Quiet Quitting

Die neue Arbeitsmoral der Millennials

Eine Person versteckt sich hinter einer Büropflanze und versucht so an einem Exit-Schild vorbei Richtung Ausgang zu gehen.
Immer weniger junge Menschen sind dazu bereit, sich für ein neoliberales Wohlstandsversprechen aufzuopfern, das sich nur für wenige erfüllt, erklärt die Journalistin Şeyda Kurt. © Getty Images / Anthony Redpath
Beobachtungen von Şeyda Kurt |
Am Arbeitseifer der Jüngeren scheiden sich die Geister. Seit einiger Zeit trendet in den sozialen Medien das Quiet Quitting, mit dem vor allem Millennials in Verbindung gebracht werden. Die Journalistin Şeyda Kurt geht dem Phänomen auf den Grund.
"Und, was machst du so?“ – Eine Frage, auf die ich meist automatisch mit meiner Berufsbezeichnung antworte. Und oft fühle ich im nächsten Moment ein tiefes Unbehagen, als hätte ich mit meiner Antwort eine erbarmungslose Realität der Leistungsgesellschaft verfestigt: Wir sind, was wir arbeiten.
Von diesem Glaubenssatz wollen sich die sogenannten Quiet Quitter verabschieden. Quiet Quitting, zu Deutsch „stille Kündigung“, bedeutet Dienst nach Vorschrift. Quiet Quitter leisten am Arbeitsplatz nur so viel, wie es vertraglich vorgesehen und entlohnt wird. Nicht mehr und nicht weniger.
Und das predigt nun eine Generation, die bislang eher für Schlagworte wie „Burnout Culture“ oder „Workaholism“ stand: Junge Menschen mit ambitionierten Karriereplänen, die vor Überstunden und Selbstausbeutung lange nicht zurückschreckten.

Gut bezahlte Jobs ohne Sinn

In meinem Umfeld sind das etwa Marketingleute oder Unternehmensberater*innen. Mit Jobs, die zwar überdurchschnittlich gut bezahlt sind, die der Kulturanthropologe David Graeber jedoch als Bullshit Jobs bezeichnet. Bullshit, weil diese Berufe keine gesellschaftliche Relevanz haben. Und auch die Ausführenden selbst nehmen sie häufig als sinnentleert wahr. Bullshit Jobs sind das Symptom einer Gesellschaft, in der Erwerbsarbeit zum Selbstzweck wird.
Und dann sind da noch IT-Expert*innen, die als begehrte Fachkräfte eine starke Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt genießen. Oder Ingenieur*innen, wie der 24-jährige Zaid Khan aus New York. Er machte den Begriff Quiet Quitting im Juli mit einem millionenfach geklickten Video auf TikTok populär.
Sein Zitat: „Du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber du folgst nicht mehr der Mentalität der Hustle Culture, dass dein Job dein Leben sein muss.“

Eine Art neues Klassenbewusstsein

Revolutionieren die Quiet Quitter also nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern die ganze Gesellschaft? Einerseits könnte Quiet Quitting als ein neues Klassenbewusstsein verstanden werden. Immer weniger junge Menschen sind dazu bereit, sich für ein neoliberales Wohlstandsversprechen aufzuopfern, das sich nur für wenige erfüllt.

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Bereits 2017 stellte der Internationale Währungsfonds fest, dass Millennials in den Industrienationen, trotz guter Ausbildung, im Durchschnitt 40 Prozent ärmer als ihre Eltern sind. 2022 hat die Inflation zu einem Reallohnverlust von rund fünf Prozent geführt. Und zugleich steigt das Bewusstsein darüber, wie der Zwang zur Produktivität nicht nur die menschliche Psyche und Beziehungen, sondern auch die Umwelt zerstört.
Und für viele Quiet Quitter, vor für allem Frauen, wartet nach beendeter Arbeitsschicht nicht nur Freizeit: Etwa 2,5 Millionen Erwerbstätige in Deutschland pflegen ihre Angehörigen, hinzu kommt häufig die Fürsorge für Kinder. Quiet Quitting ist in diesem Falle das verzweifelte Ringen um die menschlichen Ressourcen Zeit und Energie.

Individualisierung statt Kooperation

Andererseits fügt sich Quiet Quitting hervorragend in eine individualistische Kultur der Resignation: Es ist kein lauter, gemeinschaftlicher Widerstand, der bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für alle fordert. Und sich etwa gewerkschaftlich organisiert.
Außerdem: Wer kann sich Quiet Quitting überhaupt leisten? Was wird aus den Menschen, deren Aufenthaltsstatus vom Job abhängt? Was ist mit dem Kassierer, der nicht nur die prüfenden Blicke der Filialleiterin im Nacken hat, sondern auch die Stechuhr?
Quiet Quitter grenzen sich ab, statt zu verändern. Zugleich bleibt eine Hoffnung: Dass die Quiet Quitter in der Zeit, die sie durch ihren stillen Widerstand gewinnen, Antworten auf größere Fragen suchen: Wollen wir nicht eine Gesellschaft, in der sich Menschen mit ihrer Arbeit identifizieren können? Oder auch: Wollen wir eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Arbeitskraft für ein gutes Leben verkaufen müssen?

Şeyda Kurt studierte Philosophie und Romanistik sowie Kulturjournalismus in Köln, Bordeaux und Berlin. Als freie Journalistin schreibt sie unter anderem für den Zeit Verlag und war Kolumnist*in beim Theaterfeuilleton nachtkritik.de. Im April 2021 erschien ihr Sachbuchbestseller "Radikale Zärtlichkeit - Warum Liebe politisch ist", in dem sie Liebesnormen im Kraftfeld von Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat untersucht.

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© Thomas Spies
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