Der unbequeme Partner aus dem Freistaat Bayern
Mit den Bayern hat man es schwer – aus Berliner Sicht. Das Verhältnis der Schwesternparteien CDU und CSU wird wird immer schwieriger. Bayerische Unabhängigkeitserwägungen sind zwar noch eine Minderheiten-Position, aber sie prägen zunehmend das Miteinander in Bayern.
Florian Weber: "Grüßgott Herr Watzke, ich freue mich, dass Sie hier in der Landesgeschäftsstelle der Bayernpartei sind. Mein Name ist Florian Weber, ich bin der Parteivorsitzende der Bayernpartei."
München, Baumkircher Straße 20. Ein schmuckloses Bürogebäude an einer Ausfallstraße im Osten der Stadt. Zwischen Zahnarztpraxis und Sonnenstudio. Außergewöhnlich ist nur die Einrichtung in der Bayernparteizentrale. Oder, wie es der Vorsitzende Weber nennt,
"in unseren heiligen Hallen, in Anführungszeichen. In einer – sie sehen es ja hier – vielleicht etwas anderen Parteizentrale. Sie sehen es an den Bildern, an den Plakaten, den Fahnen. Wir verneinen nicht, dass wir eine lange Geschichte haben, eine lange bayerische Tradition."
Alles in diesem Büro ist bajuwarisch. Die Wimpel mit der weißblauen Raute, die Bierkrüge mit dem bayerischen Löwen, die Kruzifixe, die in jedem Zimmer hängen. Und überall: Fahnen.
"Wir haben noch einen Fundus von zwölf schönen Parteifahnen. Früher war das bei allen Parteien üblich, dass man mit Fahnen einzog. Die gibt’s noch bei uns, die hängen hier. Auch eine sehr schöne Standarte ist da."
Bayernpartei hat die besten Zeiten hinter sich
Sogar die Bräuche sind bayerisch im Büro von Florian Weber. Der gemütliche Oberbayer zieht eine kleine Schachtel aus der Tasche seiner grünen Trachtenjacke.
"Möchten Sie auch eine Prise Schnupftabak?"
Eine Prise Schnupftabak. Viel bayerischer geht’s wirklich nicht. Der 52-Jährige tippt mit dem Zeigefinger auf das Schnupftabak-Döschen, bis ein kleiner, brauner Pulverhaufen auf seinem Handrücken liegt.
Und dann entspannen sich Webers Gesichtszüge. Das Interview kann beginnen. Meistens wird Weber zuerst nach der Vergangenheit befragt, weil die Bayernpartei ihre erfolgreichste Zeit schon hinter sich hat. In den 50er-Jahren machten 20 Prozent der bayerischen Bevölkerung ihr Kreuz bei den "Boarischen". Das waren Zeiten – da war Weber noch gar nicht geboren. Der Parteivorsitzende seufzt:
"Wir wollen natürlich lieber über die Zukunft reden. Die Historie ist schön und natürlich interessant, aber die Zukunft ist für uns wichtiger und bedeutender."
Die Zukunft – die sieht Weber zum Beispiel im Internet.
"Die Bayernpartei ist inzwischen in Bayern – wenn Sie zum Beispiel Facebook anschauen – die zweitstärkste Partei. Das merken Sie auch in den sozialen Netzwerken. Nach der CSU, die weit vorne ist. Aber nach uns ist auch eine große Lücke, bevor die nächsten kommen. Wir merken, dass die Aufmerksamkeit steigt. Ganz dramatisch!"
Staatliche Unabhängigkeit als Ziel
So dramatisch, dass sich die Stimmanzahl der Bayernpartei bei der letzten Landtagswahl mehr als verdoppelte – allerdings nur von 1,1 Prozent auf 2,1 Prozent. Besser läuft es erstaunlicherweise in der Landeshauptstadt München. Im dortigen Stadtrat hat die Bayernpartei inzwischen fünf Sitze und ist damit zweitstärkste Oppositionspartei nach den Grünen. Wobei allerdings vier der fünf Stadträte erst nach der Kommunalwahl zur Bayernpartei wechselten. Sie hatten sich mit ihren eigenen Fraktionen zerstritten. Die Bayernpartei ist in München quasi zum Auffangbecken der Unzufriedenen geworden. Parteichef Weber will die Münchner Stadtrats-Fraktion nicht überbewerten:
"Das ist Kommunalpolitik. Da muss man die Kirche auch im Dorf lassen. Der Münchner Stadtrat wird nicht entscheiden über die Eigenständigkeit Bayerns. Das ist mitnichten so."
