeth Taylor, Ronald Reagan, und viele andere haben hier an Bord diniert",
sagt Casey Rust mit Blick auf den großen Speisesaal. Casey Rust managt die Touren durch das Innere der Yacht, die heute als Museumsschiff im Hafen von Edinburgh liegt.
Im State Dining Room sind die Geschenke der Staatsgäste ausgestellt. Zum Beispiel der geschnitzte Hai von den Pitcairn Inseln in Polynesien. Eine Friedenspfeife der Sioux Indianer, Stahltrommeln aus Trinidad, Speere aus Papua Neu Guinea, eine Steinfigur von den Osterinseln.
Es ist das britische Empire, das sich hier im State Dining Room der Yacht Britannia noch einmal in Erinnerung ruft. Ein Empire, in dem einst die Sonne niemals unterging, das aber bereits zerfallen war, als Elizabeth den Thron bestieg. Doch sie habe zumindest das Commonwealth der Ex-Kolonien am Leben gehalten, meint Robert Lacey:
"Die Queen hat es geschafft, das Commonwealth, das alte Britische Empire, zu etwas Neuem, Ungewöhnlichen und Wunderbaren zu machen. Die Historiker werden das einmal als die große Errungenschaft ihrer Regentschaft bezeichnen. Wenn die Queen alle vier Jahre zu den Gipfeltreffen des Commonwealth gereist ist, haben einige Staats- und Regierungschefs sie dort als eine Art Weiße Göttin angesehen. Das ist vielleicht politisch nicht korrekt, aber sie mag das."
Elizabeth II. ist noch immer Staatsoberhaupt von 16 Ländern, von großen wie Kanada, Australien und Neuseeland bis hin zu kleinen Inselstaaten im Pazifik und in der Karibik. Die Queen hat sie immer wieder gern und häufig bereist, und wenn es ging, am liebsten mit der königlichen Yacht Britannia. 1997 war Schluss damit. Die Labour Party hatte die Regierung übernommen, dem neuen Premierminister Tony Blair war der Unterhalt der Yacht zu teuer. Die Queen fügte sich schweren Herzens dieser Entscheidung.
Sie zeigt selten in der Öffentlichkeit Gefühle, aber als die Britannia im Dezember 1997 außer Dienst gestellt wurde und die Royal Marines Highland Cathedral spielten, musste sie sich eine Träne aus dem Gesicht tupfen.
Einen der wohl überraschendsten Auftritte ihrer bisherigen Amtszeit lieferte die Queen der Welt bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London im Sommer 2012: In einem kurzen Film spielte die damals 86-Jährige sozusagen ein Bond-Girl an der Seite von 007-Darsteller Daniel Craig.
"Die Queen zeigt Sinn für Humor, wenn sie keine Bedenken hat, bei so einem Filmchen mitzuspielen und zu erkennen, dass James Bond genauso für Großbritannien steht wie sie selbst", meint Robert Lacey. Je älter die Queen werde, desto lockerer und gelassener werde sie.
Die Queen repariert Lastwagen und fürchtet sich nicht vor Spülhänden
Aber was weiß man eigentlich über die private Queen? Wenig. Das steuert das Königshaus ganz bewusst. Denn wie ernüchternd wäre das, wenn das Volk Gewissheit hätte, dass sie im Buckingham Palast rumläuft und die Lichter ausknipst um Strom zu sparen und ihr Frühstück in Plastikdosen aufbewahrt! Dabei läuft es genauso, lacht Robert Lacey:
Die Queen kann ihre Rolle nur ausfüllen, wenn sie unnahbar bleibt. Etwas zu unnahbar muss sie auch für ihre Kinder gewesen sein, alle vier wurden aufs Internat geschickt. Thronfolger Charles ließ öffentlich durchblicken, dass er Mutterliebe als Kind vermisste. Pflichterfüllung kommt bei der Queen vor der Familie. Und wenn sie um einen ihrer Hunde trauert, kann sie das im Zweifel mehr treffen, als der Tod eines Verwandten:
"Eine Freundin der Queen schilderte mir mal, dass sie der Königin mit einem Brief kondolierte, als die IRA ihren Cousin Lord Mountbatten ermordet hatte. Die Queen bedankte sich auf zwei Seiten. Jahre später drückte die Freundin ihr Mitgefühl aus, als ein Hund der Queen nach einer Beißerei mit anderen Hunden starb. Die Queen schrieb auf 15 Seiten zurück, wie bestürzt sie sei. So tickt sie eben und das ist eindeutig auch Teil ihrer Überlebensstrategie."
