Quo vadis Europa?
Wenige Wochen nach dem Nobelpreis für die Europäische Union als Friedensprojekt und kurz nach dem deutsch-französischen Eigenlob zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages kam aus London der Donnerhall, kommentiert der polnische Publizist Adam Krzeminski die Europarede des britischen Premiers David Cameron.
Fast zeitgleich mit David Cameron skizzierte der polnische Staatspräsident Bronisław Komorowski für Polen einen genau umgekehrten Weg. Das Land müsse die Maastricht-Kriterien erfüllen und sich einer grundsätzlichen Debatte um den Euro stellen. Man dürfe dabei allerdings nicht vergessen, dass das politische Gewicht Polens in der EU künftig von der Präsenz in der Eurozone abhänge.
Bereits jetzt ordnet sich die EU neu. Nicht die Osterweiterung von 2004 erzwingt das, sondern die Euro-Krise, die bei weitem keine nackte Finanz- oder Wirtschafts-, sondern eine strukturpolitische Krise ist.
Die Rechnung der Väter der Gemeinschaftswährung geht auf, wenn auch anders, als sie es sich in den 90er-Jahren vorstellten. Ihr weiser Weitblick war es nicht, dem wir einen beschleunigten Aufbau der politischen Union schon bei der Einführung des Euro zu verdanken hätten. Sondern der Vertrauensbruch in den Eurostaaten und ihr Zaudern erzwingen nun eine hektische Flucht nach vorn.
Die Banken- und Fiskalunion soll in Zukunft eine unverantwortliche Verschuldung wie im Süden der EU, aber auch eine eigenwillige Aufweichung der Stabilitätskriterien - wie vor einigen Jahren in "Kern-Europa", in Deutschland und Frankreich - unmöglich machen.
Die vertiefte Integration der Finanz- und Wirtschaftspolitik erfordert auch eine engere politische Integration. Und prompt wird wieder einmal sogar von den Vereinigten Staaten von Europa gesprochen.
Die sind natürlich noch nicht in Sicht. Aber eine beispiellose Reformdebatte ist europaweit im Gange. Ihre Intensität kann man nur mit der Gründungszeit wahrend des Kalten Krieges vergleichen. Nicht einmal nach 1989 wurde sie so eindringlich geführt. Damals glaubte man im Westen, man könne die schiffbrüchigen Staaten Ostmitteleuropas Huckepack zum sicheren Ufer im Westen hinübertragen, wenn sie sich nur den geltenden Spielregeln anpassten.
Jetzt aber erweist es sich, dass die Spielregeln selbst brüchig sind und das Gesamtkonzept - wirtschaftspolitisch, juristisch, aber auch geschichtsphilosophisch - überholt werden muss. Wohin geht die Reise? In Richtung einer Föderation? Oder soll die EU nur eine lose Freimarktzone sein? Wie ist es um die Zukunft des Nationalstaates bestellt? Ist eine supranationale Demokratie möglich? Wie soll eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik aussehen? Das sind die Themen, die heute auf der Agenda stehen und von Europäern beantwortet werden müssen, die nicht mehr vom Trauma des Zweiten Weltkrieges und des Kommunismus geprägt sind, sondern von der bislang sanften Marginalisierung Europas in der Welt und dem - sozial gesehen - immer löchrigeren Wohlstand in Europa.
Man darf die Debatte allerdings nicht nur auf die heftige Reaktion in "Kern-Europa" auf die Rede Camerons, auf das Eigenlob in Deutschland und Frankreich angesichts der epochalen Leistung der deutsch-französischen Versöhnung oder auf die Zuversicht der polnischen Politiker einengen, dass ihr Land demnächst den Sprung von der Peripherie ins Zentrum schafft.
Die Europa-Debatte führen heute nicht allein Politiker und Politologen, Wirtschaftsleute, Juristen, Philosophen, sondern auch einfache Leute beim Fernsehen. Die Meinungsumfragen mögen auf eine besorgniserregende Euroskepsis hinweisen. Zugleich aber zeigen sie auch ein verblüffendes Vertrauen, dass "das Monstrum EU" - trotz seiner Schwerfälligkeit und Bruchstellen - doch eine gute Sache ist, und nicht allein wegen der Kohäsionsfonds und Agrarsubventionen.
Die Meinungsumfragen in Polen belegen beispielsweise ein größeres Vertrauen der Menschen ins Europäische Parlament als in den eigenen Sejm. Man ist froh, dass es da draußen noch eine normgebende Instanz gibt. Selbst wenn dies für nicht wenige Briten eine Horrorvision sein sollte. Man darf vermuten, dass auch auf den Inseln die Mehrheit doch weiß, was sie an der EU hat. Der Rest sind Worte, Worte, Worte - und nicht etwa Schweigen ...