Und genau diese Eigenständigkeit Bayerns ist das Thema der Bayernpartei. Keine andere bayerische Partei hat das Ziel der staatlichen Unabhängigkeit als zentrales politisches Anliegen in der Parteisatzung festgeschrieben. Obwohl die CSU immer wieder mal damit spielt, klagt Weber:
"Tja, wir wissen ja, dass die CSU immer sehr geschickt auftritt, besonders vor Wahlen. Und dort auch die bayerische Fahne hochhebt und sehr auf Bayern pocht. Sich sehr bayerisch generiert [sic]. Aber spätestens am Wahlabend ist das vergessen und wird erst wieder vor den nächsten Wahlen hervorgekramt."
So gehe das schon seit Jahrzehnten, ärgert sich Weber. Und in den letzten Jahren sei die CSU noch dreister geworden. Es sei ja bekannt,
"dass der CSU-Chef große Töne spuckt, aber meistens nichts rauskommt dahinter."
Der CSU-Chef – das ist Horst Seehofer. Bayerns Ministerpräsident hat das Verhältnis München-Berlin soeben um die erste deutsch-bayerische Brieffeindschaft bereichert. Wohlgemerkt: Brieffeindschaft, nicht Freundschaft.
Horst Seehofer: "Brieffreundschaften liegen lange zurück. Sehr lange. Jahrzehnte. Das waren aber eben nette G‘schichten."
Nette G’schichten – die erlebt Seehofer mit Angela Merkel immer seltener. Der CSU-Chef hatte der CDU-Chefin Anfang des Jahres einen dicken Brief nach Berlin geschickt – inklusive Verfassungsgutachten. Vor ein paar Tagen, also drei Monate später, kam ein dürrer Antwortbrief aus dem Kanzleramt zurück. Gerade mal drei Seiten. Seehofer gab sich betont desinteressiert.
"Persönlich hab ich ihn noch nicht gelesen, das werde ich im Laufe der Tage tun. Es ist nicht so, dass bei uns besondere Hektik ausbricht, wenn aus dem Bundeskanzleramt ein Brief eingeht. Wir machen das in aller Ruhe. Das Kanzleramt hat sich ja auch viele Wochen Zeit genommen."
Inzwischen hat Seehofer den Merkel-Brief gelesen – und festgestellt,
"dass zu den zentralen Argumenten relativ wenig gesagt wird."
Und deshalb setzt Seehofer seinen Eiertanz fort. Er droht der Kanzlerin weiterhin mit einer Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Aber in der CDU machen sie sich mittlerweile lustig über "Crazy Horst", den Häuptling der Bayern. Nun reich‘ die Klage doch endlich ein, sagt zum Beispiel Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion.
"Es gab mehrfach Bund-Länder-Streitigkeiten. Die hat es schon häufiger in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben. Insofern macht es auch Sinn, dass man, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist, es mal rechtlich bewerten lässt."
In Berlin wird Verhältnis der Unionsparteien immer frostiger
Aber davor scheut Seehofer noch zurück. Weil derzeit die Flüchtlingszahlen niedrig sind, heißt es aus der CSU. In der SPD glaubt man, Seehofers Zögern habe andere Gründe. Markus Rinderspacher, Fraktionschef der bayerischen Sozialdemokraten.
"Juristisch hat diese Klage überhaupt keine Chance. Die Grundlage wäre ein Staatsnotstand im Freistaat Bayern oder ein Staatsnotstand in der Bundesrepublik. Und beides haben wir nicht."
Aber wir könnten einen Staatsnotstand kriegen, erwidert Thomas Kreuzer. Der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag will, dass der Bund die deutschen Grenzen besser schützt:
"Das Motto 'Was ich nicht will, das kann nicht sein' ist keine Sicherheitspolitik. Da der Außenschutz an den EU-Grenzen nicht gegeben ist, kann kein Zweifel bestehen, dass wir wirksame Kontrollen im Innern der Europäischen Union brauchen. Ich halte auch nichts davon, sich auf die Nachbarländer zu verlassen. Nach dem Motto: schön, dass Österreich und Mazedonien handeln, dann brauchen wir nichts mehr zu tun. Wir müssen die Kontrollen an den bundesdeutschen Grenzen zu Österreich aufrechterhalten. Die Bundespolizei darf das nicht aufgeben, sondern sie müssen intensiviert werden."