Halt findet die Königin als Oberhaupt der Anglikanischen Kirche auch in ihrem Glauben. Als Monarchin erfüllt sie nach ihrem Verständnis Gottes Auftrag, weshalb eine Abdankung so gut wie ausgeschlossen ist. Bei der alljährlichen Weihnachtsansprache im Fernsehen mahnt sie dann ihrer Rolle gemäß, vor lauter Festtagstrubel nicht zu vergessen, dass Weihnachten in erster Linie ein religiöses Fest sei:
Was die praktischen Dinge des Lebens angeht, ist die Queen zupackend. Während des Zweiten Weltkriegs lernte sie, Lastwagen zu reparieren. Und sie fürchtet sich nicht vor Spülhänden, musste ihr ehemaliger Pressesprecher Dickie Arbiter feststellen. Der wurde kurz nach seinem Amtsantritt von der Queen zu einem Picknick in einer Blockhütte beim schottischen Schloss Balmoral eingeladen. Die Szenerie: Die Queen, Prinz Philip, eine Palastmitarbeiterin und Arbiter haben gerade Salate und Hühnchen aus Tupperdosen gegessen:
"Die Queen forderte uns auf, beim Abräumen zu helfen – also alle außer Prinz Philip. In der Küche am Waschbecken dachte ich, hinter mir steht die Palastmitarbeiterin. Ich rief über die Schulter: Ich spüle, Sie trocknen ab. Da sagte die Stimme: Nein, ich spüle und Sie trockenen ab. Es war die Queen und natürlich habe ich abgetrocknet."
Sollte die Queen tatsächlich Spülhände haben, bleibt das der Öffentlichkeit verborgen. Denn bei offiziellen Anlässen trägt sie natürlich stets Handschuhe.
In Deutschland ungewöhnlich weit aus dem Fenster gelehnt
Es ist eine prunkvolle Show, wie sie so nur die Briten zu inszenieren vermögen: Jedes Jahr eröffnet Elizabeth II. im britischen Oberhaus feierlich das parlamentarische Jahr. Was die Königin bei der Parlamentseröffnung vorträgt, hat nicht sie selbst geschrieben – sondern ihre Regierung: das politische Programm für das nächste Jahr. Denn das Vereinigte Königreich ist seit mehr als 300 Jahren eine konstitutionelle Monarchie, mit der Regentin oder dem Regenten als Staatsoberhaupt: Elizabeth II. unterschreibt also Gesetze, repräsentiert ihr Land, schüttelt viele Hände – aber sie mischt sich nicht in das politische Geschäft ein. Eine gute Rollenverteilung, findet ihr Untertan Robin:
"Wir wollen doch wohl nicht, dass ausschließlich unsere Regierung unser Land vertritt, oder? Gott bewahre! Natürlich ist die Regierung demokratisch gewählt – aber ich denke, viele haben das Gefühl: Es ist ganz gut, dass wir in der Queen noch eine weitere Institution haben."
Politische Zeichen setzt die Königin mit ihren Staatsbesuchen: So wie 2011, als sie als erste britische Monarchin die Republik Irland bereiste, gegründet 1921 nach einem blutigen Unabhängigkeitskampf gegen die Briten. Als Elizabeth II. beim Staatsbankett in Dublin Castle ihre Rede auf Gälisch begann, hatte sie die Herzen ihrer irischen Zuhörer gewonnen:
Ihr Besuch war eine Geste der Versöhnung und der Unterstützung des Friedensprozesses in Nordirland; die Königin sprach allen, die unter der schwierigen Vergangenheit gelitten haben, ihr tiefes Mitgefühl aus – Briten wie Iren.
