Radikal, asketisch, poetisch
Der Buddhismus hat Hochkonjunktur. Nicht nur Prominente wie Goldie Hawn oder Don Johnson bekennen sich zu dieser Religion. Ob der Buddhismus allerdings wirklich so modern ist, wie gerne behauptet wird, erscheint fraglich nach der Lektüre von "Wege zur rechten Erkenntnis. Buddhistische Lehrbriefe".
"Buddha hat verkündet, dass die Lust,
Reichtum und auch Frauen
Wellen gleichen,
die der Mond in einer gauklerischen Wasserspiegelung zum Zittern bringt.
Toren, die an ihnen hängen,
fallen wieder in die Hölle!
Trug hat sie getäuscht,
der schillernd, ungezügelt,
sie im Schlaf besucht."
Aus dem sogenannten "Brief an den Schüler" von Chandragomin - ein buddhistischer Gelehrter und Literat aus dem fünften Jahrhundert.
Wer dieses Buch studiert, gewinnt die Überzeugung, der Buddhismus ist eine radikal asketische Religion. Und wer anschließend in Hochglanzmagazinen blättert und staunt, dass sich immer mehr Stars und Sternchen zum Buddhismus hingezogen fühlen, ahnt, dass womöglich viele von ihnen nicht so genau wissen, wovon sie reden.
Die die buddhistischen Lehrmeister in diesem Band jedenfalls warnen immerfort: Wer sich den Lüsten der Sinne ergibt, hat mit einer Wiedergeburt als Schwein zu rechnen. Oder als Wurm oder Affe, als Tier jedenfalls. Und nicht nur das, vor der tierischen Reinkarnation droht auch noch der Abstieg in die Hölle. Oder besser: in eine Hölle, denn Höllen gibt es viele in der buddhistischen Mythologie. Dort warten grauenvolle Strafen auf die Sünder:
"Einige werden wie Sesamkörner zerquetscht,
andere werden zu feinem Staub zermalmt,
wieder andere müssen die Berührungen von
Zehntausenden Würmern, Insekten
Schmeißfliegen und Moskitos ertragen,
andere werden kopfüber in großen Pfannen
wie kleine Reiskörner gekocht."
Prophezeit Nagarjuna. Nagarjuna gilt als bedeutendster Denker des Buddhismus nach dem Buddha selbst, er lebte im zweiten Jahrhundert. Sein "Brief an einen Freund" hat sich in Abschriften über ganz Asien verbreitet, allein in China sind drei verschiedene Übersetzungen bekannt. Lehrbriefe galten buddhistischen Mönchen von Anfang an als ein probates Mittel, die Ideen des Buddha Siddhartha Gautama, der bekanntlich selbst nichts aufgeschrieben hat, zu verbreiten.
Zwölf dieser Briefe, verfasst in tausend Jahren buddhistischer Geschichte, zwischen dem zweiten und dem zwölften Jahrhundert und von Mönchen immer wieder abgeschrieben, hat das vorliegende Buch versammelt. Sie alle gehören dem Kanon der Heiligen Schriften des tibetischen Buddhismus an. Zehn dieser Briefe sind überhaupt nur in tibetischen Klöstern erhalten geblieben.
"Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatten die muslimischen Eroberer Indiens ihr Zerstörungswerk nahezu abgeschlossen, und die so reichhaltige Literatur des indischen Buddhismus war in ihrem Ursprungsland verschwunden, mit ihr die Briefliteratur. - Außerhalb von Tibet haben nur der älteste, Nagarjunas 'Brief an einen Freund', und Chandragomins 'Brief an den Schüler' überlebt."
Den Lehrbrief des Chandragomin hat man in Nepal aufgefunden, in einer einzigen Abschrift auf Palmblättern. Einem britischen Kenner hat sie erworben, heute gehört sie der Bibliothek von Cambridge.
Das alles erfahren wir im Kommentarteil dieses Buches, verfasst von den Herausgebern Michael Hahn und Siglinde Dietz, beide Indologen und Philologen, beide renommierte Übersetzer. Siglinde Dietz hat neun der hier versammelten Briefe erstmals aus dem Tibetischen ins Deutsche übersetzt. Michael Hahn verdanken wir eine Neuübersetzung des "Briefes an den großen König Kanishka".
Jeder einzelne Brief liefert eine Deutung der Lehren des Buddha, manche sind nüchtern-rationale Traktate, andere voll Poesie. Die Herausgeber haben sie chronologisch geordnet, das Buch beginnt mit Nagarjunas Text aus dem zweiten Jahrhundert.
