Dschihadisten aus Dinslaken
Den mordenden Dschihadisten des "Islamischen Staates" sollen auch viele Muslime angehören, die in Europa aufgewachsen sind. Nach Angaben des Verfassungsschutzes besuchten verhältnismäßig viele davon ein ganz normales Berufskolleg in Dinslaken. Was hat die jungen Männer radikalisiert?
"Mein Name ist Abu Osama und ich komme aus Deutschland. Und ich bin vor circa vier Jahren Muslim geworden."
Damals hieß Abu Osama noch Philipp B. Er arbeitete als Pizzabote und besuchte das Berufskolleg in Dinslaken, um hier mit Anfang 20 seinen Hauptschulabschluss nachzuholen. Dann wandte er sich einer Gruppe junger Islamisten zu und reiste nach Syrien, weil er für den Dschihad, den Heiligen Krieg, kämpfen wollte.
"Ich habe mich der Karawane des Dschihad angeschlossen, um das Wort Allah das Höchste zu machen. Wir werden nicht aufhören, bis wir das erreicht haben."
Per Video meldet sich Philipp B. aus dem Nahen Osten zu Wort. Er trägt einen Turban um den Kopf, hält eine Kalaschnikow in der Hand und hebt immer dann den rechten Zeigefinger, wenn er von Allah redet. Rechts oben im Bild weht die Fahne der Islamisten-Miliz IS. Ein klares Bekenntnis – und gleichzeitig ein Aufruf an Gleichgesinnte in aller Welt.
"Wenn ihr Muslime seid, dann schließt euch der Karawane an. Beteilige dich am Dschihad."
Auf dem Pausenhof des Dinslakener Berufskollegs. Hier klingen andere, friedliche Töne an. Schüler und Lehrer feiern gemeinsam ein Fest mit Musik, Kaffee und Kuchen.
Eine Muslima mit Kopftuch singt das Lied. "Das Leben ist lala". Kein Wort vom Sterben für Allah. Aber natürlich haben manche gehört von Philipp B. und den anderen, die von Dinslaken aus in den Krieg gezogen sind. Gregor, der seinen richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, hat einen von ihnen sogar persönlich gekannt. Einen gewissen Max.
"Ich bin Christ, und er ist Moslem. Wir haben uns damals sehr gut verstanden gehabt. Irgendwann meinte der so: 'Das Leben ist total unlogisch. Man muss doch irgendwas machen, wo man in die Geschichte mit eingehen kann.' Da habe ich gesagt: 'Was willst du denn machen?' – 'Ja, ich ziehe in den Krieg', das hat der aus Spaß immer gesagt. Er war ein Deutscher sogar. Er war Christ und ist dann zum Islam konvertiert. Dann habe ich gesagt: 'Du machst den Islam kaputt. Das ist nicht richtig, was du machst. Wenn du irgendwelche Menschen abschlachtest. Das geht doch nicht.'"
Gregor mutmaßt noch immer über den Sinneswandel seines Freundes. Vielleicht habe Max in radikalen Kreisen etwas gefunden, was er zuvor vermisste, vermutet Gregor.
"Das vorherige Leben. Ich meine, das hat ihm gar nicht gefallen. Er hat wahrscheinlich keine Anerkennung von Personen gekriegt. Und er hat dann irgendwann gemerkt, sobald man in dieser Truppe ist: Man nennt ihn automatisch Bruder – Bruder im Glauben. Das hat der draußen gar nicht gehört gehabt. Und dann irgendwann war der in einer Gruppierung. Ihm wurde gezeigt: Ja, ich werde hier aufgenommen. Und dann fängt man mit der Gehirnwäscherei an."
Gregor wollte Max noch abhalten.
Warum Max in den Dschihad ist, macht ihn ratlos
"Ich habe ihm gesagt: 'Hey pass auf, du musst nicht deine Religion wechseln, nur damit du dann irgendwie Anerkennung kriegst. Von mir kriegst du auch die Anerkennung', habe ich gesagt. 'Warum machst du so was?' – 'Ja, aber ich fühle mich dann irgendwie besonders und ich weiß, dass ich zu so etwas tauge.' Ich so: 'Ja wie, mein Freund, ich akzeptiere dich doch. Du musst doch nur mit Leuten wie mir zu tun haben. Ich akzeptiere dich. Ich mag dich. Ich lieb dich. Ja, was willst du denn?'"
