Rabenmutter!
Liebes Publikum, Sie können meine Stimme nur deshalb hören, weil ich eine Rabenmutter bin. Ich konnte diesen Text nur schreiben, weil mein einjähriger Sohn seit Anfang Mai zur Tagesmutter geht. Ja, ich gebe mein Baby weg, zu fremden Leuten. Ich bin so unendlich egoistisch, dass ich mir einbilde, meine Arbeit sei nicht nur für unser Familienkonto, sondern auch für meine Seele so bedeutsam, dass ich deshalb für ein paar Stunden auf ihn, sein umwerfendes Lächeln und seinen vitalen Forscherdrang verzichte.
Dass ich eine Rabenmutter sein kann, verdanke ich weiters der Tatsache, dass ich im großen, dreckigen Berlin lebe. In einer sanften Hügellandschaft in Bayern oder Baden-Württemberg, zwischen den Konservativen und den Kühen, könnte ich nämlich lange nach jemandem suchen, der mein Kind betreut. Dort ist die Welt noch heil, und alle Mütter, auch die, die gern gearbeitet haben oder die das Geld aus ihrer Erwerbsarbeit dringend brauchen würden, sind froh, glücklich und dankbar, sich ganz ihren Kindern widmen zu können. Oder etwa nicht?
Aber Berlin, diese manchmal brutale Stadt, gegen die man viel haben kann, ist immerhin ein Kinderbetreuungsparadies. So misstrauisch, wie ein Schotte shoppen geht, habe ich Kitas und Tagesmütter inspiziert. Das Angebot ist groß, manche Straßen wie die, in der wir wohnen, sind mit Kitas geradezu gepflastert. Trotzdem habe ich lange gesucht, war lange nicht zufrieden. Ich wollte das Beste für meinen Sohn, und die Trennung fällt mir immer noch schwer. Aber all die Männer und Bischöfe, die sich in den letzten Monaten zu Wort gemeldet haben, um die Pläne der Familienministerin zu diskreditieren, tun ja immer so, als würden wir Mütter nur darauf warten, unsere Säuglinge gleich mit acht Wochen und dann am besten ganztägig wegzugeben. Mehr Kitaplätze einrichten, das klingt dann plötzlich wie mehr Aschenbecher hinstellen. Oder wie Kondome verteilen, das ist ja demselben Verein ein Dorn im Auge. Aber genauso, wie mehr Kondome nicht mehr Sex, sondern weniger Aids bedeuten, bedeuten mehr Krippenplätze nicht mehr Rabenmütter, sondern glücklichere, stabilere Familien.
Während Teile der CDU/CSU seit Monaten lautstark ihre mittelalterlichen Werte beschwören, bleibt die andere Seite, die man ja dennoch für die überwältigende Mehrheit halten muss, erstaunlich still. Ich fürchte, das hat einen fatalen Grund. Ich fürchte, auch diese Mehrheit ist klammheimlich und voll schlechten Gewissens der Meinung, dass Kinder es daheim bei Mama doch am besten haben. Nur sagen darf man es nicht, um die Sache der Frauen nicht zu gefährden.
So aber werden die Interessen von Müttern und Kindern gegeneinander ausgespielt. Und kein Historiker in Sicht, der endlich den Mythos Großfamilie entzaubert. Die angeblich so glückliche Großfamilie von einst war doch nur unter einer raren Bedingung möglich: Reichtum. Dann versorgten Gouvernanten und Hauslehrer die Kinder, während Frau Mama sich ein neues Ballkleid anmessen ließ. Die Durchschnittskindheit früherer Zeiten sah anders aus. Sie bestand aus sehr viel weniger Mutterliebe und sehr viel mehr Kinderarbeit als heute. Denn all unsere Wohlstandsverwahrlosungen mit eingerechnet, ging es deutschen Kindern niemals so gut wie heute. Gleichzeitig waren Eltern wohl nie so unsicher im Umgang mit ihren Kindern und so anfällig für schlechtes Gewissen, Erziehungsideologien und pseudowissenschaftliche Ratgeber. Ganz gewiss aber hatten Kinder nie so wenig Geschwister wie heute. Auch deshalb müssen sie raus, raus aus ihren überinformierten oder unterprivilegierten Familien in eine kinderreiche, kindgerechte Umgebung.
Mein Sohn kreischt manchmal noch erbärmlich, wenn wir ihn morgens der Tagesmutter übergeben. Es bricht mir fast das Herz, aber eine Minute später, wenn ich lauschend vor der Tür stehe, bin ich fast schon wieder eifersüchtig, so glücklich höre ich ihn drinnen brabbeln. Wenn ich ihn abhole, nimmt er mich an der Hand und zeigt mir ein Feuerwehrauto. Es geht ihm gut. Grundschullehrerinnen behaupten ja, Kinder, die sechs Jahre lang nur zu Hause waren, schon von weitem erkennen zu können. Und wer hat diese Grenze von drei Jahren, ab der Kindergarten angeblich vertretbar sei, eigentlich festgesetzt? Lassen wir uns nicht ablenken von den Kinderpsychologen im Bischofsornat, arbeiten wir lieber an unseren eigenen Phantasmagorien. Und fragen wir uns auch mal, in welchem Zusammenhang eigentlich Kinderbetreuung und Eheglück stehen. Viele Grüße, Ihre Rabenmutter.