Jedem Brief ist ein Kommentar beigefügt mit Auskünften über den Autor und über den oder die Adressaten, dazu eine Erläuterung von Begriffen des Tibetischen und des Sanskrit, die dem Laien nicht geläufig sind. So erwirbt der Leser fast beiläufig einige Kenntnis über indische und tibetische Kulturgeschichte und über buddhistische Mythologie. Zum Beispiel hören wir von Mara, der Sage nach Gegenspieler des Buddha:
"Mara versuchte der frommen Legende nach, den Buddha bei seiner entscheidenden Meditation zu stören. Zunächst sollten ihn seine drei liebreizenden Töchter ablenken, und als dies fruchtlos blieb, versuchte er, ihm durch sein grausiges Heer Furcht einzuflößen, blieb dabei aber ebenso erfolglos."
Da fühlt man sich an die Versuchungen Christi durch Satan erinnert, wie man überhaupt bei der Lektüre dieser Briefe reichlich Parallelen zum Ethos der Bibel entdeckt. Zum Beispiel denkt man unwillkürlich an die zehn Gebote aus dem fünften Buch Mose angesichts der "zehn heilvollen Dinge", die der Brief des Dpal Byangs seinem Leser ans Herz legt:
"Nachdem man das Verhalten des Körpers recht gezügelt hat,
soll man das Töten von Lebewesen, Diebstahl und Ehebruch unterlassen.
Man soll keine Verleumdung, Lüge, grobe Rede und keine sinnlose Rede aussprechen."
Was die Übersetzungen der Briefe betrifft – der Leser spürt, da waren Sprachwissenschaftler am Werk, die sich bemüht haben, möglichst dicht am Original zu bleiben. Solch philologische Akribie ist verdienstvoll, keine Frage, aber sie hat einen Preis, und der Preis einer genauen Übersetzung ist fast immer ein Verlust der Poesie des Originals. Besonders der Brief des Chandragomin – ein Gedicht, in sechszeiligen Versen verfasst - hat anscheinend ein wenig gelitten.
"Chandragomin schrieb ein sehr klares und elegantes Sanskrit, seine Werke weisen ihn als einen erstrangigen Dichter aus."
Heißt es im Kommentar. Die deutsche Version seines Lehrgedichtes hingegen klingt nicht eben elegant, an manchen Stellen sogar ziemlich holprig. Man könnte sich vorstellen, diesen wundervollen Brief in deutscher Sprache nachzudichten. In diesem Fall fände ein begabter Poet hier eine Vorlage von zwei erstrangigen Philologen.
Rezensiert von Susanne Mack
Siglinde Dietz /Michael Hahn (Herausgeber): Wege zur rechten Erkenntnis. Buddhistische Lehrbriefe
Verlag der Weltreligionen. Frankfurt/Main 2008
432 Seiten, 32 Euro
Reichtum und auch Frauen
Wellen gleichen,
die der Mond in einer gauklerischen Wasserspiegelung zum Zittern bringt.
Toren, die an ihnen hängen,
fallen wieder in die Hölle!
Trug hat sie getäuscht,
der schillernd, ungezügelt,
sie im Schlaf besucht."
Aus dem sogenannten "Brief an den Schüler" von Chandragomin - ein buddhistischer Gelehrter und Literat aus dem fünften Jahrhundert.
Wer dieses Buch studiert, gewinnt die Überzeugung, der Buddhismus ist eine radikal asketische Religion. Und wer anschließend in Hochglanzmagazinen blättert und staunt, dass sich immer mehr Stars und Sternchen zum Buddhismus hingezogen fühlen, ahnt, dass womöglich viele von ihnen nicht so genau wissen, wovon sie reden.
Die die buddhistischen Lehrmeister in diesem Band jedenfalls warnen immerfort: Wer sich den Lüsten der Sinne ergibt, hat mit einer Wiedergeburt als Schwein zu rechnen. Oder als Wurm oder Affe, als Tier jedenfalls. Und nicht nur das, vor der tierischen Reinkarnation droht auch noch der Abstieg in die Hölle. Oder besser: in eine Hölle, denn Höllen gibt es viele in der buddhistischen Mythologie. Dort warten grauenvolle Strafen auf die Sünder:
"Einige werden wie Sesamkörner zerquetscht,
andere werden zu feinem Staub zermalmt,
wieder andere müssen die Berührungen von
Zehntausenden Würmern, Insekten
Schmeißfliegen und Moskitos ertragen,
andere werden kopfüber in großen Pfannen
wie kleine Reiskörner gekocht."
Prophezeit Nagarjuna. Nagarjuna gilt als bedeutendster Denker des Buddhismus nach dem Buddha selbst, er lebte im zweiten Jahrhundert. Sein "Brief an einen Freund" hat sich in Abschriften über ganz Asien verbreitet, allein in China sind drei verschiedene Übersetzungen bekannt. Lehrbriefe galten buddhistischen Mönchen von Anfang an als ein probates Mittel, die Ideen des Buddha Siddhartha Gautama, der bekanntlich selbst nichts aufgeschrieben hat, zu verbreiten.