Der junge Mann rückt sein Cappy zurecht und greift nach der Silberkette, die er um den Hals trägt. Er ist wahrlich nicht auf den Mund gefallen, hat für beinahe alles eine Erklärung. Warum Max und andere aus Dinslaken in den Dschihad gezogen sind, macht ihn allerdings ratlos. Wie ihm geht es vielen. In der ganzen Republik fragen sich Politiker, Soziologen, Lehrer und Eltern: Warum nur gehen junge Menschen nach Syrien oder in den Irak, um dort zu kämpfen?
"Diese Jugendlichen sind nicht auf der Suche nach Religion, sondern sie suchen Anerkennung, Geborgenheit, Sinn im Leben. Und das bietet ihnen dann diese religiöse Erklärung, vor allem am besten in dieser dogmatischen Interpretation. Aber sie suchen zuerst mal Ersatzfamilie, Orientierung, Vorbild und so weiter."
Sagt Islamismus-Expertin Claudia Dantschke. Sie arbeitet am Zentrum Demokratische Kultur in Berlin und hat in den vergangenen Jahren viele Betroffene und Angehörige beraten, die mit extremen Formen des Islamismus in Berührung gekommen sind.
"Es gibt eine Altersspanne, die klassisch ist. Inzwischen rutscht sie nach unten. Das heißt, sie ist bei 16 bis 28. Aber die Kerngruppe ist 17, 18 bis 22. Das ist genau der Übergang vom Jugendlichen- ins Erwachsenenalter, da ist am meisten die Offenheit für diese Angebote."
Angebote, wie sie von Salafisten gemacht werden. Viel ist in den vergangenen Monaten über Anhänger jener ultrakonservativen Richtung des Islam geredet worden, die eine moderne Theologie ablehnen. Laut Verfassungsschutz ist der Salafismus die am rasantesten wachsende extremistische Bewegung in ganz Deutschland.
"Salafisten bieten in verschiedenen Strömungen – auch die politischen, religiösen oder radikalen – eine ganze Menge. Diese Gruppen sagen immer wieder: Wir sind die, die auf der richtigen Seite stehen. Wir machen dir das Leben einfach, wir machen dir die Welt einfach, alles wird plötzlich einfach und übersichtlich, und mit unserer Hilfe schaffst du einen Weg durchs Leben."
Trotz dieses für einige verlockenden Angebots: Präventiv könne einiges getan werden, meint Claudia Dantschke.
"Da kann die klassische Jugendsozialarbeit massiv gegenwirken, weil sie nämlich genau an diese Stellen andockt. Keine paternalistische Jugendarbeit, wie es oft die traditionellen Moscheegemeinden noch machen. Sondern: Ich muss rausfinden, was möchte denn der Jugendliche? Was sind seine Interessen? Nicht, was sind meine Interessen. Was möchte ich, was der Jugendliche will. Sondern, was will er oder sie. Und sie dann insofern einbeziehen. Das heißt: Möglichkeiten finden, dass dieser Jugendliche sich selbst verwirklichen kann."
Genau hier setzt auch die Arbeit am Berufskolleg in Dinslaken an. 3000 Jugendliche und junge Erwachsene lernen hier fürs Leben: angehende Heilpädagogen, Bäcker, Friseure ebenso wie Abiturienten, Real- und Hauptschüler. Zum Leitbild gehöre, jeden einzelnen im Blick zu haben, auch wenn es mal nicht so gut läuft, sagt Uwe Neumann, der das Berufskolleg leitet.
"Ich glaube, dass wir konkret hingucken müssen, wenn sich Schüler verändern. Welche Probleme haben sie? womit setzen sie sich auseinander? Und das aktiv in den Unterricht in die Beziehung mit aufnehmen müssen, und diese Auseinandersetzung mit den Jugendlichen suchen müssen. Ob das dann ein politisches Thema ist. Ob das letzten Endes ihre erste große Liebe ist. Oder der Krach mit den Eltern, mit den Nachbarn oder auch mit Kollegen hier an der Schule."
Bei Problemen helfen Sozialarbeiter weiter. In Klassen mit Jugendlichen, die einen höheren Förderbedarf haben, ist zudem ein Team von zwei Lehrern im Einsatz. Einer von ihnen ist der evangelische Religionslehrer und Pfarrer, Wilfried Faber-Dietze.
