Queer am Arbeitsplatz
Etwa ein Drittel aller Homosexuellen verheimlicht seine Identität am Arbeitsplatz, darunter auch beachtlich viele Mitglieder aus der Chefetage. © Getty Images / Manuel Arias Duran
Selbstbewusst raus aus der Anonymität
12:12 Minuten
Am Arbeitsplatz offen die eigene Homosexualität ansprechen? Rund ein Drittel aller Betroffenen entscheidet sich dagegen. Ein schwerer Fehler, meint der Coach Matthias Herzberg: Ein Selbstbekenntnis hilft allen - auch der eigenen Karriere.
"Ich lebe mit meinem Mann und Hund in Köln." Eine Frau, die sich so an einem neuen Arbeitsplatz vorstellt, wird damit kaum außergewöhnliche Reaktionen hervorrufen. Wie sieht es aber aus, wenn ein Mann sich so äußert?
Mit offen hämischen Kommentaren müsse man heutzutage zwar weniger rechnen, sagt der Coach und Buchautor Matthias Herzberg. Vielmehr verstecke sich Queerfeindlichkeit heute hinter dem Deckmäntelchen der "political correctness": "Ich sehe dann gelegentlich, dass ein Blick zu Boden geht, andere Leute weichen meinem Blick aus."
Heterosexuelle outen sich jeden Tag
Um solche und weitere Aspekte des Themas "Queerness am Arbeitsplatz" geht es in Herzbergs neuem Buch "Andersrum in die Chefetage. Queer Karriere machen in der Männerwirtschaft". Homosexuellen Menschen rät er darin dringend dazu, sich nicht zu verleugnen und auch am Arbeitsplatz zur eigenen sexuellen Orientierung zu stehen.
Dass einige Heterosexuelle darauf verschnupft reagieren und darauf verweisen, das Thema "sexuelle Vorlieben" hätte am Arbeitsplatz nichts verloren, hält Herzberg für ein Missverständnis: Man müsse unterscheiden zwischen "sexuellen Vorlieben" und "sexueller Orientierung" - erstere sind tatsächlich Teil der Privatsphäre, letztere aber Teil der eigenen Persönlichkeit: Und das Herausstellen der eigenen sexuellen Orientierung stehe beim Smalltalk unter "Heterosexuellen übrigens an der Tagesordnung".
Eine offene Arbeitskultur hebt die Leistung
Etwa ein Drittel aller queeren Menschen verheimlicht am Arbeitsplatz die Identität. Zu diesem Schluss kam eine Studie der Universität Bielefeld im Jahr 2020. Einen so beträchtlichen Teil der eigenen Identität zu verheimlichen, wie die sexuelle Orientierung ihn darstellt, zehre erheblich Energie, unterstreicht Herzberg. Das wirke sich auch auf die Leistungen und damit auf die Karriere aus: "Wer als halber Mensch zur Arbeit geht, erbringt auch keine ganze Leistung."
Eine offene Arbeitskultur liege daher auch im Interesse der Arbeitgeber: "In divers aufgestellten Teams werden bessere Entscheidungen getroffen, es werden kreative Potenziale ausgeschöpft. Ganz betriebswirtschaftlich gesprochen: Die Leistung ist einfach eine bessere, wenn es eine inklusive, diverse Unternehmenskultur gibt."
Auch deshalb findet Herzberg es wichtig, dass Führungskräfte klare Willkommenssignale aussenden - und zwar gegenüber allen Menschen, die von Ausgrenzung betroffen sind.
Wobei sich Homosexuelle selbst noch dann oft verleugnen, wenn sie es bis in die Vorstandsetage geschafft haben. "Aus Angst nicht mehr dazuzugehören", wie Herzberg beobachtet. Für sein Buch hat er mit vielen homosexuellen Geschäftsführern gesprochen, die anonym bleiben wollen. "Das Problem ist einfach die Angst, die ist in den Köpfen der Menschen einfach da."
Arbeit an Inklusion statt PR-Aktionen
Von Aktionen wie dem "Pride Month", in dem sich viele Großunternehmen werbewirksam mit Regenbogenfahnen schmücken, hält Herzberg hingegen nicht sonderlich viel. Wichtiger als solche kurzlebigen PR-Aktionen findet er, dass Firmen im Alltag überprüfbar an sich arbeiten, etwa indem sie Zeit, Geld und Räume zur Verfügung stellen, "in denen Aktivitäten wie zum Beispiel Vielfaltsnetzwerke stattfinden können, wo es einfach einen geschützten Raum zum Austausch gibt - während der Arbeitszeit."
Es reiche eben nicht, eine diversere Belegschaft aufzustellen - es müsse auch an der eigenen Unternehmenskultur gearbeitet werden.
Es geht nur gemeinsam - und mit dem Gesetz
Ohne "straight allies", also heterosexuelle Verbündete, werde dies allerdings nicht umsetzbar sein, glaubt Herzberg. "Das finde ich ganz wichtig, dass wir uns gegenseitig und füreinander engagieren und unterstützen."
Was aber, wenn man dennoch Opfer von Diskriminierung wird? Herzberg rät dazu, aus der Opferrolle herauszufinden: aufstehen, Grenzen aufzeigen und notfalls Vorgesetzte einbeziehen und die Diskriminierung zum Thema machen. Und "im Zweifel auch mal die Antidiskriminierungsstelle des Bundes anzurufen und sich zu erkundigen, welche formaljuristischen Möglichkeiten es gibt. Weil: Wir haben auch entsprechende Gesetze."
(thg)
Literaturhinweis
Matthias Herzberg: "Andersrum in die Chefetage. Queer Karriere machen in der Männerwirtschaft"
Lübbe, Köln 2022
304 Seiten, 16,99 Euro