Explosionen in Zeitlupe
In der Werkschau "Outside the Image Inside Us" im HAU in Berlin thematisieren Rabih Mroué und Lina Majdalanie in symbolischen Bildern den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis. Ein dichtes Mosaik aus Fiktion, Realität und Familienerinnerungen.
"Ode to joy, Ode an die Freude", das Stück, in dem Rabieh Mroué das Attentat von München, das die fröhlichen Olympischen Spiele von 1972 in eine Tragödie verwandelten, als gescheiterte palästinensische Heldengeschichte erzählt, ist zu Ende.
Draußen erst Schweigen dann erregte Diskussion unter den Berliner Freunden: Der eine, Performance-Künstler aus Istanbul, ist begeistert und fühlt sich an die Narrative vom Kampf der Kurden erinnert. Der andere, Regisseur aus Israel, ist verstört. Das Propaganda-Sperrfeuer von beiden Seiten, vor dem er aus seiner Heimat nach Europa geflohen war, hat ihn an diesem Abend wieder eingeholt. Der dritte, aufgewachsen in Westdeutschland, begegnet in den Bildern seiner eigenen Kindheit. Die Geiselnahme von München war der erste Terrorakt, mit quasi Direkt-Übertragung in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer.
"Die Bilder, die die Medien produzieren, das ist meine große Frage. Es geht immer nur um Deutung, und Missverständnisse."
Und darum, wer die Macht hat, die Bilder verbindlich zu interpretieren. In "Ode to Joy" präsentieren er und seine Mit-Performerinnen Lina Majdalanie und Manal Khader das Ergebnis ihrer Suche nach einer palästinensischen Deutung von München als Live-Collage. Filmausschnitte und Fotos laufen auf Tablet-Computern. Was das Publikum davon sehen soll, halten die drei vor eine Kamera, die die Bilder auf die bühnenfüllende Leinwand projiziert.
Geisteraustreibung durch Zerstörung
Es geht darum, wie aus Bildern und Worten massenwirksame Symbole werden. Mroué erfindet dazu eine Gegenerzählung: Ganz am Anfang erzählt er das Märchen von einem Dorf, dessen Bewohner nicht schlafen können, weil in ihren Betten die Geister der früheren Besitzer spuken. Ein Bild für wechselseitige Vertreibungen in Nahost zwischen Israel, Palästina, Türkei, Syrien. Ganz am Ende jagen dann die drei Performer tatsächlich ein winziges Modelbett in die Luft. Auf der Leinwand wirkt die Explosion riesig. Geisteraustreibung durch Zerstörung, die doch nur neue Geister hervorruft.
"Ich verabscheue Verallgemeinerungen, weil sie gefährlich sind, vereinfachen und Menschen in Kisten einschließen."
Aber warum spricht er von Geiselnahmen als "palästinensischer Revolution” und von Geiselnehmern als "Helden"? Das Olympia-Attentat wird als mediale Strategie interpretiert, für die Opfer ist kein Platz. Eine verstörende Erfahrung. Aber vielleicht sollen wir Mroué‘s Performance mit Mroué‘s eigenen Mitteln hinterfragen. Wenn eine der libanesischen Performerinnen sich zu Palästina im Herzen bekennt, kann das nicht wörtlich gemeint sein. Israel mag seine palästinensischen Bürger diskriminieren, aber im Libanon genießen Palästinenser noch nicht einmal die einfachsten Bürgerrechte.
"Im Grunde dienen mir Beirut und wo ich herkomme nur als Vorwand für meine Fragen nach den individuellen Menschen."
Während Mroué in "Ode to joy” das Spiel mit den Bildern beklemmend weit treibt und letztendlich in einer Sackgasse landet, gelingt es ihm in den anderen Performances dieser Berliner Werkschau die realen Menschen hinter den Bildern in den Fokus zu rücken. In "Riding on a cloud" erzählt Rabieh Mroué seine persönliche Familiengeschichte.
Sein Großvater, ein säkularer Intellektueller wurde ermordet. Sein Bruder Yasser bei dem Versuch ihn zu retten, schwer verletzt. Bis heute leidet er an einer Sprachstörung. Jetzt steht er auf der Bühne und erzählt seine Geschichte. Private Bilder, Video-Schnipsel, Nachrichten-Clips fügen sich zu einem immer dichteren Mosaik aus Fiktion, Realität und Erinnerung zusammen, das einen immer tiefer hinein zieht in das, was wir Geschichte nennen.
Eine Performance besteht nur aus Facebook-Posts
Ganz ohne Darsteller kommt die Performance "33 RPM and a few seconds" aus. Nur mit Facebook-Posts, immer drängenderen Nachrichten auf Anrufbeantwortern und gegen Ende immer mehr Zitaten aus Zeitungen und Fernsehnachrichten , erzählen Rabih Mroue´und seine Partnerin Lina Majdalanie die Geschichte eines jungen Libanesen, der sich während des arabischen Frühlings für Reformen in seinem Land einsetzte. Erst allmählich wird klar, dass er die Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter nie mehr wird abhören können: Er hat sich umgebracht. Warum? Die Frage bleibt unbeantwortet und wirft neue Fragen auf, wie alle Stücke und Performances von Mroué.
"Outside the image inside you" der rätselhafte Titel der Werkschau ist ein Zitat. In den Bildern an der Oberfläche können wir uns selbst begegnen. Was Rabieh Mroue damit meint? Vielleicht liegt die Antwort in seinen Performances, die von einer unglaublichen Konzentration und Ruhe durchzogen sind, die manchmal verstören, manchmal hypnotisieren, aber einen fast immer fesseln. Es sind Bilder, wie die von einer leere Bühne sein, einem Mann, der mühsam nach Worten ringt oder einem Bett, das in Zeitlupe explodiert, die einen nicht loslassen.