Der Schwesternstreit geht weiter. Nichts deutet derzeit auf eine gemeinsame Linie von CDU und CSU hin. In Bayern fällt es Horst Seehofer immer schwerer, einerseits über die Kanzlerin zu schimpfen, andererseits keine Konsequenzen zu ziehen, wenn Merkel sich nicht bewegt. Und sie bewegt sich nicht. In Berlin wird das Verhältnis der Unionsparteien immer frostiger, bemerkt der bayerische SPD-Bundestags-Abgeordnete Martin Burkert.
"Natürlich können sich Schwesterparteien Briefe schreiben. Wenn es aber um Verfassungsgerichtsklagen geht, dann wird es hochproblematisch. Das schadet der Familie, in dem Fall der ganzen Koalition."
Flüchtlingspolitik belastet Verhältnis zwischen CDU und CSU
Daheim, in Bayern, stänkert derweil die Opposition. Margarete Bause, Grünen-Fraktionschefin im bayerischen Landtag, geißelt Seehofers Forderung, die Grenzen zu Österreich besser zu schützen.
"Was machen Sie von der CSU? Sie von der CSU würden sich am liebsten in die Zaunbau-Brigade einreihen. Sie bieten gleich noch bayerische Polizisten an, um den Brenner dichtzumachen. Den Brenner! Wissen Sie, was der Brenner bedeutet? Der Brenner ist das Symbol der europäischen Integration. (Beifall) Am Brenner zeigt sich, ob Europa eine Zukunft hat, oder ob es zurückgeht in die Nationalstaaterei und in die Kleinstaaterei. Und das, was am Brenner derzeit passiert – und zu dem sie noch Schützenhilfe leistenwollen, im wahrsten Wortsinn, das verstößt gegen alle europäischen Regeln – und das ist ein Schlag gegen alle Europäerinnen und Europäer."
Alles schaut derzeit auf die Grenzen im Süden. Am Brenner, zwischen Österreich und Italien. Hier könnten im Sommer erneut zehntausende oder gar hunderttausende Flüchtlinge versuchen, nach Deutschland zu gelangen. Wenn das tatsächlich passiert, dürfte das immer dünner werdende Band zwischen CDU und CSU zum Zerreißen gespannt werden. Wie fragil es jetzt schon geworden ist, kann man beim Besuch einer anderen Grenze feststellen.
Die Donaubrücke zwischen Ulm und Neu-Ulm. Rechts ist Bayern, links Baden-Württemberg. Auf der einen Seite sitzt die Christlich-Soziale Union …
"Ja, Grüßgott, mein Name ist Hilmar Brunner, ich bin Stadtverbands- und Orts-Vorsitzender der CSU Neu-Ulm."
Auf der anderen Seite die Christlich-Demokratische Union:
"Guten Tag, mei Name isch Bertram Holz, ich bin der Ulmer CDU-Vorsitzende …"
Die Donau trennt die beiden Schwesterparteien. In letzter Zeit allerdings, sagt CSU-Mann Brunner, kämen öfter mal CDU-Wähler aus Ulm zu Veranstaltungen der CSU in Neu-Ulm und klagten ihr Leid:
"Das hast Du hin und wieder schon mal gehört, dass wer gesagt hat: "Jetzt wär‘ ich schon froh, wenn ich CSU wählen könnte." Leider nicht der Fall für Baden-Württemberger. Da gibt’s keine CSU."
Umfrage-Werte der Christsozialen in Bayern stabil
Noch nicht. Aber was wäre wenn? Angenommen, die CSU träte bundesweit an? Gegen die CDU? Horst Seehofer, der ewige Taktierer, will wieder mal nichts ausschließen. Vor ein paar Tagen hat er in München die neue CSU-Zentrale, das Franz-Josef-Strauß-Haus, mit folgenden Worten eingeweiht:
"Es ist heute in der Tat eine Zäsur für die CSU." (Applaus)
Eine Zäsur – auch im Verhältnis der Schwesterparteien? Das neue CSU-Headquarter ist fast doppelt so groß wie das alte. Genug Platz, um an einer Deutschland-CSU zu basteln?
"Ach wissen Sie, für solche Überlegungen reicht auch mein Wohnzimmer."
