Die schwulen Abenteuer des Harry Potter
Der Bestseller und Kinohit Harry Potter hat im Netz ein Eigenleben entwickelt - und zwar vor allem ein erotisches. In der "Slash Fan Fiction" wird er zum Protagonisten meist homoerotischer Szenarien. Auch die Kulturwissenschaft hat sich schon mit dem Phänomen beschäftigt.
Man muss im Netz nur das digitale Gleis neundreiviertel finden, und schon taucht man ein ins virtuelle Reich der Pottermania. Die Potterfans sammeln und tauschen keine Harry-Bildchen. Um die achtteilige Bücherwelt kreieren sie ein ganzes virtuelles Potter-Universum: Die Pottersaga wird weitergeschrieben und umgedeutet – der junge Zauberheld hadert in selbstgeschriebenen Kurz-Geschichten, kämpft in Anime, Manga und Graphic Novels, trifft im Computerspiel auf Voldemort und nicht zuletzt, aber zuhauf liebt er: im Potter-Porn. Dabei lassen die Potterianer ihrer Fantasie, im besten Sinne des Wortes, freien Lauf – und die ist ziemlich oft ziemlich queer.
"Dracos warmer Atem strich ihm über den Nacken. In Harrys Armen entspannte sich sein Körper ganz langsam, als ob er diese Position nie wieder verlassen wollte. Harry merkte, dass dies der Augenblick war, in dem er sich so wohl fühlte wie noch nie in seinem ganzen Leben."
Bei der sogenannten Potter-Slash-Fiction – also bei der homoerotischen Fan-"Literatur" – handelt sich nicht um ein paar pottersche Weiterdrehs im pinken Gewand: Es sind tausende! Hunderte allein in der sogenannten "restricted section" für über 18-Jährige. Und jugendfrei geht's bei diesen Potter-Porns tatsächlich nicht zu.
"Seine Zunge war heiß, sein Atem aber kalt. Ich wollte ihn so sehr, ich konnte es fast schmecken. Ich musste unbedingt wissen, wie dieses Spiel funktionierte. 'Was ist das, Potter?'. Er öffnete mein Hemd weiter, schob es beiseite, blickte mir in die Augen und leckte seinen Weg hinab bis zu meinem Bauchnabel. Und, oh Gott, es fühlte sich so gut an. Ich presste mich gegen ihn und…"
Queeres Coming of Age
Die Slash-Fiction treibt aber nicht nur Schmuddel-Blüten, sondern liest auch das Original quer bzw. queer, interpretiert es also im Sinne einer alternativen Geschlechterordnung und Begehrensstruktur. Das Potter-Setting bietet dabei so viel Stoff für die etwas andere Lesart, dass man meinen könnte, der Stoff möchte gegen den Strich gelesen werden.
Ausschnitt aus einem Harry-Potter-Film:
Harry Potter: "Something is going wrong. I had a dream about him. I'm going to tell you something. Something others would only have guessed it."
Ron: "I think he has a little bit more than friendship on his mind."
Harry Potter: "Something is going wrong. I had a dream about him. I'm going to tell you something. Something others would only have guessed it."
Ron: "I think he has a little bit more than friendship on his mind."
Auch dass der junge Zauberer in der Muggel-Welt unter seiner Andersartigkeit leidet, kann man unschwer etwas anders verstehen. Was Harry von seinen Fans in den Mund gelegt wird, klingt jedenfalls ziemlich oft nach queerem Coming of Age:
"Warum muss ich so anders sein? Ich wollte immer so sein, wie die anderen auch. Aber nein, ich muss diese Bürde tragen, dieses Geheimnis, das ich mit niemandem teilen kann. Aber ich kann zurückkehren und alles vergessen, oder? Ich kann zurückgehen und wieder Teil dieser Welt sein, die man normal nennt, die so gewöhnlich, so einfach ist. Teil einer Welt, zu der ich niemals gehören werde."
Stellt sich nur die Frage: Wessen Feder entspringen eigentlich diese unverblümten Fantasien?
Gespräch mit der Kulturjournalistin Catherine Newmark über das Phänomen "Slash Fan Fiction" und kulturwissenschaftliche Studien dazu (Moderation: Max Oppel):