Radikale Poesie
Geboren am 11. November 1929 in Kaufbeuren, wurde Enzensberger als sehr junger Mann durch den Gedichtband "verteidigung der wölfe" schnell berühmt. Er zählt zu den prominentesten Intellektuellen des Landes.
Alles ist möglich
dass wir noch nicht tot sind
Eine Tür öffnet sich und neue Irrtümer sind mir lieber als alle Gewissheiten in meinem Mund
So leicht wie sein "Sommergedicht" beginnen alle Texte von Hans Magnus Enzensberger. Man hat den Eindruck, dass einer gleich vom Boden abheben und sich nicht lange bei Bekanntem aufhalten möchte. Geboren am
11. November 1929 in Kaufbeuren, wurde Enzensberger 1957 als sehr junger Mann durch den Gedichtband "verteidigung der wölfe" schnell berühmt. Da war ein neuer, verspielter und in den folgenden Gedichtbänden "landessprache" und "blindenschrift" zunehmend auch ironischer Ton, in dem dieser Autor seinen Blick auf die Welt und die Zustände in Westdeutschland benannte.
"Ins Lesebuch für die Oberstufe" hieß ein Gedicht, das dazu aufforderte, keine Oden zu lesen, sondern Fahrpläne - die seien genauer, denn:
der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor
schlagen und malen den neinsagern auf die brust
zinken
Bald trat zur Lyrik auch eine viel beachtete politische Essayistik, die keine Tabus kannte:
In seinem eignen Bewusstsein dünkt ein jeder, und noch der unselbständigste Kopf, sich souverän. Keine Illusion wird zäher verteidigt. Der Aberglaube, als könnte der Einzelne im eignen Bewusstsein, wenn schon nirgends sonst, Herr im Hause bleiben, ist heruntergekommene Philosophie, Idealismus in Hausschuhen, reduziert aufs Augenmaß des Privaten.
Da untersuchte Enzensberger in seinem Buch "Einzelheiten" die "Bewusstseinsindustrie", für ihn die Schlüsselindustrie des 20. Jahrhunderts, griff die politische Berichterstattung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" an oder analysierte die Sprache des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Diese Hiebe saßen, auch weil sie mit größter stilistischer Eleganz ausgeteilt wurden, bei zunehmender inhaltlicher Radikalisierung, die vor allem im von Enzensberger 1965 mit begründeten und herausgegebenen "Kursbuch" ihr Forum fand. Seine eigene Abrechnung mit der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft nannte er "Berliner Gemeinplätze":
Statt das einzige zu machen, was es hätte retten können, die Revolution, entschloss das westliche Deutschland sich im Jahre 1945, zu konvertieren. Umkehr statt Umsturz, Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse von oben statt ihrer Revolutionierung von unten, Bewältigung der Vergangenheit statt Klassenkampf um die Zukunft. Wiederaufbau des Alten als Realität. Neubeginn als Rhetorik.
Er schrieb neben politischen Gedichten und Analysen auch einen Dokumentarroman über den spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti und gab sogar ein Buch mit Kinderreimen heraus; er trat für freien Sozialismus ein und argumentierte auf eine wieder spielerisch leichte Art marxistisch, und dann plötzlich sprach er in einem Gedicht Machiavelli als einen "Bruder" an. So war Enzensberger nie wirklich zu fassen, sondern immer beweglich und unterwegs, in Russland oder auf Cuba, lange lebte er auch auf einer Insel im Oslo-Fjord und in Lanuvio bei Rom.
Inmitten der westdeutschen Enge predigte er einen politischen wie poetischen Internationalismus, der in seiner romantischen Ausrichtung stets eigenartig leuchtete. Da ist Enzensberger immer auch ein Nachfolger Clemens Brentanos geblieben, über den er 1955 seine Doktorarbeit geschrieben hatte und die sich heute wie ein heimliches Selbstporträt liest:
Sein wahres Wesen kennen wir nicht, ein träumerisches Kind, Gebieter über ein phantastisches Fürstentum zwischen Himmel und Erde; ein Kobold und Bürgerschreck, zum gefährlichen Spiel fähig, ein radikaler Artist, scheinbar mühelos, in begeisterter Laune Schnuren, Feuerzeilen, urkräftige Mythen ausstreuend, doch vieldeutig und verborgen Zukünftiges fordernd.