Dann grinst Seehofer sein Seehofer-Grinsen. Er gibt sich gut gelaunt, denn die Umfrage-Werte der Christsozialen in Bayern sind stabil. Anders bei der CDU in Ulm, gleich hinter der Grenze. Bertram Holz ist nach der verlorenen Landtagswahl nicht nach Grinsen zumute.
"Nee, mit Sicherheit nicht. Gerade in der Flüchtlingsproblematik gab es in der CDU sehr kontroverse Diskussionen und unterschiedliche Meinungen. Man muss schon aufpassen, dass die CDU sich so nicht spaltet, natürlich. Gerade was die Flüchtlings-Problematik anbelangt."
Bertram Holz, der Ulmer CDU-Vorsitzende, erinnert sich, dass er vor neun Jahren mal in der Münchner Staatskanzlei zu Besuch war, noch unter Edmund Stoiber.
"Des is scho a Weile her."
Damals funktionierte die Südschiene noch, der Gleichklang der Union in Baden-Württemberg und Bayern. Bertram Holz würde gern mal wieder nach München fahren. Horst Seehofer besuchen.
"Der Seehofer, der setzt die Merkel schon manchmal unter Druck. Aber es ist ganz gut, wenn einer bissle Druck ausübt und Impulse nach Berlin weitergibt und seine eigene Meinung und Standpunkt kundtut."
Bundesweite Ausdehnung von CSU sehr umstrittten
Da schüttelt Karin Graf heftig den Kopf. Sie ist die Stellvertreterin von Bertram Holz bei der Ulmer CDU und bezeichnet sich selbst als
"eine Merkel-Frau. Sie imponiert mir sehr."
Was hält die Merkel-Frau Graf von CSU-Chef Seehofer?
"Ähm, wer war das noch gleich? Ich frag‘ mich bei seinen Beiträgen manchmal, ob es um die Sache geht oder ob es um die Profilierung von Personen und Parteien geht? Ich bin eine sach-orientierte Politikerin."
Als Karin Graf neulich hörte, die CSU wolle die CDU in der Flüchtlingspolitik von innen aufbohren, da lachte sie nur.
"Ja, das finde ich sehr witzig. Ich meine, wann hat ein kleiner Holzwurm jemals einen großen Schrank aufgebohrt? Ich kann mich nicht erinnern."
Noch verwegener findet CDU-Kommunalpolitikerin Graf die Vorstellung, eine bundesweite CSU könnte den Christdemokraten gefährlich werden. Sollte die CSU irgendwann in Baden-Württemberg antreten,
"dann tritt die CDU auch in Bayern an. Und dann wird man mal sehen. Die CSU würde sich bundesweit bei einer Größe einpendeln, die vielleicht bei manchen in der CSU eine gewisse Bodenhaftung erzeugen würde."
Diese nüchterne Einschätzung teilt man auch auf der anderen Seite der Donau. Bei der CSU in Neu-Ulm. Hilmar Brunner betrachtet die Sache nüchtern.
"Es ist natürlich ungleich schwerer, die CSU bundesweit auszudehnen, also noch auf 15 Länder, als wenn das beispielsweise die CDU vorhätte, die sagt, wir würden uns gern auf Bayern ausbreiten. Ich halte das eigentlich für utopisch."
Denn die CSU bräuchte für ihre Erweiterung jede Menge Personal und müsste höllisch aufpassen, keine zwielichtigen Gestalten anzuwerben. Außerdem gelten die Christsozialen außerhalb Bayerns als eine Partei, die vor allem weiß-blau denkt.
"Das ist auch der Markenkern. Diese bayerische CSU. Dass es nicht bloß eine CSU ist, sondern auch eine speziell nur bayerische Partei."
"Ständig gackern und nicht legen"
Hilmar Brunner steht auf der bayerischen Seite der Donaubrücke und schaut hinüber nach Ulm, nach Baden-Württemberg. Der Absturz der CDU im Ländle hat ihn erschreckt. Er sei ihm eine Lehre, wie schnell so etwas gehen könne, sagt er. Und wie schwer es sei, wieder zurückzukommen.
"Das wird sehr schwierig werden, da noch das Ruder wieder herumzureißen. Nun hat sich Bayern endgültig auf einen neuen Nachbarn einzustellen."