"Eine der vornehmlichsten Aufgaben ist es, diese Schüler ganz individuell und persönlich anzusprechen und ihnen das Gefühl zu geben, dass es uns nicht gleichgültig ist, was aus ihnen wird. Dazu gehört nicht nur dazu, ob sie gut rechnen, lesen und schreiben können. Sondern da gehört auch mit dazu, welche Lebensperspektive sie haben, welche Lebensplanung sie haben, was für ein Bild sie sich von der Welt machen."
Islamkundeunterricht wird noch nicht angeboten
Wilfried Faber-Dietze hat auch Philipp B. – den Syrienkämpfer – unterrichtet. Vier oder fünf Jahre ist das her. War denn nichts auffällig an ihm?
"Ich erinnere mich an den Philipp. Er war im Berufsorientierungsjahr und ist politisch, religiös nie in irgendeiner Form aufgefallen. Er war eher, wie es bei vielen Jugendlichen ist – ich glaube, er war damals 16,17 Jahre alt – ein hibbeliger Typ. Ich sag mal ein bisschen naiv: Er war ein netter junger Mann."
Auch aktuell sei von radikalislamischen Tendenzen auf den ersten Blick nichts zu bemerken, heißt es seitens der Schulleitung. Andererseits gebe es natürlich Jugendliche, die sich intensiv mit dem Thema Religion auseinander setzen. Auch extreme Positionen würden geäußert, aber eher leise und verhalten, sagt Pfarrer Wilfried Faber-Dietze.
"Ich stehe jetzt aktuell mit einem Schüler im Gespräch, von dem ich das Gefühl habe, dass er sich eventuell von – ich sage jetzt mal – so einem Gedankengut angezogen fühlt. Einer, der zum Islam konvertiert hat. Wir stehen in einem relativ engen Kontakt. Ich habe ihn gerade gestern noch einmal angesprochen. Aber das sind Gespräche, die werden unter vier Augen geführt."
Ins Detail möchte Pfarrer Faber-Dietze nicht gehen. Nur soviel: Vor kurzem habe ihn der junge Mann gefragt, ob er, der Pfarrer, nicht auch glaube, dass der Islam dem Christentum überlegen sei.
"Das sind für mich dann so Indizien – nicht, dass hier ein Terrorist heranwächst – sondern, dass Jugendliche sich mit Religion auseinandersetzt und sich mit der religiösen Frage auseinandersetzt. Und Grund genug, das aufzugreifen, entweder im Unterricht, weil es auch immer wichtig ist für die anderen Jugendlichen. Oder aber spätestens, nachdem der Unterricht vorbei ist und wir gemeinsam in die Pause gehen oder nach Hause gehen. Dann spreche ich die Schüler an."
Der Religionsunterricht ist für Pfarrer Faber-Dietze eine Möglichkeit, diesen Dialog zu führen und zudem Wissen über Werte und Religionen zu vermitteln. Teilnehmen am Unterricht dürfen auch Muslime. Viele nutzen das Angebot. Womöglich, weil ihnen der Unterricht gefällt. Aber auch, weil es an Alternativen mangelt. Denn Islamkundeunterricht wird am Berufskolleg – wie an den meisten weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen – bislang noch nicht angeboten. Immerhin: Die Einführung erfolgt schrittweise seit gut einem Jahr in dem Bundesland. Sehr zur Freude von Uwe Neumann.
Neumann: "Solange sich das eingliedert in unser Schulverständnis, unser Selbstverständnis, das heißt, dass wir einen dialogischen Unterricht haben, ist das sicherlich auf der einen Seite eine Bereicherung für die Schüler, auch ein Annehmen der Schüler, aber es ist sicherlich auch eine Bereicherung für das Kollegium."
Faber-Dietze: "Vielleicht wäre das auch eine Möglichkeit gegen diese extremen Vorstellungen, die es in der Religion gibt, anzugehen. Wenn das willkürlich ist, kann das für Jugendliche eine sehr gefährliche Sache werden."
Zurück auf dem Pausenhof. Das Schulfest ist längst vorbei. Aber Gregor sitzt noch immer auf der Bank und unterhält sich mit Freunden. Von Max, sagt er, habe er lange nichts mehr gehört.
Philipp B. meldet sich dagegen weiter eifrig zu Wort. Den möglichen Tod nimmt er billigend in Kauf. "Wir wollen für Allah sterben", schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Denn das Jenseits sei "für die Gläubigen die wahre Wohnstätte".