Radelnder Bürgermeister in Istanbul

Pionier gegen Staus und dicke Luft

Feierabendverkehr vor der Schiffsanlegestelle Eminönü in Istanbul.
Feierabendverkehr vor der Schiffsanlegestelle Eminönü in Istanbul. © dpa / picture-alliance
Von Christian Buttkereit |
Hupende Autos, riskante Überholmanöver, Stau – eigentlich ist der Istanbuler Straßenverkehr ein No-Go-Area für Fahrradfahrer. Murat Aydin will das ändern. Der Bürgermeister ist aufs Rad umgestiegen. Erst wurde er belächelt, nun gilt er als Vorbild
Zeytinburnu ist auf den ersten Blick ein typischer Istanbuler Stadtteil – dicht bebaut, mit verstopften Straßen und wenigen Grünflächen. Rund 300.000 Menschen leben hier.
Einer sorgt dafür, dass Zeytinburnu doch etwas Besonderes ist: Murat Aydin ist 58 Jahre alt, trägt einen dunkelblauen Anzug mit bunter Krawatte und einen schwarz-roten Fahrradhelm. Lässig hebt er die Hand, um seine Bürger zu grüßen – wenn er nicht gerade lenken, bremsen oder schalten muss. Im Schnitt legt er etwa zehn Kilometer am Tag zurück.
"Wenn ich zu irgendeiner Veranstaltung oder zu einer Beerdigung muss, dann nehme ich das Fahrrad. Mittlerweile lege ich 95 Prozent aller Dienstfahrten in Zeytinburnu mit dem Rad zurück."
Murat Aydin, der Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Zeytinburnu, ist auf's Rad umgestiegen.
Murat Aydin, der Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Zeytinburnu, ist auf's Rad umgestiegen. © Deutschlandradio / Christian Buttkereit
In der Türkei, wo sich Selbstbewusstsein und Prestige häufig noch über die Größe des Autos definieren, ist der radelnde Bürgermeister von Erdogans Partei AKP Unikum und Vorreiter zugleich. Denn der Bürgermeister hat die gesamte Stadtverwaltung angewiesen, es ihm gleich zu tun. Vom Straßenfeger bis zur Bauaufsicht:
"Zu Anfang war der Widerstand groß. Die höheren Beamten dachten, ich spinne und das würde sich schon wieder geben. Aber ich habe ihnen die Dienstwagen gestrichen und sie vor die Wahl gestellt: Entweder Ihr fahrt Fahrrad oder Ihr geht zu Fuß!"
Bei den Arbeitern sei es dann nicht mehr schwer gewesen. Sie hätten sich der Anweisung gefügt. Doch nicht jeder konnte Fahrradfahren. Die Verwaltung organisierte deshalb Kurse und schaffte 500 Fahrräder an.

Das Ordnungsamt kommt auf dem Rad

Baris ist 36 und trägt die eigens dafür geschneiderte Uniform der Ordnungsamt-Fahrradstaffel. Er sei anfänglich skeptisch gewesen. Doch inzwischen sei er nicht nur vier Kilo leichter, sondern auch ein überzeugter Dienstradfahrer:
"Ja, das Ordnungsamt wird auch auf Fahrrädern ernst genommen. Die meisten Bürger finden das sympathisch. Und wir bekommen mehr von der Umwelt mit als im Auto. Wir erkennen häufiger Probleme, noch bevor es zu Beschwerden kommt. Zum Beispiel bei Autos, die auf Bürgersteigen parken oder Behindertenwege versperren. Da können wir direkt eingreifen."
Ein anderer Vorteil sei die Geschwindigkeit. Eine Strecke, für die er mit dem Auto zu Stoßzeiten mindestens 15 Minuten brauchte, schafft Baris mit dem Fahrrad in nur fünf Minuten.
Sein Kollege Murat von der Stadtreinigung freut sich über die Extraportion frische Luft und Bewegung.
"Morgens radel ich in das Viertel, für dessen Reinigung ich zuständig bin. Dort stelle ich mein Fahrrad ab und fege meine Straßen. Wenn ich fertig bin, schließe ich meinen Besen dort in einen Werkzeugschrank und radel nach Hause."
Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung Zeytinburnu ist mit seinem Dienstrad unterwegs.
Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung Zeytinburnu ist mit seinem Dienstrad unterwegs.© Deutschlandradio / Christian Buttkereit
Doch die Stadtverwaltung auf Rädern spart nicht nur Zeit. In den ersten sechs Monaten des Projektes zwischen April und Oktober habe die Stadtverwaltung etwa 20.000 Liter Treibstoff im Wert von fast 30.000 Euro gespart, rechnet Bürgermeister Murat Aydin vor. Das entspricht etwa 50 Tonnen C02. İnzwischen dürften es ungefähr 90 Tonnen sein.

Zeytinburnu avanciert zum Vorbild

"Anfangs wurde ich belächelt. Von den Leuten in Zeytinburnu, aber auch von anderen Bürgermeistern. Inzwischen ist Zeytinburnu ein Vorbild für die Türkei geworden und viele Kollegen fragen interessiert nach. Ich hoffe, dass sich unsere Initiative zuerst über Istanbul und dann über die ganze Türkei verbreitet, so dass in drei bis vier Jahren ein Viertel der türkischen Bevölkerung Fahrrad fährt."
In Zeytinburnu ist der Anfang gemacht. Jeden Sonntag organisiert die Stadtverwaltung Radtouren für ihre Bürger. Mit jeweils 200 bis 300 Teilnehmern. Stets vorneweg Bürgermeister Murat Aydin.
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