"Laut, stupide, aber auch ziemlich smart"
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Mit Akustik-Pop-Alben wie "Out of Time" und "Automatic for the People" wurden R.E.M. weltberühmt. Dann kam "Monster" – ein krachend lautes Stück Rock. Wie hat sich das Album nach 25 Jahren gehalten?
Melancholisch sieht er aus, der stilisierte, leicht verschwommene Bärenkopf auf dem Cover von "Monster". Wäre das neunte Album von R.E.M. nicht 1994 erschienen, man könnte fast an ein Emoji denken, eine dieser kleinen Grafiken, die Gefühlszustände ausdrücken und heute die sozialen Netzwerke bevölkern. Tatsächlich nimmt Sänger Michael Stipe in den Songtexten Themen vorweg, die uns auch im Zeitalter von "Social Media" stark bewegen, wie sich Bassist Mike Mills erinnert.
"Michael war damals schon eine sehr bekannte Person. Aber er war nicht völlig abgehoben. Er stand eben in der Öffentlichkeit, und das hat sicherlich seine Texte beeinflusst. Dabei ging es ihm nicht darum, über das Dasein als Star zu schreiben, sondern darum, zu erzählen, wie sich Menschen anderen gegenüber präsentieren – wie ehrlich oder unehrlich sie dabei sind."
Wir erfinden uns alle selbst
Selbstinszenierung, Celebrity-Kult, Privatsphäre: "Monster" widmet sich Inhalten, die auch 25 Jahre nach Erscheinen noch aktuell sind. In dem Song "Strange Currencies" schreibt Michael Stipe aus der Sicht eines verliebten Stalkers. "Crush With Eyeliner" setzt sich mit der Frage nach Authentizität und der Konstruktion von Identität auseinander. "I’m the real thing", ich bin das Echte, singt Stipe da. Aber auch: "We all invent ourselves", wir erfinden uns alle selbst. Und R.E.M. – die sensiblen Befindlichkeitsrocker – klangen wie verwandelt: Sie drehten die Verstärker auf und lärmten drauf los!
"'Monster' ist laut und stupide", sagt Mills. "Aber es ist auch ziemlich smart! Im Grunde ist es ein 'Glam-Rock'-Album. Wir lieben Bands und Künstler wie T-Rex, Slade oder David Bowie. Aber das ist nicht unbedingt die Musik, für die R.E.M. steht. Wenn wir jetzt also versuchten, ein 'Glam'-Album aufzunehmen, dann zwinkerten wir dir gleichzeitig ironisch zu und sagten: 'Das hier ist ein wenig lächerlich. Aber es macht echt Spaß!'"
Aus heutiger Sicht wirkt "Monster" wie ein Album des Übergangs: Weg vom zahmen Südstaaten-Folk, hin zu mehr Experiment und Mehrdeutigkeit. Die Band brach auch optisch mit ihrem Image: Im Musikvideo zur ersten Single trug der sonst zurückhaltende Mike Mills plötzlich ein funkelndes Cowboy-Kostüm und Michael Stipe erstmals Glatze – was ihn härter wirken ließ.
Ein Wagnis, das manchen Fan verprellte
R.E.M. widersetzten sich den Erwartungen und lieferten dazu den passenden Soundtrack: "What’s the Frequency, Kenneth?" ist ein furioses Statement gegen Heuchelei, Vereinnahmung und Manipulation.
"Das Stück handelt von einer älteren Person, die versucht, 'hip' zu sein und die jüngere Kultur zu verstehen", sagt Mills. "Sie schmeißt mit Phrasen um sich, von denen sie glaubt, die 'Kids' würden sie verstehen. Sie versucht, sich ihrem Musikgeschmack anzubiedern, aber versagt kläglich. Es geht im Song auch um die Frage, ob wir den Medien eigentlich trauen können. Oder ob sie uns nicht falsch informieren."
Wie kann Rockmusik gleichzeitig laut und simpel, clever und doppelbödig sein? R.E.M. führten es mit "Monster" vor. Und zeigten gleichzeitig, wie man als kommerziell erfolgreiche Star-Band seine künstlerische Integrität bewahrt: "Monster" war ein Wagnis, das so manchen Fan verprellte.
Erinnerung an Cobain und Phoenix
Das Album erinnert aber auch an zwei Ikonen der Popkultur der frühen 90er Jahre: Im April 1994 – als die Aufnahmen zu "Monster" noch nicht ganz abgeschlossen waren – beging Kurt Cobain, Sänger von Nirvana, Selbstmord. Sein Tod inspirierte den Song "Let Me In" von R.E.M. Gewidmet ist das Album River Phoenix, dem Schauspieler, der sich 1993 das Leben nahm.
Die alten Helden waren fort, aber R.E.M. reagierten nicht mir Resignation, sondern mit Witz und einer gewissen Bissigkeit. Eine Strategie, die auch heute noch ihren Wert hat.
"'Monster' fing ein, was uns damals wichtig war", sagt Mills. "Die Songs sind gewagt, sexy, vorlaut, zynisch, aber auch fröhlich und augenzwinkernd. Und ich denke, dass das auch heute noch relevant ist. Die Welt ist einem miesen Zustand, und ein wenig ironische Distanz können wir dringend gebrauchen. Ein bisschen Zynismus könnte zurzeit durchaus gesund sein."