Rachel Cusk: "Lebenswerk"

Kinderkriegen als Krieg

06:08 Minuten
Buchcover zu "Lebenswerk" von Rachel Cusk.
Kinderkriegen ist nicht schwer, Mutterwerden aber sehr: Rachel Cusks "Lebenswerk" beschreibt Mutterschaft als Tour de Force. © Suhrkamp
Von Meike Feßmann |
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Rachel Cusk hat aufgeschrieben, was es wirklich heißt, Mutter zu werden. Um es milde auszudrücken: Es ist kein reines Vergnügen. Sie erzählt von Schlafmangel, Koliken, Entfremdung vom eigenen Körper und widersprüchlichen Emotionen.
Die ganz gewöhnlichen Dinge, die sich dann doch seltsam fremd anfühlen, sobald sie einem selbst geschehen, sind das Terrain von Rachel Cusk. Die in Kanada geborene Britin hat von ihrer Scheidung erzählt, vom Hauskauf in London, der die Mittel überstieg, vom Alltag einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, die als Schriftstellerin ein nur scheinbar freies Leben führt, während sie an Universitäten lehrt und als Handlungsreisende in Sachen Literatur von Festival zu Festival tingelt. Berühmt aber wurde sie, weil sie von der scheinbar gewöhnlichsten Sache der Welt berichtete, so radikal und deutlich, als ginge es darum, einen Krieg zu dokumentieren: 2001 schrieb sie über das Kinderkriegen und was es bedeutet, wenn aus einer Frau eine Mutter wird.
"A Life’s Work: On Becoming a Mother", seit der "Regretting-Motherhood"-Debatte noch bekannter geworden, liegt nun auf Deutsch in der gelungenen Übersetzung von Eva Bonné vor. "Odyssee im Weltraum" hätte man "Lebenswerk" auch nennen können. Schließlich wird das Objekt der Verwandlung mit einem Schlag in eine andere Galaxie exportiert. Es ist der Schock dieser Verwandlung, den die 1967 geborene Autorin in ihrem Memoir auf eine Weise in Sprache fasst, die stilbildend wurde.

Lineare Zeit kollabiert mit Mutterschaft

Denn die versierte Schriftstellerin hat nicht einfach aufgeschrieben, was ihr geschehen ist. Sie hat eine Form gefunden, die gleichermaßen essayistisch wie autobiografisch ist, und deren Wahrhaftigkeit nicht in der Chronologie der Ereignisse liegt, sondern in einer Art Kartografie widersprüchlicher Emotionen. Das als "Roman" titulierte Buch ist thematisch strukturiert, zumal die lineare Zeit des Projektierens und Vorankommens mit dem Mutterwerden ohnehin kollabiert. Rachel Cusk spricht von einer "mythischen Falle".
Rachel Cusk erzählt von Schlafmangel und Koliken, vom Stillen und der Entfremdung vom eigenen Körper, von der zombiehaften Existenz einer Frau, die sich vor der Geburt ihres Kindes als Intellektuelle verstehen durfte und sich danach fühlt, als könne sie nicht mehr auf drei zählen. Die kleinen Ausbrüche werden unversehens zu Katastrophen. Etwa der Spaziergang durch den Park mit einer Freundin, stolz und hoffnungsfroh begonnen, übermütig im Café abgerundet, wo sich das schreiende Kind nicht mehr in den Bauchsack verfrachten lässt und die Mutter schließlich, vom prasselnden Regen gejagt, gedemütigt in ein Taxi flüchtet. Die Freundin winkt ihr, elegant wie immer, hinterher.

Existenzschmerz aus eigener Kraft überwunden

Historische und soziologische Aspekte blendet die Autorin aus. Ihre Darstellung vertraut der Überzeugungskraft des Subjektiven. Von heute aus betrachtet, sind die zeithistorischen Indices durchaus apart. Etwa, wenn die Erzählerin, die sich in der Schwangerschaft vorgenommen hatte, als Mutter auf keinen Fall ihr bisheriges Leben aufzugeben, zwei Wochen nach der im 8. Monat notwendig gewordenen Kaiserschnitt-Entbindung den lange geplanten Theatertermin wahrnehmen will und sich von Telefonzelle zu Telefonzelle hangelt, um bei der Schwiegermutter nachzufragen, wie es dem Neugeborenen geht. In Zeiten des Smartphones gibt es diesen Parcours nicht mehr.
Allerdings wird auch die ungeteilte Aufmerksamkeit seltener, nach der Kinder gieren. Als die Koliken nach drei Monaten tatsächlich vorbei sind und die Tochter den "ersten Existenzschmerz" aus "eigener Kraft überwunden" hat, dämmert der Erzählerin, worin Mutterschaft besteht: "Es braucht nicht mehr, als da zu sein."

Rachel Cusk: "Lebenswerk. Über das Mutterwerden." Roman
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
220 Seiten, 22 Euro

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