Weniger Raum für die Extremisten
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Vor dem Hintergrund des Tankstellenmords in Idar-Oberstein fordert der Journalist Ulrich Wickert, die Werte der deutschen Gesellschaft nachhaltiger durchzusetzen. Dabei kritisiert er auch die Justiz - und einen Wahlwerbespot der CDU.
Der tödliche Angriff von Idar-Oberstein beschäftigt die Republik. "Die Bundesregierung verurteilt diese gezielte Tötung auf das Schärfste", sagte eine Regierungssprecherin in Berlin. "Die Enthemmung der Gewalt macht sprachlos."
Unerträglich sei, dass die Tat in sozialen Medien zum Anlass genommen werde, mit öffentlichen Aufrufen zur Gewalt die Gesellschaft in Deutschland zu spalten. "Das ist verstörend und muss aufhören", betonte die Sprecherin.
Entsetzt über das Chemnitzer Urteil
So sieht das auch der Journalist und Buchautor Ulrich Wickert. Die Gesellschaft lasse den Extremisten zu viel Raum, sagt Wickert. "Wir müssen mehr Klarheit haben, wie wir mit diesen Leuten umgehen."
Wickert plädiert dafür, auf die "Werte der Gemeinschaft" zu achten und diese auch durchzusetzen. Dabei betreibt er auch Justizschelte: Über die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Chemnitz, die "Hängt die Grünen"-Plakate einer rechten Partei nicht aus dem Verkehr zu ziehen, sei er entsetzt gewesen.
Die Querdenker fühlten sich von solchen Urteilen bestätigt, kritisiert der Journalist - genauso wie von einem Wahlwerbespot der CDU, in dem ein bekannter Mann aus der Szene auftauche.
Die Coronaleugner radikalisieren sich
An dem Chemnitzer Urteil, das mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit begründet wurde, hatte es bundesweit Kritik gegegen. Das Landgericht München I hat der rechtsextremen Splitterpartei "Der III. Weg" das Aufhängen der Plakate inzwischen verboten.
Vor dem Hintergrund der Bluttat von Idar-Oberstein hat auch die Polizeigewerkschaft GdP vor einer Radikalisierung der Coronaleugner-Szene gewarnt. "Das ist der erste Fall einer Tötung in Verbindung mit Corona", sagte GdP-Vize Jörg Radek der Funke Mediengruppe. "Wir nehmen seit letztem Jahr eine Radikalisierung von Corona-Gegnern wahr."
Die schwere Straftat sei jedoch bislang ein Einzelfall, so die GdP. Das betont auch das Bundesinnenministerium. Deswegen könnten auch "keine generalisierenden Rückschlüsse" gezogen werden, sagte ein Sprecher. Grundsätzlich beobachte das Ministerium, dass sich die Szene der Querdenker verkleinere, sich dieser kleinere Kern aber zunehmend radikalisiere.
Die Tatwaffe lag in der Wohnung
Am vergangenen Samstag hatte ein mutmaßlich der Querdenkerszene nahe stehender 49 Jahre alter Mann einen 20-jährigen Kassierer an einer Tankstelle in Idar-Oberstein erschossen.
Nach Angaben der Ermittler hatte das Opfer den Tatverdächtigen zuvor auf die Maskenpflicht hingewiesen. Der mutmaßliche Täter wollte ohne Mund-Nasen-Schutz Bier kaufen.
Nach der Tat war er festgenommen worden. Bei seiner Vernehmung soll er seine Ablehnung der Anti-Corona-Maßnahmen deutlich gemacht haben. Bei einer Wohnungsdurchsuchung konnte die Tatwaffe sichergestellt werden. Inzwischen untersucht die Polizei die Aktivitäten des Mannes in den sozialen Medien.
(ahe/rtr)