Adam Krzemiński ist ein polnischer Journalist und Publizist. Er studierte Germanistik in Warschau und Leipzig und arbeitet seit 1973 als Redakteur des polnischen politischen Wochenmagazins Polityka.
Bereits jetzt ordnet sich die EU neu. Nicht die Osterweiterung von 2004 erzwingt das, sondern die Euro-Krise, die bei weitem keine nackte Finanz- oder Wirtschafts-, sondern eine strukturpolitische Krise ist.
Die Rechnung der Väter der Gemeinschaftswährung geht auf, wenn auch anders, als sie es sich in den 90er-Jahren vorstellten. Ihr weiser Weitblick war es nicht, dem wir einen beschleunigten Aufbau der politischen Union schon bei der Einführung des Euro zu verdanken hätten. Sondern der Vertrauensbruch in den Eurostaaten und ihr Zaudern erzwingen nun eine hektische Flucht nach vorn.
Die Banken- und Fiskalunion soll in Zukunft eine unverantwortliche Verschuldung wie im Süden der EU, aber auch eine eigenwillige Aufweichung der Stabilitätskriterien - wie vor einigen Jahren in "Kern-Europa", in Deutschland und Frankreich - unmöglich machen.
Die vertiefte Integration der Finanz- und Wirtschaftspolitik erfordert auch eine engere politische Integration. Und prompt wird wieder einmal sogar von den Vereinigten Staaten von Europa gesprochen.
Die sind natürlich noch nicht in Sicht. Aber eine beispiellose Reformdebatte ist europaweit im Gange. Ihre Intensität kann man nur mit der Gründungszeit wahrend des Kalten Krieges vergleichen. Nicht einmal nach 1989 wurde sie so eindringlich geführt. Damals glaubte man im Westen, man könne die schiffbrüchigen Staaten Ostmitteleuropas Huckepack zum sicheren Ufer im Westen hinübertragen, wenn sie sich nur den geltenden Spielregeln anpassten.
Jetzt aber erweist es sich, dass die Spielregeln selbst brüchig sind und das Gesamtkonzept - wirtschaftspolitisch, juristisch, aber auch geschichtsphilosophisch - überholt werden muss. Wohin geht die Reise? In Richtung einer Föderation? Oder soll die EU nur eine lose Freimarktzone sein? Wie ist es um die Zukunft des Nationalstaates bestellt? Ist eine supranationale Demokratie möglich? Wie soll eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik aussehen? Das sind die Themen, die heute auf der Agenda stehen und von Europäern beantwortet werden müssen, die nicht mehr vom Trauma des Zweiten Weltkrieges und des Kommunismus geprägt sind, sondern von der bislang sanften Marginalisierung Europas in der Welt und dem - sozial gesehen - immer löchrigeren Wohlstand in Europa.
Man darf die Debatte allerdings nicht nur auf die heftige Reaktion in "Kern-Europa" auf die Rede Camerons, auf das Eigenlob in Deutschland und Frankreich angesichts der epochalen Leistung der deutsch-französischen Versöhnung oder auf die Zuversicht der polnischen Politiker einengen, dass ihr Land demnächst den Sprung von der Peripherie ins Zentrum schafft.
Die Europa-Debatte führen heute nicht allein Politiker und Politologen, Wirtschaftsleute, Juristen, Philosophen, sondern auch einfache Leute beim Fernsehen. Die Meinungsumfragen mögen auf eine besorgniserregende Euroskepsis hinweisen. Zugleich aber zeigen sie auch ein verblüffendes Vertrauen, dass "das Monstrum EU" - trotz seiner Schwerfälligkeit und Bruchstellen - doch eine gute Sache ist, und nicht allein wegen der Kohäsionsfonds und Agrarsubventionen.
Die Meinungsumfragen in Polen belegen beispielsweise ein größeres Vertrauen der Menschen ins Europäische Parlament als in den eigenen Sejm. Man ist froh, dass es da draußen noch eine normgebende Instanz gibt. Selbst wenn dies für nicht wenige Briten eine Horrorvision sein sollte. Man darf vermuten, dass auch auf den Inseln die Mehrheit doch weiß, was sie an der EU hat. Der Rest sind Worte, Worte, Worte - und nicht etwa Schweigen ...
Adam Krzemiński ist ein polnischer Journalist und Publizist. Er studierte Germanistik in Warschau und Leipzig und arbeitet seit 1973 als Redakteur des polnischen politischen Wochenmagazins Polityka.