Einige Jahre später, in seinem "Sommergedicht", sprach Enzensberger Klartext:
Was noch nicht da ist
das ist keine Kunst
Meine Welt ist so groß in dieser Nacht wie meine Irrtümer
kannst Du mir helfen?
dass wir noch nicht tot sind
Eine Tür öffnet sich und neue Irrtümer sind mir lieber als alle Gewissheiten in meinem Mund
So leicht wie sein "Sommergedicht" beginnen alle Texte von Hans Magnus Enzensberger. Man hat den Eindruck, dass einer gleich vom Boden abheben und sich nicht lange bei Bekanntem aufhalten möchte. Geboren am
11. November 1929 in Kaufbeuren, wurde Enzensberger 1957 als sehr junger Mann durch den Gedichtband "verteidigung der wölfe" schnell berühmt. Da war ein neuer, verspielter und in den folgenden Gedichtbänden "landessprache" und "blindenschrift" zunehmend auch ironischer Ton, in dem dieser Autor seinen Blick auf die Welt und die Zustände in Westdeutschland benannte.
"Ins Lesebuch für die Oberstufe" hieß ein Gedicht, das dazu aufforderte, keine Oden zu lesen, sondern Fahrpläne - die seien genauer, denn:
der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor
schlagen und malen den neinsagern auf die brust
zinken
Bald trat zur Lyrik auch eine viel beachtete politische Essayistik, die keine Tabus kannte:
In seinem eignen Bewusstsein dünkt ein jeder, und noch der unselbständigste Kopf, sich souverän. Keine Illusion wird zäher verteidigt. Der Aberglaube, als könnte der Einzelne im eignen Bewusstsein, wenn schon nirgends sonst, Herr im Hause bleiben, ist heruntergekommene Philosophie, Idealismus in Hausschuhen, reduziert aufs Augenmaß des Privaten.
Da untersuchte Enzensberger in seinem Buch "Einzelheiten" die "Bewusstseinsindustrie", für ihn die Schlüsselindustrie des 20. Jahrhunderts, griff die politische Berichterstattung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" an oder analysierte die Sprache des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Diese Hiebe saßen, auch weil sie mit größter stilistischer Eleganz ausgeteilt wurden, bei zunehmender inhaltlicher Radikalisierung, die vor allem im von Enzensberger 1965 mit begründeten und herausgegebenen "Kursbuch" ihr Forum fand. Seine eigene Abrechnung mit der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft nannte er "Berliner Gemeinplätze":
Statt das einzige zu machen, was es hätte retten können, die Revolution, entschloss das westliche Deutschland sich im Jahre 1945, zu konvertieren. Umkehr statt Umsturz, Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse von oben statt ihrer Revolutionierung von unten, Bewältigung der Vergangenheit statt Klassenkampf um die Zukunft. Wiederaufbau des Alten als Realität. Neubeginn als Rhetorik.
Er schrieb neben politischen Gedichten und Analysen auch einen Dokumentarroman über den spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti und gab sogar ein Buch mit Kinderreimen heraus; er trat für freien Sozialismus ein und argumentierte auf eine wieder spielerisch leichte Art marxistisch, und dann plötzlich sprach er in einem Gedicht Machiavelli als einen "Bruder" an. So war Enzensberger nie wirklich zu fassen, sondern immer beweglich und unterwegs, in Russland oder auf Cuba, lange lebte er auch auf einer Insel im Oslo-Fjord und in Lanuvio bei Rom.
Inmitten der westdeutschen Enge predigte er einen politischen wie poetischen Internationalismus, der in seiner romantischen Ausrichtung stets eigenartig leuchtete. Da ist Enzensberger immer auch ein Nachfolger Clemens Brentanos geblieben, über den er 1955 seine Doktorarbeit geschrieben hatte und die sich heute wie ein heimliches Selbstporträt liest:
Sein wahres Wesen kennen wir nicht, ein träumerisches Kind, Gebieter über ein phantastisches Fürstentum zwischen Himmel und Erde; ein Kobold und Bürgerschreck, zum gefährlichen Spiel fähig, ein radikaler Artist, scheinbar mühelos, in begeisterter Laune Schnuren, Feuerzeilen, urkräftige Mythen ausstreuend, doch vieldeutig und verborgen Zukünftiges fordernd.
Einige Jahre später, in seinem "Sommergedicht", sprach Enzensberger Klartext:
Was noch nicht da ist
das ist keine Kunst
Meine Welt ist so groß in dieser Nacht wie meine Irrtümer
kannst Du mir helfen?