Rassismus per Gesetz?
Offiziell ist es Polizisten in Deutschland verboten, Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe zu kontrollieren. Die Realität sei aber eine andere, klagen Betroffene. Sie fordern klarere Vorgaben für die Beamten - und haben noch weitergehende Vorschläge.
Am 03. Dezember 2010 fährt ein deutscher Student mit der Regionalbahn von Kassel nach Frankfurt. Zwei Bundespolizisten steigen in den Zug, picken ihn heraus und fordern ihn auf, sich auszuweisen. Der Student fragt nach dem Warum. Ein Grund, so der Bundespolizist: seine Hautfarbe.
"Es gibt institutionellen Rassismus in Deutschland. Abzustreiten sozusagen, was Betroffene als Alltagserlebnis beschreiben, macht keinen Sinn, denk ich mal", sagt Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, einer bundesweit agierenden Organisation, die oft erste Anlaufstelle für schwarze Menschen ist.
Offiziell verbietet es die Bundesregierung, Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe zu kontrollieren. Eine solche Kontrolle würde gegen Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verstoßen, der lautet: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Dennoch toleriert die Bundesregierung äußerliche Merkmale wie die Hautfarbe als ein Auswahlkriterium, solange es nicht das ausschlaggebende, sondern nur eines von vielen ist. Ist das Diskriminierung? Ja, entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im April letzten Jahres.
"Ich weiß das, weil ich das schon ganz lange mache"
Bei den sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen darf die Bundespolizei an Grenzen, 30 km dahinter und an Orten des internationalen Verkehrs ohne Verdachtsanlass Personen kontrollieren. Die Landespolizei vieler Bundesländer kann an sogenannten "gefährlichen" oder "kriminalitätsbelasteten Orten" dasselbe tun. Wenn aber ohne Verdacht kontrolliert wird, nach welchen Kriterien wird dann ausgewählt?
"Diese Unterscheidung, also die Verdachtsschöpfung zum Beispiel, das ist polizeiliches Handwerkszeug und das eben so hinzukriegen, dass es nicht vorurteilsbehaftet ist und alltagsbehaftet, das ist die große Kunst", sagt Rafael Behr. Der ehemalige Polizeibeamte und Polizeiwissenschaftler lehrt heute an der Akademie der Polizei Hamburg. Verdachtsschöpfung, so Behr, sei immer eine Kombination aus evidenzbasierten Fakten und – Erfahrung:
"Die eindrücklichen Bilder im Gedächtnis von Polizeibeamten und - beamtinnen ergeben sich durch eigene Erfahrungen oder berichtete Erfahrungen. Das habe ich auch als junger Polizist erlebt, dass die älteren Kollegen, die sogenannten Bärenführer, die einem an die Hand gegeben werden und auch alle anderen immer sehr stark auf ihre Erfahrung rekurriert haben und sagen: 'Ich weiß das, weil ich das schon ganz lange mache.' Das ist quasi ein nicht hinterfragbarer Modus. Und da steckt natürlich auch gleichzeitig die Gefahr, dass sich damit auch Vorurteile weiterentwickeln beziehungsweise immer wieder zeigen."
Rassismus bei der Polizei gebe es. Man müsse aber klar unterscheiden: "Es gibt es insofern, als es natürlich Polizeibeamte gibt, die rassistische Einstellungen haben. Das lässt sich auch durch die berufliche Tätigkeit nur zum Teil erklären. Aber als institutionelles Problem, also als Organisation, die Rassismus fördert, würde ich es nicht bezeichnen."
Personen nach ihrem Erscheinungsbild zu beurteilen, sieht auch Behr unter Umständen als zulässig: "Weil wir ohne die äußeren Merkmale auch nicht auskommen. Man braucht diese Kategorie Hautfarbe oder Ethnie ja nicht gänzlich zu löschen. Aber das racial im profiling entsteht dann, wenn es die einzige Verbindung zu abweichendem Verhalten ist."
Dunkle Hautfarbe = Ausländer?
Vera Egenberger sieht das anders. Sie ist Vorsitzende des BUG, des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung und begleitet betroffene Kläger als Beistand: "Da liegt genau die Krux: Es wird angenommen, dass man bestimmte Dinge an körperlichen Merkmalen festmachen könnte. Eine Person mit dunkler Haarfarbe ist nicht notwendigerweise ein Ausländer, eine Person mit heller Haut und blonden Haaren ist nicht notwendigerweise eine Deutsche. Und wenn ein Polizeibeamter behauptet, er hätte so viel Erfahrung, dann mag er diese Erfahrung haben, er kann es aber nicht anwenden auf diese einzelne Person, die vor ihm steht und einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen werden soll."
Die Polizei genieße eine besondere Machtposition, so Egenberger. Deshalb bräuchte es klare Verfahrensregelungen, um rassistischen Kontrollen entgegenzuwirken. Die ließen bisher aber noch zu wünschen übrig: "Es gibt in der jetzt bestehenden Verfahrensordnung einen Satz der bedeutet, dass Diskriminierung nicht erlaubt ist. Der Satz ist wunderbar aber er gibt dem Beamten oder der Beamtin keine Orientierung, wie eine solche verdachtsunabhängige Kontrolle durchgeführt werden soll."
Ein zu großer Interpretationsraum, der unter Umständen mit Vorurteilen gefüllt werden könne. Für mehr Transparenz bräuchte es außerdem eine unabhängige Beschwerdestelle: "Es ist auch strukturell schwierig für Polizeibeamte zu entscheiden, ob ein Kollege in einer Situation richtig oder falsch gehandelt hat. Wenn man als Institution versucht sich selbst zu analysieren und zu kontrollieren - das ist systemisch ein Problem."
Gehen Verbrecher wegen Vorurteilen leichter durchs Netz?
Rafael Behr hat das Thema Rassismus und Racial Profiling in seiner Ausbildung fest eingeplant. Vorgeschrieben ist es nicht. Dabei wäre es nötig, um ein konstruktives Verständnis für Rassismus zu entwickeln, glaubt Tahir Della:
"Rassismus festzustellen heißt nicht, dass eine Person oder eine Institution bewusst rassistisch handelt, aber sozusagen aus der inneren Logik heraus rassistische Handlungen passieren, ohne dass Leute es wirklich bewusst wollen."
Wer das begreift, lässt sich eher auf eine Debatte ein, die nicht nur die Polizei führen müsse: "Ich glaube, dass Racial Profiling und da die ganze Bandbreite ganz stark damit zu tun haben, dass das Selbstbild Deutschlands immer noch sehr stark von rassistischen Vorbehalten geprägt ist. Leute werden gefragt woher sie kommen, Leute sagen sie kommen aus Hamburg, Leute sagen dann 'wo kommst du wirklich her'. Es lässt sich nicht lösen sozusagen an Hand nur einer Struktur zum Beispiel. Sondern wir brauchen eine Debatte, die getragen ist von allen gesellschaftlichen Gruppen, und eine Offenheit tatsächlich auch."
Vorurteile, Stereotypen, Bilder im Kopf. Die großen Fische gehen wegen rassistischer Scheuklappen oft leichter durchs Netz, weiß Polizeiwissenschaftler Behr:
"45, blond, weiblich, ein bisschen adipös und vielleicht noch einen Kindersitz im Auto haben. Das ist der Typus, auf den sich die wenigsten Verdachtsmomente eines Polizeibeamten richten, wenn Menschen so ähnlich aussehen wie seine Nachbarn, wie die Personen in seiner privaten Welt."
Aber sehen unsere Nachbarn wirklich so aus?
(Online-Bearbeitung: ske)