Eva Menasse, 1970 in Wien geboren, begann nach der Schule beim österreichischen Nachrichtenmagazin "profil", zugleich studierte sie Germanistik und Geschichte. 1998 war sie Stipendiatin der European Cultural Foundation und bereiste für eine Serie von Reportagen die Schengener Ostgrenze. Anschließend lebte sie mehrere Monate in Prag. Eva Menasse war Redakteurin in den "Berliner Seiten" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sowie Feuilleton-Korrespondentin des Blattes in Wien. Sie lebt als freie Autorin in Berlin.
Aber Berlin, diese manchmal brutale Stadt, gegen die man viel haben kann, ist immerhin ein Kinderbetreuungsparadies. So misstrauisch, wie ein Schotte shoppen geht, habe ich Kitas und Tagesmütter inspiziert. Das Angebot ist groß, manche Straßen wie die, in der wir wohnen, sind mit Kitas geradezu gepflastert. Trotzdem habe ich lange gesucht, war lange nicht zufrieden. Ich wollte das Beste für meinen Sohn, und die Trennung fällt mir immer noch schwer. Aber all die Männer und Bischöfe, die sich in den letzten Monaten zu Wort gemeldet haben, um die Pläne der Familienministerin zu diskreditieren, tun ja immer so, als würden wir Mütter nur darauf warten, unsere Säuglinge gleich mit acht Wochen und dann am besten ganztägig wegzugeben. Mehr Kitaplätze einrichten, das klingt dann plötzlich wie mehr Aschenbecher hinstellen. Oder wie Kondome verteilen, das ist ja demselben Verein ein Dorn im Auge. Aber genauso, wie mehr Kondome nicht mehr Sex, sondern weniger Aids bedeuten, bedeuten mehr Krippenplätze nicht mehr Rabenmütter, sondern glücklichere, stabilere Familien.
Während Teile der CDU/CSU seit Monaten lautstark ihre mittelalterlichen Werte beschwören, bleibt die andere Seite, die man ja dennoch für die überwältigende Mehrheit halten muss, erstaunlich still. Ich fürchte, das hat einen fatalen Grund. Ich fürchte, auch diese Mehrheit ist klammheimlich und voll schlechten Gewissens der Meinung, dass Kinder es daheim bei Mama doch am besten haben. Nur sagen darf man es nicht, um die Sache der Frauen nicht zu gefährden.
So aber werden die Interessen von Müttern und Kindern gegeneinander ausgespielt. Und kein Historiker in Sicht, der endlich den Mythos Großfamilie entzaubert. Die angeblich so glückliche Großfamilie von einst war doch nur unter einer raren Bedingung möglich: Reichtum. Dann versorgten Gouvernanten und Hauslehrer die Kinder, während Frau Mama sich ein neues Ballkleid anmessen ließ. Die Durchschnittskindheit früherer Zeiten sah anders aus. Sie bestand aus sehr viel weniger Mutterliebe und sehr viel mehr Kinderarbeit als heute. Denn all unsere Wohlstandsverwahrlosungen mit eingerechnet, ging es deutschen Kindern niemals so gut wie heute. Gleichzeitig waren Eltern wohl nie so unsicher im Umgang mit ihren Kindern und so anfällig für schlechtes Gewissen, Erziehungsideologien und pseudowissenschaftliche Ratgeber. Ganz gewiss aber hatten Kinder nie so wenig Geschwister wie heute. Auch deshalb müssen sie raus, raus aus ihren überinformierten oder unterprivilegierten Familien in eine kinderreiche, kindgerechte Umgebung.
Mein Sohn kreischt manchmal noch erbärmlich, wenn wir ihn morgens der Tagesmutter übergeben. Es bricht mir fast das Herz, aber eine Minute später, wenn ich lauschend vor der Tür stehe, bin ich fast schon wieder eifersüchtig, so glücklich höre ich ihn drinnen brabbeln. Wenn ich ihn abhole, nimmt er mich an der Hand und zeigt mir ein Feuerwehrauto. Es geht ihm gut. Grundschullehrerinnen behaupten ja, Kinder, die sechs Jahre lang nur zu Hause waren, schon von weitem erkennen zu können. Und wer hat diese Grenze von drei Jahren, ab der Kindergarten angeblich vertretbar sei, eigentlich festgesetzt? Lassen wir uns nicht ablenken von den Kinderpsychologen im Bischofsornat, arbeiten wir lieber an unseren eigenen Phantasmagorien. Und fragen wir uns auch mal, in welchem Zusammenhang eigentlich Kinderbetreuung und Eheglück stehen. Viele Grüße, Ihre Rabenmutter.
Eva Menasse, 1970 in Wien geboren, begann nach der Schule beim österreichischen Nachrichtenmagazin "profil", zugleich studierte sie Germanistik und Geschichte. 1998 war sie Stipendiatin der European Cultural Foundation und bereiste für eine Serie von Reportagen die Schengener Ostgrenze. Anschließend lebte sie mehrere Monate in Prag. Eva Menasse war Redakteurin in den "Berliner Seiten" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sowie Feuilleton-Korrespondentin des Blattes in Wien. Sie lebt als freie Autorin in Berlin.