Drüben, im Ulmer Rathaus, hofft Bertram Holz auf bayerische Unterstützung statt auf Drohgebärden wie einer Bundes-CSU.
"So weit wird’s sicherlich nicht kommen. Das sind Schwesterparteien, die sollen sich gehörigst zusammenraufen. Es gibt unterschiedliche Akzente, das ist auch gut so. Wenn man unterschiedlicher Meinung ist, kann das die Politik konstruktiv nach vorne bringen. Die CDU muss sich vielleicht wieder breiter aufstellen. Sie hat die konservative Kreise nicht mehr ausreichend angesprochen. Da muss sich die CDU schon überlegen, wie sich ihr dieses Wertespektrum wieder erschließt."
Auf der bayerischen Seite der Donau beginnt die CSU, erste Brücken abzubrechen. In der Parteizentrale in München wird darüber nachgedacht, erstmals mit eigenem Wahlprogramm und ohne feste Koalitionszusage in die nächste Bundestagswahl 2017 zu ziehen. Das wäre gegenüber der CDU ein weiterer Affront. Steigern ließe sich das noch durch einen Abzug der CSU-Bundesminister aus dem Kabinett in Berlin. Aber das, sagt der Münchner Politikprofessor Werner Weidenfeld, wäre kontraproduktiv.
"Wenn die CSU ein Eigentor schießen will, dann kündigt sie diese Fraktionsgemeinschaft auf. Denn dann hätte sie erheblich weniger Einfluss auf Bundesebene. Den Einfluss, den die CSU da ausüben kann, den erhält sie ja durch den Hilfsriemen Fraktionsgemeinschaft. Damit ist sie ein Schlüsselelement der Mehrheit. Und damit kann sie vieles durchsetzen. Wenn sie alleine ist, so eine Kleinpartei im Bundestag, dann hält es sich sehr im Rahmen, was sie damit durchsetzen können. Die machtpolitischen Profis wissen doch, was da läuft. Deshalb betreiben die das ja auch nicht."
Aber sie drohen damit. Und je länger und lauter die CSU das tut, ohne dass sich Merkel darum schert, desto problematischer wird es, dass Seehofer nicht liefern kann. "Ständig gackern und nicht legen", sagt ein CSU-Parteistratege im Hintergrundgespräch, "das geht auf Dauer nicht gut." Gleichzeitig gilt: wenn man einmal in das Eskalations-Karussell einsteigt, kommt man kaum wieder heraus. Und dann landet man irgendwann bei dem, was Florian Weber will, der Vorsitzende der Bayernpartei:
"Wir fordern die Republik Bayern! Wenn der Souverän eine parlamentarische Monarchie will – wer bin ich, das zu kritisieren? Aber das Ziel, das wir haben, ist eine Republik."
Eigene Armee, eigene Polizisten, eigene Briefmarken
Eine weiß-blaue Republik. Mit eigener Hymne, eigenem Staatswappen und eigener Währung:
"Wir würden vorschlagen, den Euro nicht zu behalten, sondern eine eigene Währung einzuführen. Mark könnte man sie nennen, Taler, Gulden – was sie wollen. Aber ich könnte mit Mark gut leben. Die gibt’s ja nicht mehr, also warum nicht?"
Eine eigene Verfassung, darauf legt Weber besonderen Wert, habe Bayern ja bereits seit 1946.
"Die ist gültig, sie ist eine Vollverfassung, die hat es auch schon vor dem Grundgesetz gegeben. Da ist das Staatsbürgerrecht schon geklärt. Es gäbe drüber hinaus natürlich schon ein Problem: Sie müssten klären, was sie mit Menschen machen, die zugezogen sind, also deutschen Staatsbürgern, die in Bayern ihren Hauptwohnsitz haben? Unsere Vorstellung wäre, dass man für den Fall einer Volksabstimmung, die positiv beschieden würde, einen Stichtag benennt, bis zu dem sich die Menschen entscheiden können: wollen sie bayerische Staatsbürger werden oder nicht? Dann sollte das problemlos gehen."
Problemlos? Das erscheint ein wenig weltfremd beim Unterfangen, aus Bayern einen eigenständigen Staat zu machen, mit eigener Armee, eigenen Polizisten, eigenen Briefmarken. Und vor allem eigener Wirtschaft. Da schlagen sämtliche Wirtschaftswissenschaftler die Hände über dem Kopf zusammen. Auch und gerade die bayerischen Experten, etwa vom Ifo-Institut in München. Weber beeindruckt das nicht.