Später schüttelte Elizabeth II. dem Vize-Chef der nordirischen Regionalregierung, Martin McGuinness, die Hand. Der frühere IRA-Kämpfer war mutmaßlich führendes Mitglied der Terrorgruppe, als diese 1979 Lord Mountbatten ermordete, den Cousin der Queen. Auch dieser Handschlag war ein politisch hoch symbolischer Akt.
Die Monarchin schwieg auch vor dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum vor einem Jahr, als es immerhin um den Fortbestand des Vereinigten Königreichs ging. Siesagte lediglich einigen Kirchgängern bei Balmoral, sie hoffe, die Schotten würden über ihre Entscheidung gründlich nachdenken. Elizabeth II. lege viel Wert darauf, als politisch absolut neutral zu erscheinen, sagt ihr Biograf Robert Lacey:
"Sie macht sich wirklich sehr viele Gedanken darüber. Wenn es zum Beispiel eine Parlamentswahl gibt, dann verlässt sie London und fährt nach Windsor – damit niemand sagen kann, sie würde die Wahl oder die Regierungsbildung beeinflussen. Und sie kommt erst dann zurück, wenn es eine klare Entscheidung gibt, wer künftig regiert."
Ungewöhnlich weit lehnte sich die Queen bei ihrem jüngsten Staatsbesuch in Deutschland aus dem Fenster, als sie vor einer Spaltung Europas warnte – wohl auch mit Blick auf das anstehende britische Referendum über den Verbleib in der EU.
Mutmaßlich befürwortet Elizabeth II. die weitere Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union, aber auch darüber kann ihr Volk nur spekulieren. Reine Spekulation bleibt auch, was sich bei den regelmäßigen Treffen der Queen mit ihren Premierministern abspielt, denn diese Gespräche sind geheim.
Schreckensjahr 1992
Ein Ausschnitt aus dem Theaterstück "The Audience" von Peter Morgan. Am Tag nach der Unterhauswahl im Mai dieses Jahres fährt David Cameron zum Buckingham Palast und bittet die Queen darum, ihn erneut zum Premierminister zu ernennen. In der Nacht hatten die Konservativen, gegen alle Meinungsumfragen, völlig überraschend die absolute Mehrheit gewonnen.
Ausschnitt aus dem Stück:
"War das nicht eine Überraschung?" – "Ja sehr, meine Frau hatte schon die Umzugskartons gepackt." – "Oh, dann müssen Sie jetzt wieder auspacken, ein neues Kabinett bilden und können erneut loslegen."
"War das nicht eine Überraschung?" – "Ja sehr, meine Frau hatte schon die Umzugskartons gepackt." – "Oh, dann müssen Sie jetzt wieder auspacken, ein neues Kabinett bilden und können erneut loslegen."
So oder ähnlich dürfte das Gespräch zwischen der Queen und Cameron verlaufen sein. Die Regierungschefs haben in der Regel ein Mal in der Woche am Mittwoch eine Audienz bei der Königin. Sie hat in ihrer langen Zeit auf dem Thron zwölf Premierminister erlebt. Der erste war Winston Churchill. Der alte Mann verehrte die junge Prinzessin und sie bewunderte den Kriegshelden, der das Land zum Sieg über Nazi-Deutschland geführt hatte. Ganz anders die Audienzen mit Margaret Thatcher. Zwei Frauen standen erstmals an der Spitze Großbritanniens – doch die Chemie zwischen den beiden stimmte überhaupt nicht. Elizabeth, die weltläufige Monarchin, Thatcher, die ehrgeizige Krämers-Tochter aus der Provinz. Und dazu noch politisch anderer Meinung, erklärt Robert Lacey:
"Die Queen mochte Mrs. Thatcher nicht. Sie war zum Beispiel ganz anderer Meinung in der Südafrika-Politik. Thatcher hatte überhaupt kein Problem mit der Apartheid. Ganz anders die Queen. Sie leidet überhaupt nicht unter rassistischen Vorurteilen, ganz im Gegenteil. Sie hat gesehen, wie Kolonien unabhängig wurden. Und sie hat erlebt, wie frühere Freiheitskämpfer und Terroristen wie Kenyata und Mandela zu respektablen Führern wurden."