Zwölf dieser Briefe, verfasst in tausend Jahren buddhistischer Geschichte, zwischen dem zweiten und dem zwölften Jahrhundert und von Mönchen immer wieder abgeschrieben, hat das vorliegende Buch versammelt. Sie alle gehören dem Kanon der Heiligen Schriften des tibetischen Buddhismus an. Zehn dieser Briefe sind überhaupt nur in tibetischen Klöstern erhalten geblieben.
"Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatten die muslimischen Eroberer Indiens ihr Zerstörungswerk nahezu abgeschlossen, und die so reichhaltige Literatur des indischen Buddhismus war in ihrem Ursprungsland verschwunden, mit ihr die Briefliteratur. - Außerhalb von Tibet haben nur der älteste, Nagarjunas 'Brief an einen Freund', und Chandragomins 'Brief an den Schüler' überlebt."
Den Lehrbrief des Chandragomin hat man in Nepal aufgefunden, in einer einzigen Abschrift auf Palmblättern. Einem britischen Kenner hat sie erworben, heute gehört sie der Bibliothek von Cambridge.
Das alles erfahren wir im Kommentarteil dieses Buches, verfasst von den Herausgebern Michael Hahn und Siglinde Dietz, beide Indologen und Philologen, beide renommierte Übersetzer. Siglinde Dietz hat neun der hier versammelten Briefe erstmals aus dem Tibetischen ins Deutsche übersetzt. Michael Hahn verdanken wir eine Neuübersetzung des "Briefes an den großen König Kanishka".
Jeder einzelne Brief liefert eine Deutung der Lehren des Buddha, manche sind nüchtern-rationale Traktate, andere voll Poesie. Die Herausgeber haben sie chronologisch geordnet, das Buch beginnt mit Nagarjunas Text aus dem zweiten Jahrhundert.
Jedem Brief ist ein Kommentar beigefügt mit Auskünften über den Autor und über den oder die Adressaten, dazu eine Erläuterung von Begriffen des Tibetischen und des Sanskrit, die dem Laien nicht geläufig sind. So erwirbt der Leser fast beiläufig einige Kenntnis über indische und tibetische Kulturgeschichte und über buddhistische Mythologie. Zum Beispiel hören wir von Mara, der Sage nach Gegenspieler des Buddha:
"Mara versuchte der frommen Legende nach, den Buddha bei seiner entscheidenden Meditation zu stören. Zunächst sollten ihn seine drei liebreizenden Töchter ablenken, und als dies fruchtlos blieb, versuchte er, ihm durch sein grausiges Heer Furcht einzuflößen, blieb dabei aber ebenso erfolglos."
Da fühlt man sich an die Versuchungen Christi durch Satan erinnert, wie man überhaupt bei der Lektüre dieser Briefe reichlich Parallelen zum Ethos der Bibel entdeckt. Zum Beispiel denkt man unwillkürlich an die zehn Gebote aus dem fünften Buch Mose angesichts der "zehn heilvollen Dinge", die der Brief des Dpal Byangs seinem Leser ans Herz legt:
"Nachdem man das Verhalten des Körpers recht gezügelt hat,
soll man das Töten von Lebewesen, Diebstahl und Ehebruch unterlassen.
Man soll keine Verleumdung, Lüge, grobe Rede und keine sinnlose Rede aussprechen."
Was die Übersetzungen der Briefe betrifft – der Leser spürt, da waren Sprachwissenschaftler am Werk, die sich bemüht haben, möglichst dicht am Original zu bleiben. Solch philologische Akribie ist verdienstvoll, keine Frage, aber sie hat einen Preis, und der Preis einer genauen Übersetzung ist fast immer ein Verlust der Poesie des Originals. Besonders der Brief des Chandragomin – ein Gedicht, in sechszeiligen Versen verfasst - hat anscheinend ein wenig gelitten.
"Chandragomin schrieb ein sehr klares und elegantes Sanskrit, seine Werke weisen ihn als einen erstrangigen Dichter aus."
Heißt es im Kommentar. Die deutsche Version seines Lehrgedichtes hingegen klingt nicht eben elegant, an manchen Stellen sogar ziemlich holprig. Man könnte sich vorstellen, diesen wundervollen Brief in deutscher Sprache nachzudichten. In diesem Fall fände ein begabter Poet hier eine Vorlage von zwei erstrangigen Philologen.
Rezensiert von Susanne Mack
Siglinde Dietz /Michael Hahn (Herausgeber): Wege zur rechten Erkenntnis. Buddhistische Lehrbriefe
Verlag der Weltreligionen. Frankfurt/Main 2008
432 Seiten, 32 Euro