Quereinsteiger

Warum sich Männer zu Erziehern ausbilden lassen

Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund
Nach wie vor die große Ausnahme: ein männlicher Erzieher in einer Kita. © Imago
Von Johannes Kulms · 01.08.2018
In ihrem ersten Berufsleben waren sie Ingenieure, Historiker oder Banker. Jetzt lassen sie sich im Rahmen des Bundesprogramms "Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas" zu Erziehern ausbilden. Die Mehrheit der Teilnehmer sind Männer.
Noch haben Paul Teubler und Nils Kimme Urlaub. Doch schon in wenigen Tagen beginnt für die beiden ein neues Abenteuer. Sie starten in ihren Beruf als Erzieher. Paul Teubler sitzt etwas versunken in einem Plüschsessel im Café Mumpitz auf dem Kieler Ostufer und sagt: Eigentlich habe seine Schwester diese Berufswahl schon vor langer Zeit vorweggenommen.
"Es war einfach so, als ich mit 18 Jahren aus dem Haus ging und sie dann zwölf Jahre alt war, dass sie dann wie völlig selbstverständlich gefragt hat, wieso ich denn nicht Erzieher werde. Weil sie einfach wohl auf ihre Weise schon früh erkannt hat, dass ich da einfach so viele Talente in mir trage."

Viel Arbeit, wenig Lohn - ein Job für Idealisten

Doch ihm selbst habe damals womöglich der Mut gefehlt, gegen den Zeitgeist zu gehen und zu sagen: Ich will mit Kindern arbeiten. Teubler wurde stattdessen Umweltingenieur und ging in die Solarbranche. 2012 machte er sich selbstständig im Bereich Naturpädagogik und arbeitete somit auch verstärkt mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Der heute 38-Jährige tastete sich also ran an sein neues Berufsfeld.
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Ein Umweltingenieur und ein Historiker werden Erzieher: Paul Teubler (li.) und Nils Kimme.© Deutschlandradio / Johannes Kulms
Der 37 Jahre alte Nils Kimme hat Geschichte studiert und danach im Museumsbereich gearbeitet. Nach einem Schicksalsschlag in seiner Familie fragte Kimme sich: Will ich nicht vielleicht einen anderen beruflichen Weg einschlagen? Und so entschied er sich ebenso wie Paul Teubler für einen Quereinstieg als Erzieher. Auch wenn Kimme bereits ahnte, dass sein neuer Beruf stressig werden könne und ihn garantiert auch nicht reich machen würde.
"Also, ich glaube, die Beweggründe waren schon auch ein gewisser Idealismus. Dass man sich gesagt hat, wir haben auch die Chance, in dem Beruf auch die Welt so im Kleinen etwas besser zu machen. Eben gerade, wenn's darum geht, dass wir Kinder haben, die nicht dieselben Grundlagen und Basen haben, um bestimmte Ziel zu erreichen im Leben wie andere.
Also, wir haben ja die Inklusion, die jetzt ein großes Stichwort ist. Wir haben Kinderarmut. Und jetzt in diesen Zeiten ist ja auch Migrationshintergrund ein Thema, das immer wichtiger wird. Dass wir da die Möglichkeit haben, in unserem Beruf gegenzusteuern gegen Benachteiligung."

Nur fünf Prozent aller Erziehungskräfte sind Männer

Bis heute sind Männer im Erziehungswesen die absolute Ausnahme. Zwar hat sich ihr Anteil in den letzten Jahren erhöht, allerdings auf niedrigem Niveau. 2016 waren laut Statistischen Bundesamt nur 5,2 Prozent aller Erziehungskräfte männlich. Die meisten Quereinstiegsprogramme, die das ändern sollten, sind aus Sicht der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft nicht erfolgreich gewesen. Oft seien diese Programme unbezahlt. Und häufig seien die Ausbildungen nur "landesrechtliche Krücken", die nur in dem jeweiligen Bundesland anerkannt würden, so die GEW.
Anders bei dem bundesweiten Programm "Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas", an dem Paul Teuchler und Nils Kimme teilgenommen haben. Das Programm läuft in Kooperation mit dem Bundesfamilienministerium und hält einen Abschluss als staatlich anerkannter Erzieher bereit. Die Ausbildung dauerte drei Jahre. Zwei Tage die Woche pendelten Teuchler und Kimme von Kiel zum Unterricht im Berufsbildungszentrum nach Mölln.
Das sei anstrengend gewesen, weil die Autofahrt pro Richtung mindestens anderthalb Stunden dauert, sagt Nils Kimme. Andererseits seien sie gleich vom ersten Tag der Ausbildung bei ihrem Träger in Kiel angestellt gewesen und damit mitten in der Praxis.
"Dadurch hatten wir nicht einen Block Schule und dann einmal zehn Wochen Praktika im ersten Jahr und nochmal zehn Wochen im zweiten. Sondern wir waren wirklich von Anfang an direkt an den Kindern und an den Schülern dran. Also, das war schon ein Riesenvorteil. Und es war halt eine vergütete Ausbildung, vergleichbar mit einer Teilzeitausbildung, könnte man sagen."

Vom Ex-Banker bis zum Historiker ist alles dabei

1.250 Euro brutto erhielten die beiden jeden Monat. Insgesamt 16 Männer und acht Frauen waren im ersten Jahrgang dabei. Die Altersspanne reichte von Mitte 20 bis Mitte 50. Frühere Banker seien genauso dabei gewesen wie ehemalige Fachkräfte aus dem Groß- und Außenhandel, sagt die Möllner Klassenlehrerin Heike Heitmann.
"Und gerade diese Individualität der Fachkräfte ist eine große Bereicherung für die pädagogische Arbeit."
Sie ist sicher: Mehr Männer im Erziehungsberuf können die Branche verändern.
"Ich glaube, dass wir ganz viele Jungs und ganz viele sowohl im Elementarbereich als auch im schulischen Bereich haben. Und ich glaube, dass die Gewichtung von pädagogischen Fachkräften genauso geschlechtergemischt sein sollte, heterogen. Dass auch männliche und weibliche Fachkräfte in unterschiedlicher Verteilung da sein sollten. Individualität macht da die Stärke aus – auch von männlichen Fachkräften."

Stehen männliche Erzieher unter Generalverdacht?

Ähnlich sehen es auch Paul Teubler und Nils Kimme. Sie wissen, dass ihnen manches Elternpaar womöglich etwas misstrauisch gegenüber treten könnte. Stichwort: Generalverdacht.
"Wir haben auch Seminarsitzungen darüber gehabt, wir haben das Thema auch vielfältig thematisiert, auf Fachtagen und von verschiedenen Seiten beleuchtet." Nils Kimme hat auf jeden Fall während seiner Ausbildung in den letzten drei Jahren viel positives Feedback bekommen von Eltern und Arbeitskollegen.
"Ohne dass auch gleichzeitig irgendwelche Gender-Klischess erfüllt werden mussten. Also, wir waren jetzt nicht die, die unbedingt Fußball spielen mussten oder handwerklich aktiv waren. Also, wir konnten halt in unserer Rolle einfach sein, wie wir sind, und das war auch ganz schön."
Kimme wird in wenigen Wochen als "Springer" in drei Kieler Kitas anfangen. Paul Teubler zieht es dagegen erstmal in die Schulbetreuung. Beide sind sich sicher: Sie wollen in der Pädagogik bleiben.
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