Sorge vor dem Kemmerich-Effekt
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Nach Protesten gegen die Wahl des Schriftstellers Jörg Bernig mit AfD-Stimmen zum Leiter des Radebeuler Kulturamts soll der Posten neu besetzt werden. Jazz-Legende Günter „Baby“ Sommer führte die Bewegung an. Künstler sollten wachsamer sein, sagt er.
Am Montagabend soll der vakante Posten des Kulturamtsleiters von Radebeul in Sachsen besetzt werden. Der Stadtrat hatte am 20. Mai den Schriftsteller Jörg Bernig mit den Stimmen von AfD und CDU gewählt. Der 56-Jährige wird von Kritikern der neu-rechten Szene zugeordnet.
Nach Protesten hatte Oberbürgermeister Bert Wendsche auf der Grundlage der sächsischen Gemeindeordnung der Entscheidung widersprochen und sie dem Stadtrat zur Prüfung vorgelegt. Der Kulturverein der Stadt hatte eine Amtsenthebungspetition gestartet, die auch den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer alarmierte. Bernig tritt nicht ein zweites Mal an.
Konstruktive Rolle des Ministerpräsidenten
Das wohl entscheidende Gespräch mit dem christdemokratischen Regierungschef und Bernig in Dresden hatte ein Vorstandsmitglied des Kulturvereins Radebeul initiiert: der Jazz-Musiker Günter "Baby" Sommer. Er erzählt vom Zusammentreffen der drei Männer:
"Immer wenn es ein bisschen sich verhakte, hat Herr Kretschmer geschlichtet und Herrn Bernig auch sehr kreative Vorschläge gemacht, dass er endlich mal aus seinem Schweigeraum heraustreten möge und uns, den Kritikern und den kulturinteressierten Bürgern von Radebeul und den Künstlern natürlich auch, in erster Linie mal sagen soll, was er überhaupt mit dem Kulturamt vorhat. Und wie er gedenkt, in welche Richtung zu gehen."
Denn solange Bernig von seinen Kritikern in einem Boot mit der AfD verortet werde und sich nicht von deren kulturpolitischen Positionen distanziere, gebe es die Furcht um die freie Ausübung von Kunst und Kultur, erklärt Sommer. Ohne die öffentliche Kritik auch und gerade des Radebeuler Kulturvereins und seiner Initiative hätte die Personalie Bernig womöglich nicht für überregionale Schlagzeilen gesorgt. Das ist auch Sommer bewusst:
"Diese ganze Geschichte" wäre passiert, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. "Und wir hätten dann an der Arbeit gemerkt: Hoi, wer sitzt denn da am Lenkrad. Wir sitzen alle in dem Auto und Herr Bernig hat das Lenkrad in der Hand und fährt uns irgendwohin, wo es uns gar nicht gefällt."
"Künstler sollten wachsamer sein"
Eine lebendige Demokratie müsse diese kritische Auseinandersetzung und basisdemokratische Hinterfragung einfach durchmachen, sagt Sommer. Die Reife einer Demokratie müsse sich letzten Endes an ihrer Diskursfähigkeit messen lassen. "Das müssen mehr und mehr Künstler begreifen. Also ich finde, viele Künstler sollten den politischen, speziell den kulturpolitischen Vorgängen gegenüber viel wachsamer sein."
Wie die Abstimmung am Montag ausgehen wird, ist dabei völlig offen, ein "kleiner Kemmerich-Effekt" sei allerdings denkbar, sagt Sommer, da Bernig nicht antreten werde und unklar sei, ob diejenigen, die beim ersten Mal für ihn gestimmt hatten, diesmal für seine damalige Gegenkandidatin stimmen würden. Und genau dieser Kemmerich-Effekt habe den Ministerpräsidenten überhaupt erst auf den Plan gebracht, sagt Sommer.
(ckr)