Rachel Cusk: "Kudos"

Erzählerisch überraschend, aber wenig elegant

Cover von Rachel Cusks "Kudos" vor dem Hintergrund eine kleinen Gruppe von Flugpassagieren auf dem Flughafen
Cover von Rachel Cusks "Kudos" vor dem Hintergrund eine kleinen Gruppe von Flugpassagieren auf dem Flughafen © Imago / Verlag Suhrkamp/Insel
Von Sigrid Löffler |
Rachel Cusks frühere Werke wurden stark kritisiert. Für ihre aktuelle Triologie erhält die britische Autorin nun sehr viel Lob. Der dritte Band "Kudos" ist deutlich biografisch geprägt.
Die englische Autorin Rachel Cusk, Jahrgang 1967, hat in den Nullerjahren Leserschaft und Kritik polarisiert mit ihren zornigen Memoiren, in denen sie kalt und mit brutaler Ehrlichkeit mit Mutterschaft und Ehescheidung, mit der bürgerlichen Ehe und Familie als solche, ins Gericht ging. Die harsche Ablehnung insbesondere des Scheidungs-Buchs "Aftermath" hat sie in eine Krise gestürzt und jahrelang zum Schweigen gebracht. Dieses Schweigen konnte sie erst mit ihrer nun vollendeten quasi-autobiografischen, semi-fiktionalen Roman-Trilogie "Outline" (2014, auf Deutsch 2016), "Transit" (2016, auf Deutsch 2017) und "Kudos" (2018) überwinden.
Alle drei Bücher sind aus der Perspektive einer schweigenden, fast unsichtbaren Erzählerin geschrieben – einer Schriftstellerin mittleren Alters, geschiedene Mutter von Kindern im Teenager-Alter, die auch in ihren Lebensumständen der Autorin vage ähnelt. Alle drei Romane kommen fast ohne Plot aus. Alle drei fanden für ihre stille Radikalität große Anerkennung bei der anglo-amerikanischen Kritik und sind dazu angetan, Rachel Cusk verdientermaßen als eine bemerkenswerte und innovative englische Autorin mit einer ganz eigenen, smarten und lakonischen Stimme zu etablieren.

Die Erzählerin hört den Leuten zu

In "Outline" reist eine englische Schriftstellerin namens Faye nach Athen, um in einem Sommerkurs Creative Writing zu unterrichten. Unterwegs trifft sie allerhand Leute – Fremde, Zufallsbekannte, Kollegen, Studenten –, die ihr wie unter Beichtzwang ihre Lebensprobleme gestehen. Die Ich-Erzählerin schweigt und hört zu. Sie fungiert als eine Art Medium und ist nur als Outline, als Umriss erkennbar. Sie referiert die Geschichten, die ihr erzählt wurden.
In "Transit" kauft und renoviert Faye ein baufälliges Haus in London, im Bestreben, nach einem betäubenden Scheidungstrauma ihr fast zerstörtes Leben neu aufzubauen. Wie das Haus befindet sich auch Faye in einem unsicheren Übergangsstadium, einer Transit-Phase. Auch dieser Roman konstituiert sich aus den zufälligen Begegnungen Fayes mit Maklern, Handwerkern, Nachbarn oder Kollegen und besteht aus den Mikro-Geschichten, die diese Leute der schweigenden Zuhörerin erzählen.

Figuren, die sich selbst beglückwünschen

In "Kudos", dem Abschlussband der Trilogie, reist Faye zu zwei Literaturfestivals auf dem Kontinent – erkennbar nach Köln und nach Lissabon. Wie schon in "Outline" eröffnet auch dieser Roman mit Fayes Zufallsbegegnung mit einem redseligen Sitznachbarn im Flugzeug. Der Mann, der abwechselnd einnickt oder sturzbachartig redet, breitet rückhaltlos sein Familienleben vor Faye aus. Neu ist, dass die Erzählerin Faye hier nicht nur zuhört, sondern antwortet. Sie wartet ihrerseits mit Einblicken in ihr Familienleben auf.
Im Fortgang trifft Faye Autoren, Verleger, Literatur-Agenten, Festival-Veranstalter und vor allem Journalisten und Kritiker, die sie interviewen wollen, die Faye aber nur mit ihren Privatansichten über deren Werk zuschwallen und ihre eigenen Lebensumstände zum Besten geben. Da sie bereits mit dem vorgefertigten Artikel im Kopf zum Interview kommen, wollen sie Fayes Antworten auf Fragen, die sie ihr gar nicht erst stellen, auch nicht hören. Rachel Cusk nutzt hier mit unbarmherziger Boshaftigkeit die Gelegenheit, die Literatur-Branche und deren Protagonisten in hämischen Mini-Porträts bloßzustellen. Insofern kann der Romantitel "Kudos" – im Sinne von öffentlicher Wertschätzung und Auszeichnung einer herausragenden Leistung – nur ironisch verstanden werden.

Cusks sarkastische Heftigkeit

Cusk teilt aus, mit ungewohnter sarkastischer Heftigkeit. Ihre Ich-Erzählerin, die in den beiden Vorgänger-Bänden eine bis zur Unhörbarkeit zurückhaltende, passive, vom Leben versehrte, skeptische und melancholische Erzählinstanz war, mutiert nun zur scharfzüngigen und wehrhaften Spötterin. "Kudos" erweist sich als eine Serie von kuriosen, lachhaften, absurden Begegnungen und Konversationen, lauter frivolen Beispielen für die beiläufigen Grausamkeiten des Alltags.
Durch die Figur Faye spricht immer entschiedener die Autorin Cusk selbst. Sie reflektiert über Freiheit, Selbsterkenntnis, Gerechtigkeit oder die Unsichtbarkeit der Frau in einer Männerwelt und erörtert das Problem der literarischen Abbildbarkeit der Realität oder das Dilemma zwischen Bleiben oder Fortgehen, durchaus auch unter Hinweis auf den Brexit. Die Frage "Bleiben oder Gehen?" erweist sich (neben der Fragwürdigkeit des literarischen Erfolgs in einer männlich dominierten Verlags- und Buchwelt) als das untergründige Thema des Buches, dessen intellektueller Anspruch dominant ist. Der Gestus abstrakter Erörterungen hat diesen überehrgeizigen Roman fest im Griff, ein wenig auf Kosten der erzählerischen Eleganz.

Rachel Cusk: "Kudos"
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
215 Seiten, 20 Euro

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