Zwickau soll Zentrum der E-Mobilität werden
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330.000 E-Autos pro Jahr: Nach dem Willen von VW soll das Werk in Zwickau der größte Standort für E-Autos in Europa werden. Die Arbeitsplätze würden dadurch nicht weniger, meint Bereichsleiter Heiko Rösch. Aber fast alle Mitarbeiter müssen umgeschult werden.
Von außen sieht alles aus wie immer. Drinnen wird seit Sommer 2018 alles umgekrempelt. Im VW-Werk Zwickau wird Autogeschichte geschrieben, sagt Reinhard de Vries, Geschäftsführer für Technik und Logistik:
"Wir haben unsere Fabrik in zwei Hälften geteilt, die eine Hälfte wird jetzt freigefahren von dem Verbrenner, deswegen geht man auch mit den Stückzahlen runter. Die eine Scheibe der Fabrik wird freigespielt für den Umbau, und die andere produziert noch Verbrenner weiter. Das ist eben auch eine Herausforderung, die es nicht alle Tage gibt, bei laufender Fertigung ziehen wir um!"
Bereits 2020 soll die Produktion des ID, des ersten vollelektrischen Volkswagens der Golfklasse in den umgebauten Hallen anlaufen, sagt Reinhard de Vries. Dann wird die zweite Hälfte der Fabrik umgerüstet, um mittel- und langfristig sechs unterschiedliche Modelle mit Elektroantrieb zu produzieren. 330.000 Autos sollen am Ende pro Jahr hier vom Band laufen, das sind rund 30.000 mehr als bisher: "Wir machen Ernst und haben alles auf E-Mobility ausgerichtet."
Eine komplett neue Plattform für E-Autos
Wie dieser nach Konzernangaben "weltweit einzigartige" Umbau in der laufenden Produktion stattfindet, erfährt man in Halle 2, dem Herzstück des Transformationsprozesses. Fotografieren ist nur nach Absprache erlaubt, hier stehen schon Karosserieteile neuen Typs, viele sind noch abgedeckt, vor neugierigen Blicken geschützt.
"Wir sind jetzt in Halle 2. Die Halle 2 hat ungefähr 85.000 Quadratmeter Fläche, das sind so elf Fußballfelder und die ist nahezu völlig umgestellt, was die Technik betrifft", sagt Heiko Rösch. Der studierte Maschinenbauer ist im VW-Werk Zwickau im Karosseriebau verantwortlich für den Aufbau der ID-Linie, das neue Elektroauto, für das hier eine komplett neue Plattform sowie ein spezieller Elektrobausatz entwickelt wurde. Ab November soll der neue Typ vom Band laufen:
"Wir befinden uns aktuell gerade in der Vorbereitung der Vorserien. Der ID läuft schon und wir beginnen gerade – das können Sie hier sehen – mit dem ID Cross."
Fast alle Beschäftigten müssen umgeschult werden
VW investiert rund 1,3 Milliarden Euro in das Werk in Zwickau. 9.000 Tonnen Stahl werden verbaut, 50.000 Quadratmeter Hallenfläche errichtet und die gesamte Produktion stärker automatisiert und digitalisiert. In Halle 2 stehen 1.625 bis zu vier Meter große, leuchtend orangefarbene Industrieroboter in Gruppen eng beieinander. Mit eingeklappten Greifarmen warten sie stumm auf ihren Einsatz.
"Das Ganze, was Sie hier sehen, ist eine Seitenteil-Anlage, 100 mal 60 Meter groß, und wir machen hier nur das Seitenteil, also das ist ein kleines Stück, aber eine Riesenanlage. Und hier werden später mal drei Menschen arbeiten."
Das klingt so, als würden in Zwickau demnächst Arbeitsplätze abgebaut. Tatsächlich könnten Studien zufolge über 100.000 Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie durch den Umstieg auf Elektroantrieb verloren gehen, weil Elektroautos viel einfacher produziert werden können. Doch VW-Bereichsleiter Rösch winkt ab. Er geht nicht davon aus, dass in Zwickau in Zukunft weniger Menschen arbeiten werden. Aber sie werden andere Tätigkeiten ausüben, sagt er:
"Für die Menschen hier bedeutet das Thema Transformation: wir haben einen ganz anderen Anteil, wir haben weniger Mitarbeiter, die mit der Hand am Produkt arbeiten, und viel mehr, die Technik betreuen müssen. Wir müssen also auch Mitarbeiter, die es nicht gelernt haben, in eine neue Berufsgruppe bringen, die also eine Anlage bedienen können und dafür haben wir ein besonderes Qualifizierungsprogramm gemacht. Wir müssen also nahezu jeden umschulen."
Viele Mitarbeiter sind skeptisch gegenüber dem E-Auto
Das bedeutet: alle rund 8.000 Beschäftigten des VW-Werkes in Zwickau durchlaufen derzeit ein Trainings- und Weiterbildungsprogramm im Trainingscenter für E-Mobilität, um sich fit zu machen für die neuen Aufgaben. Dabei geht es nicht nur um technische Kenntnisse, sondern, wie Dirk Coers, Geschäftsführer Personal erläutert, auch um die mentale Einstellung zur neuen Antriebstechnologie.
"Wir sind eigentlich das größte Trainingslager, das Volkswagen zur Zeit hat, bis zu 13.000 Trainingstage bis Ende 2019. Das ist schon ein Riesen-Paket, das wir da vor der Brust haben."
Viele Mitarbeiter begegneten dem neuen Antriebsmodell noch mit Skepsis:
"Wir haben ja in Sachsen eine sehr, sehr lange Tradition von Automobilbau, seit über 100 Jahren. Und die haben immer mit Verbrennern zu tun gehabt, und diese Tradition steckt natürlich auch ganz tief in unserer Mannschaft drin. Insofern gibt es am Anfang auch logische Berührungsängste, ich denke, das ist ganz natürlich."
"Eisbrecher für den VW-Konzern"
E-Autos gelten zwar insgesamt als leichter zu bauen, da sie weniger Teile benötigen, doch zugleich stellen die Hochvolt-Antriebs- sowie die Batterie-Technik und die steigende Automatisierung im digitalisierten Produktionsprozess ganz neue Anforderungen an Mitarbeiter wie Heiko Seedorf:
"Also erst ist das sehr, sehr aufregend, es geht sehr schnell hier, und wenn man das so tagtäglich sieht, wie sich das Werk verändert, ist es schon enorm überwältigend, und man freut sich auch, ein Teil davon sein zu können."
Eine Grundstimmung, die auch Jens Rothe, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von VW Sachsen teilt:
"Ja, das ist eine Riesenchance, wir haben die ehrenvolle Aufgabe, Eisbrecher für den VW-Konzern zu spielen in der Frage der Massenmobilisierung mit E-Mobilität, eine große Herausforderung, aber mit der langen automobilen Tradition hier am Standort Zwickau sind wir bestens darauf eingestellt."