Kampf um Anerkennung
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Queere Juden und Muslime haben mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen. Gegen viele Widerstände fordern sie ihren Platz in den Gemeinden ein. Der jüdische Verein Keshet und die Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee unterstützen sie dabei.
Freitagnachmittag in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Seit drei Jahren versammeln sich hier im ehemaligen Gemeinderaum einer Kirchengemeinde Musliminnen und Muslime, die in den traditionellen Moscheen keinen Platz fanden.
Mit dem Ruf "Allah ist groß! Kommt herbei zum Gebet!" beginnt das Gebet der Gläubigen. Nur: Hier ruft ein weiblicher Muezzin. Und noch etwas ist anders: Neben einer Vorbeterin und einer Imanin leistet sich die kleine Gemeinde auch einen LGBT*IQ Koordinator: Tugay Sarac, Ansprechpartner für Lesben, Schwule, trans- und intersexuelle Menschen.
Stimmt mit dir was nicht – oder mit deinem Gott?
Ich treffe Tugay vor einem seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte. Als einer von ganz wenigen offen schwulen Muslimen ist er ein gefragter Gesprächspartner auf Tagungen und Podiumsveranstaltungen. Er sagt: "Mir wurde von klein auf beigebracht: Homosexualität ist was Schlechtes." Das erste Mal hörte er das Wort von seinem Vater. Als der Junge Tugay den Kinderwagen seiner kleinen Schwester schieben wollte.
"Als mein Vater gestorben ist, dachte ich: Ich muss eine Stütze finden, ich muss mich davon heilen, und da hab ich den radikalen Islam genommen, denn der hat mir die einfachste Lösung gegeben: Bete fünfmal, faste".
Dass die Heilungsvorschläge der Internet-Prediger keine Lösungen, sondern Teil eines Problems waren, erkannte Sarac vor drei Jahren auf einer anderen Internet-Plattform:
"Das ist so ein News-Network mit einem amerikanischen Türken. Und der hat irgendwann ins Publikum gefragt: Warum glaubst Du eigentlich an einen Gott, der Dich eine Ewigkeit brennen lassen will, wegen Deiner Sexualität? Und dann hab ich mich gefragt: Ja, warum eigentlich?"
Wer anders liebt, muss um den Platz in der Gemeinde kämpfen
Schon oft hat er seine Geschichte öffentlich erzählt, aber noch nie auf einem Podium mit einem schwulen Juden, einer lesbischen Jüdin und einer transsexuellen Muslima. Eingeladen hatte vor gut zwei Wochen "Schalom Aleikum", eine Initiative des Zentralrats der Juden in Deutschland zum jüdisch-muslimischen Dialog. Die vier auf dem Podium verbindet eine Erfahrung: Die Ablehnung durch konservative Gemeinden. Sie alle mussten sich ihren Platz erkämpfen.
Leyla Jagiella reiste bis nach Asien, um ihn zu finden. Als Jugendliche konvertierte die Transfrau zum Islam. Sie meint:
"Der Islam war für mich erst mal eine wichtige Antwort. Aber ich bin auch in eine verhältnismäßig konservative Moschee gegangen als Teenager. Und gerade, wenn dir die Gesellschaft ein männliches Geschlecht zuweist und du einen religiösen Raum betrittst, der ja sehr stark nach Geschlechtern getrennt ist, du aber von dir sagst: Ich fühle mich als Frau – dann hast du natürlich ständig mit diesem Konflikt zu tun. Für mich war aber auch klar: Es muss im Islam auch positives Potential für Menschen wie mich geben."
In Asien kennt der Islam ein "drittes Geschlecht"
Dieses Potential fand sie in Indien und Pakistan, wo es seit Jahrhunderten die Vorstellung von einem dritten Geschlecht gibt. Fest verankert im traditionellen Islam, wo besonders an den Schreinen islamischer Mystiker Transfrauen als Pilgerinnen gleichberechtigt akzeptiert werden. Für Jagiella ein Befreiungserlebnis: "die Vorstellung, dass Trans-Sein da ist und nicht in Konflikt mit einer Tradition stehen muss."
Den Konflikt mit der Tradition hat auch Leo Schapiro in seiner Synagoge erlebt:
"Das jüdische Leben findet in sogenannten Einheitsgemeinden statt, was Vielfalt suggeriert – aber praktisch ist das immer eine einzig orthodox geführte Synagoge, wo kein Platz ist für queere Identitäten. Deswegen verlassen auch viele queere Juden die Gemeinden."