"Sie werden erleben, der Weg wird ein ganz anderer sein: Wir sind dann in der Lage, als ein freies Bayern und ein unabhängiger Staat, der sich natürlich dem Schengen-Raum anschließen würde, wie es auch die Schweiz macht – wir wären in der Lage, unsere Probleme deutlich besser zu lösen. Schauen sie sich die Schweiz an: das geht! Und warum? Wir wären aufgrund unserer Wirtschaftsleistung und unserer Bürger in der Lage, eigene Finanz- und Steuerpolitik zu betreiben. Das heißt, wir könnten als Standort sogar noch attraktiver werden."
Jetzt ist Florian Weber auf Betriebstemperatur. Die Augen des Bayernpartei-Vorsitzenden leuchten blau auf weiß, seine Stimme wird immer schneller. Einwände wischt er routiniert beiseite – etwa die Frage, wie sich ein Freistaat Bayern von Deutschland lösen könne, ohne das Grundgesetz zu brechen?
"Im Grundgesetz ist der Fall überhaupt nicht geregelt. Es gibt weder eine Klausel für oder gegen einen Austritt. Sie haben eine Bestimmung, die immer wieder genannt wird, nämlich dass die föderale Struktur des Bundes verfassungsmäßig vorgegeben ist. Das heißt aber nur, dass es mindestens zwei Bundesländer gibt. Wenn jetzt von 16 Bundesländern eines ausscheren würde, wären es immer noch 15 – also wäre die Verfasstheit der Bundesrepublik in keiner Weise infrage gestellt."
Bayrische Toleranz: "Leben und leben lassen"
Diese Rechtsauffassung hat Weber weitgehend exklusiv. Die meisten Verfassungsjuristen schließen eine legale Loslösung Bayerns aus. Man kann Florian Weber nicht vorwerfen, dass er seinen Traum – einen echten Freistaat Bayern – nicht mit Gewalt erreichen wollte. Er ist weder ein nationalistischer Wirrkopf noch ein Fremdenfeind. Er fühlt sich als friedlicher bayerischer Patriot. Und bayrisch sein hat für ihn nicht in erster Linie mit Lederhosen, sondern mit Lebensgefühl zu tun.
"Es gibt so eine bayerische Lebensart: das berühmte 'Leben und leben lassen'. Das ist eine Toleranz, die wir von uns selber verlangen, aber auch von anderen erhoffen. Das ist ganz zentral. Dieses 'Leben und leben lassen' ist ein wichtiger Punkt.
In Umfragen können sich immerhin 20 Prozent der Menschen in Bayern einen unabhängigen Freistaat zumindest vorstellen. Es gibt im Süden Bayerns zwar keine Sezessions-Stimmung wie in Schottland oder Katalonien – aber es gibt eine gewisse Grund-Sympathie für das Gedankenexperiment Unabhängigkeit. Das weiß auch die CSU. Auf ihren Parteitagen lässt sie immer wieder mal Autonomie-Träumer zu Wort kommen. Etwa das langjährige CSU-Mitglied Georg Pfister aus Bamberg, eine Art Partei-Maskottchen.
"Herr Ministerpräsident, wir müssen Bayern ein eigenes Land schaffen. Das kann nicht sein! Wir werden ausgebeutet! In der EU sind mindestens 50 Länder kleiner wie Bayern. Da gibt’s Länder mit 2 Millionen Einwohnern, und wir haben 12,5 Millionen! Und wir sind der Zahlmeister seit Jahrzehnten. Herr Seehofer, das ist ihre einzige Pflicht als Ministerpräsident: Bayern muss ein eigener Staat werden!" (Beifall)
Pfister, der 80 Jahre alte Partei-Veteran, bekommt jedes Mal begeisterten Applaus. Nicht weil die CSU-Mitglieder tatsächlich an ein unabhängiges Bayern glaubten oder es wollten, sondern weil sie auf diese Weise einer latenten Unzufriedenheit mit dem Rest Deutschlands Luft verschaffen können. Es ist ein Ventil, eine Art folkloristischer Druckausgleich. Und Parteichef Seehofer hält das Ventil geöffnet. Sein Augenzwinkern sagt: Ich werde doch nichts ausschließen, was ich nochmal irgendwann als Druckmittel gegen die Kanzlerin verwenden kann.