Queere Utopien und neue Zuversicht

Die Zeit der Nische ist vorbei

07:02 Minuten
Lil Nas X steht auf einer Bühne. Er trägt einen pinken Cowboy-Hut, ein pinkes Top und ein pinkes Röckchen. In der Hand hält er ein pinkes Mikrofon.
Lil Nas X polarisiert als schwuler Rapper - und er hat großen Erfolg. © imago images / MediaPunch
Von Benedict Weskott |
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Wie kaum ein anderer Musiker sorgt der schwule Rapper Lil Nas X für queere Sichtbarkeit. Viele queere Künstlerinnen und Künstler sind 2021 aus dem Schatten getreten. Die Barriere zum Mainstream scheint endgültig durchbrochen zu sein.
Für Jam Rostron alias Planningtorock, nicht-binäre:r Künstler:in mit Wohnort im estnischen Tallinn, sind Träume wahr geworden. Die drei Tracks „Gay Dreams Do Come True“, „Girl You Got My Heart“ und „Her Heart Is My Home Now“ sonnen sich in der Freude über eine erfüllte und erfüllende Liebe.

2021 wurden Träume wahr

"Es hat lange gedauert, die Art von Glück zu finden, die ich jetzt habe. Das wollte ich einfach feiern. Aber vor allem wollte ich feiern, dass ich endlich meinen homosexuellen Traum mit der Person, die ich liebe, leben kann. Ich habe versucht, etwas zu kombinieren, das die Liebe feiert, aber auch darauf hinweist, dass homosexuelles Glück, homosexuelle Freude vollkommen gültig sind. Wir haben genauso ein Recht darauf, glücklich zu sein und uns dieses Glück einfach zu nehmen."
Planningtorock erkundet mit „Gay Dreams Do Come True“ queere Freude und ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit, das damit zusammenhängt. Auch andere Träume wurden 2021 wahr: Neben der eigenen EP hat Jam Rostron mit der befreundeten Avantpop-Produzentin Arca den Song „Queer“ aufgenommen - zu finden auf einem der vier Alben, die die transfeminine, nicht-binäre Künstlerin im Laufe der vergangenen Woche nacheinander veröffentlichte.
Planingtorock alias Jam Rostron mit Mikrofon auf der Bühne bei einem Konzert.
Planingtorock beim Konzert 2019 in Berlin.© imago images / Carsten Thesing
Arca beschreibt ihre neuen Alben als „Heilungszauber“, als „Aufbrechen alter Haut“ und „den ersten pränatalen Kick“. Auch hier geht es also um eine neue Ära queerer Musik.
Für Jam Rostron ist "Queer" ein ganz besonderer Song.
"Hier kommen zwei queere Seelen zusammen, die diesen Raum einnehmen und Queerness feiern. Menschen sind einfach darauf angewiesen, Vorbilder zu sehen. Wir lernen von anderen. Wenn also die Gesellschaft eine bestimmte Gruppe aktiv unterdrückt, weil sie nicht heterosexuell ist, dann ist die Sichtbarkeit nicht gegeben, also müssen wir sie schaffen."

Seine Existenz ist für viele eine Provokation

Einer, der in 2021 wie kein anderer für queere Sichtbarkeit, Selbstbehauptung und Zuversicht stand, ist der US-amerikanische Rapper Lil Nas X. Er hat Rekorde gebrochen und reihenweise neue Meilensteine gesetzt. Allein seine Existenz als schwuler Rapper im heteronormativen Hiphop-Geschäft war für viele eine Provokation, aber Lil Nas X hat es auf die Skandale gezielt angelegt und sie positiv für sich nutzen können.
Der schwarze Rapper Lil Nas X steht auf der Bühne in einem pinken Röckchen, pinken Top und hält ein pinkes Mikrofon in der Hand. Mit der anderen Hand fast er sich in den Schritt.
Der schwule Rapper Lil Nas X ist in der heteronormativen Rap-Szene eine Provokation.© imago images / MediaPunch
"Ich kann gar nicht in Worte fassen, was es bedeutet, dieses Album zu hören und zu sehen, wie unbeschwert er da ran geht", sagt Lil Nas X über sich selbst. "Wenn die Leute sagen: 'Ja, aber du hast eine schwule Agenda', dann sagt er: Ja! Und macht dann einen ganzen Song über 'schwule Agenda'. Er verwandelt es in etwas wirklich Konstruktives und Positives. Darin ist er sehr, sehr talentiert. Das ist wirklich genial."
Im Gegensatz zur Popkultur der 90er und Nuller Jahre zeigt das Beispiel Lil Nas X: Die Angst queerer Künstler und Künstlerinnen vor dem Skandal, der das Karriereaus bedeuten könnte, hat langsam, aber sicher ein Ende. Und damit auch das Versteckspiel.
Das neue Selbstbewusstsein zeigt sich auch an den verschiedenen Wirkungsgraden: Während Lil Nas X Verkaufsrekorde gebrochen hat und Planningtorock und Arca seit Jahren treue Fangemeinden haben, konnten sich auch queere Newcomer wie die bisexuelle Musikerin Arlo Parks oder Dua Saleh, nicht-binär:e, britische:r Künstler:in, im Laufe des Jahres erfolgreich in den Hitlisten platzieren.

Kämpferischer Aufbruch

Für Planningtorock ist mit Erfolg und Sichtbarkeit eine klare Verantwortung verbunden:
"Ich empfinde es als meine Pflicht, optimistisch zu sein, weil so viele queere Menschen für die Rechte gekämpft haben, die ich heute genieße. Die Tatsache, dass ich heiraten kann, verdanke ich den queeren und Trans-Menschen, die in Stonewall gekämpft und alles geopfert haben. Sie haben wirklich, wirklich hart gekämpft."
Kim Petras steht in einem grell-grünen Kleid auf der Bühne. Mit einem Finger zeigt sie ins Publikum.
Kim Petras Song "Future Starts Now" ist eine Kraft gebende Hymne.© imago images/Future Image
Kämpferische Aufbruchsstimmung spielt auch bei der deutschen, transgeschlechtlichen Pop-Künstlerin Kim Petras ein Rolle. In großformatigen Gigs bei US-amerikanischen Preisverleihungen präsentierte sie in den letzten Monaten unter anderem ihre Single „Future Starts Now“.
„Kein Mensch wird mich aufhalten / Du bist nicht einfach irgendwer / Gib nicht auf, die Zukunft beginnt jetzt“, singt Kim Petras. Diese Empowerment-Hymne steht exemplarisch dafür, dass Queerness 2021 endgültig die Zugangsbarriere zum Mainstream durchbrochen hat. Daraus folgt ein neues Selbstbewusstsein, die Zeit der Nische ist endgültig vorbei.

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