Damit wollte sich der Jurist nicht abfinden und gründete vor zwei Jahren mit anderen Lesben und Schwulen den Verein "Keshet", übersetzt: Regenbogen. Ausgrenzungen in den eigenen Gemeinden erleben queere Muslime ebenso wie queere Juden. Den Grund liefert eine Erzählung, die im Koran, in der Tora und somit auch in der Bibel überliefert wird. Sie handelt von Lot und zwei Engeln in der Stadt Sodom – und wird vielfach als Verbot von Homosexualität gedeutet
Sodom in den heiligen Schriften
Im ersten Buch Mose ist zu lesen: "Aber ehe sie sich legten, kamen die Männer der Stadt Sodom und umgaben das Haus, Jung und Alt, das ganze Volk aus allen Enden, und riefen Lot und sprachen zu ihm: Wo sind die Männer, die zu dir gekommen sind diese Nacht? Führe sie heraus zu und, dass wir uns über sie hermachen." In der 11. Sure des Korans heißt es: "Er sagte: 'Ihr Leute! Da habt ihr meine Töchter! Fürchtet Gott und bringt mich nicht hinsichtlich meiner Gäste in Schande! Ist denn kein rechtlicher Mann unter euch?' Sie sagten: 'Du weißt doch, wir haben kein Recht auf deine Töchter. Und du weißt wohl, was wir wollen.'"
Aber für Tugay Sarac, der mittlerweile Islamwissenschaften studiert, geht es bei der Sünde Sodoms um etwas ganz anderes: Es sei so, dass das Volk die beiden Engel vergewaltigen wollte.
Immerhin: Neben dem jüdisch-orthodoxen Mainstream gibt es mittlerweile auch kleine liberale Gemeinden mit offen homosexuellen Rabbinerinnen und Rabbinern. In den allermeisten deutschen Moscheen können offen homosexuelle Muslime dagegen höchstens hoffen, geduldet zu werden. In ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft werden sie mit ihrer sexuellen Identität nicht akzeptiert. In der Mehrheitsgesellschaft erfahren sie weitere Diskriminierung.
Queere Semiten erleben doppelte Diskriminierung
Antisemitismus und Antiislamismus haben Tugay Sarac und Leo Schapiro genauso erlebt wie Leyla Jagiella. Die Religionswissenschaftlerin und Ethnologin arbeitet in der Flüchtlingsberatung. Homosexuelle Geflüchtete werden doppelt diskriminiert, sagt sie:
"Was sehr häufig passiert, dass Geflüchtete hierher kommen und den Traum haben von Freiheit und Glück und so leben zu können, wie sie wollen – und dann sind sie erst mal mit diesem sehr schwierigen System konfrontiert, müssen sich ständig beweisen und machen dann die Erfahrung, dass sie in den LGBTQ-Communities ganz viel Rassismus, Fetischisierung erleben. Alles ein Konglomerat von verschiedenen Enttäuschungen."
Auch Leo Shapiro kennt das Problem durch seine Vereinsarbeit: "Gerade war ein schwules Keshet-Mitglied in einem Club und wurde, weil er einen Davidstern trug, von einem queeren Muslim mit unfassbaren Hasstiraden attackiert, fast handgreiflich, so dass Leute dazwischen gegangen sind." Was wünscht er sich? "Ich möchte nicht mehr die Frage gestellt bekommen, ob Homosexualität mit Judentum vereinbar sei", sagt Schapiro.
Selbstverständliche Akzeptanz in weiter Ferne
Tugay Sarac nickt zustimmend: "Ich wünsche mir, dass Muslime erkennen, dass Homoerotik immer ein wichtiger Teil der muslimischen Gesellschaft war. Ich wünsche mir, dass Muslime wieder ihre alte Literatur lesen." Die Liebeslyrik der Sufis, der islamischen Mystiker zum Beispiel, in denen die Liebe zwischen Männern als Bild für die Liebe des Menschen zu Gott interpretiert wird.
Zurück zur Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Tugay Sarac hat hier seine Heimat gefunden. Ein Dutzend Gläubige hat sich zum Gebet im ehemaligen Konfirmandenraum einer Kirchengemeinde versammelt. Gebetsteppiche sind ausgerollt. Ein filigraner Holzbogen markiert die Gebetsrichtung gen Mekka.
An das Polizeiauto und die Beamten draußen vor dem Eingang haben sich Sarac und die anderen mittlerweile gewöhnt. Seit die Gründerin der ersten liberalen Moschee in Deutschland, Seyran Ateş, Morddrohungen erhalten hat, wird sie rund um die Uhr bewacht. Bis der Gebetsruf wirklich alle Musliminnen und Muslime zum friedlichen Gebet vereinen wird, ist es noch ein langer Weg.