Die Queen verachtete auch Thatchers marktliberale Reformen. Der Konflikt eskalierte, als die Queen 1983 in ihrer Weihnachtsansprache für eine gerechtere Verteilung zwischen Arm und Reich in der Welt warb. Ausnahmsweise bezog die Queen öffentlich eine politische Position – die Eiserne Lady in der Downing Street schäumte, als sie das hörte.
So diskret, wie die Queen normalerweise ihre politischen Ansichten verbirgt, so diskret würde sie am liebsten auch das Privatleben ihrer Familie verbergen. Das funktioniert im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit natürlich nicht immer. Während Elizabeth und Prinz Philip im November ihren 68. Hochzeitstag feiern, wurden drei ihrer vier Kinder bereits geschieden. 1992 entpuppte sich in dieser Hinsicht als Schreckensjahr – als "annus horribilis", wie eine erkältete Queen Elizabeth in ihrer Rede zum 40. Thronjubiläum erklärte: "Ich blicke ganz sicher nicht mit ungetrübter Freude auf dieses Jahr zurück."
1992 wurde Prinzessin Anne geschieden, Prinz Andrew trennte sich. Im November brannten Teile von Schloss Windsor nieder und im Dezember gaben dann auch noch Thronfolger Prinz Charles und Prinzessin Diana ihre Trennung bekannt. Premierminister John Major verlas vor dem Parlament die Mitteilung der Königlichen Familie:
"Mit Bedauern teilt der Palast mit, dass Charles und Diana sich trennen. Eine Scheidung ist nicht geplant."
Diana wusste nach der Trennung ihre Beliebtheit auszuspielen und das Königshaus wurde in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr zum Buhmann. Ein BBC-Interview, in dem Diana beklagte, dass es in ihrer Ehe immer etwas eng gewesen sei, weil sie mit Camilla Parker-Bowles, der jetzigen Frau von Charles, eine Ehe zu dritt hätte führen müssen, wurde zum Straßenfeger. 23 Millionen Briten saßen im November 1995 vor dem Fernseher:
Das Paar wurde dann doch geschieden. Ein Jahr später, am 31. August 1997 starb Diana, auf der Flucht vor Paparazzi, mit ihrem Freund Dodi al Fayed in einem Straßentunnel in Paris:
Die Queen unterschätzte die total unbritische Heftigkeit, mit der viele Menschen ihrer ungeliebten Ex-Schwiegertochter Diana nachweinten und stürzte das Königshaus damit in eine tiefe Krise. Die Blumenmeere vor den Palästen in London wurden immer größer. Doch die Königin blieb mit Dianas Söhnen William und Harry in Schottland, bis sie schließlich doch in einer Fernsehansprache Sympathie bekundete:
"Als Königin und als Großmutter erkläre ich von Herzen, dass Diana ein außergewöhnlicher und begabter Mensch war."
Die Monarchie brauchte Jahre, um sich vom Popularitätsverlust in den 90er-Jahren zu erholen. Zwei Lehren habe das Königshaus aus dieser Zeit gezogen, meint Robert Lacey:
"Eine Lehre war, anzuerkennen, dass die Monarchie einen Preis zahlen und Abbitte leisten musste. Das geschah durch die Stilllegung der königlichen Yacht Britannia, man zahlte mehr Steuern und gab sich demütiger. Die zweite Lehre war, dass man besser kommunizieren musste. Es wurden neue Technologien erschlossen, eine Internetseite fürs Königshaus, ein königlicher Twitter-Account und eine Facebook-Seite."
Im 64. Jahr ihrer Regierungszeit ist das Image der Königin wieder glänzend. Doch angesichts ihres Alters muss man sich natürlich Gedanken machen, was nach ihr kommen könnte:
Was kommt nach der Queen?
"Die Königin ist tot, es lebe der König": Eine Szene aus dem Theaterstück "Charles III.", das kürzlich in London zu sehen war – und in dem der Autor spekuliert, wie sich wohl der Thronfolger nach dem Tod seiner Mutter als König machen wird. Die meisten Briten können sich die Monarchie ohne diese Königin allerdings kaum vorstellen, meint Königshausbefürworter Simon.
Für ihn geht es aber nicht um die Königin als Person, sondern um die Monarchie als Institution; die möchte Simon erhalten – so wie die meisten seiner Landsleute. Nur jeder zehnte spricht sich – laut einer Umfrage – dafür aus, diese Staatsform mit Elizabeth II. sterben zu lassen. Graham Smith dagegen findet, Großbritannien sollte der Monarchie "Goodbye" sagen und zur Republik werden:
"Es sollte die Monarchie aus Prinzip nicht geben. Wir wollen doch eine demokratische Nation sein – aber die gründet auf der Idee, dass wir Bürger alle gleich sind. Während die Monarchie davon ausgeht, dass wir eben nicht alle gleich sind. Nun sagen manche: Lasst uns die Monarchie doch als Symbol behalten – aber sie symbolisiert eben das Falsche."
Eine echte Demokratie, eine geschriebene Verfassung, ein gewähltes Staatsoberhaupt: Das ist seine Vision. Schluss mit dem Vereinigten Königreich. Smith führt die Organisation "Republic", die für die Abschaffung der Monarchie kämpft. Bis er damit Erfolg hat, fordert er mindestens mehr Transparenz von dem – wie er sagt – "korrupten" königlichen Haushalt:
"Die Monarchie missbraucht ihre Position, um sich Zugang zu öffentlichen Mitteln zu verschaffen, die dann rein privaten Zwecken dienen. Und um ihre eigene politische Agenda und ihre Interessen gegenüber der Regierung zu verfolgen. Alles läuft hinter verschlossenen Türen ab, keiner muss Rechenschaft ablegen – das würden wir bei keiner anderen öffentlichen Institution akzeptieren."
Die Anhänger der Monarchie argumentieren, die royale Pracht koste jeden Steuerzahler nur 58 Pence pro Jahr. "Republic" setzt dagegen, dieser Anachronismus koste den britischen Staatshaushalt jedes Jahr rund 340 Millionen Pfund. 5000 Mitglieder und rund 35.000 offizielle Unterstützer: "Republic" ist nicht gerade eine Massenbewegung, die der Palast fürchten muss. Und seit die fotogene Kate Middleton frischen Wind in die königliche Familie gebracht hat, scheinen die Krisen der Vergangenheit vergessen - zumal sich die britischen Boulevard-Blätter nun auch noch am süßen Nachwuchs ergötzen können:
Die stolzen Eltern präsentieren der Medienmeute erst Prinz George und später Prinzessin Charlotte: Die beiden Jüngsten in der Thronfolge sind die neuen Allzweck-Waffen in der PR-Maschinerie Ihrer Majestät. Dass die Briten eine Revolution starten oder das Parlament mehrheitlich für die Abschaffung der Monarchie stimmt, ist nicht absehbar. Dennoch sollte sich die königliche Familie nicht auf dem momentanen Zuspruch ausruhen, warnt Beobachter Lacey:
"Man kann nichts vorhersagen. Die Monarchie ist nur so gut wie die Leute, die den Job machen. Und es kommt darauf an, wie sie diesen Job ausfüllen. Die Monarchie kann ihre Popularität nicht für alle Zeiten als gegeben annehmen."
Nach und nach überträgt Elizabeth II. Aufgaben, Reisen und Termine auf ihren Thronfolger Charles. Der 66-Jährige ist in den vergangenen Jahren deutlich beliebter geworden. Die meisten Briten sind dafür, dass er seiner Mutter nachfolgt – und selbst mit der Vorstellung von Camilla als Königin an seiner Seite haben sie sich angefreundet. Doch von seiner weltweiten Strahlkraft würde das Königshaus mit dem Tod der Königin sicher etwas einbüßen. Auch die deutschen Queen-Fans freuten sich, in diesem Sommer in Berlin noch einmal Geschichte atmen zu dürfen:
"Das ist wirklich historisch, ich glaube nicht, dass wir die Queen hier in Deutschland noch mal live erleben werden."
"Sie war schon immer da. Also man kann sich die Welt gar nicht ohne die Queen vorstellen."