Das freie Radio als sozialer Ort
Die Macher stammen aus der Anti-Akw-Bewegung und sendeten anfangs illegal aus einem Rucksack, immer auf der Flucht vor der Polizei. Heute sendet Radio Dreyeckland, das älteste freie Radio Deutschlands, regulär aus Freiburg. Es versteht sich als Austauschort sozialer Gruppen und Themen und kämpft wie jedes Radio gegen die Internet-Konkurrenz.
Razzien, Wohnungsdurchsuchungen, massiver Polizeieinsatz gegen einen Radiomacher? Bis Ende der 1980er-Jahre kam das in der Bundesrepublik häufiger vor. Radio machen war lange illegal, erst nach und nach wurden alternative Radiosender zugelassen. Radio Dreyeckland aus Freiburg ist das älteste noch bestehende. Am 4. Juni 1977 wurde die erste Sendung des Piratensenders ausgestrahlt.
"Hier Radio Verte Fessenheim zwischen 100 und 104 Megahertz 101,4 Megahertz."
"Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt das Recht auf freie Meinung, freien Empfang und das Recht und die Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe von Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen mit ein. Dies steht so in Artikel 10, Absatz 1 der Europäischen Konvention der Menschenrechte. Wir von Radio Verte Fessenheim nehmen dieses Recht wahr, indem wir senden …"
"Piratensender, wenn man sich das vorstellt: Man hat ja kein festes Studio, keinen Sendeturm, keine feste Adresse, man hat nur eine feste UKW-Frequenz... und man hat eine feste Sendezeit, das war über mehrere Jahre immer Freitagabend um dreiviertel Acht."
Als Radiomachen noch illegal war
Michael Karthäuser war früh dabei, als Radiomachen noch illegal war. Radio Dreyeckland entstand aus der Anti-AKW-Bewegung in Südbaden. Wyhl, Fessenheim und Kaiseraugust hießen die Orte, an denen Atomkraftwerke gebaut werden sollten, gegen den Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung auf deutscher, französischer und Schweizer Seite. Nur im französischen Fessenheim wurde schließlich, trotz grenzüberschreitender Proteste, gebaut.
Am 4. Juni 1977 sendeten Anti-Atomkraftaktivisten zum ersten Mal eine zwölfminütige Sendung von einem besetzen Strommast aus Fessenheim. Radio Vert Fessenheim, wie Radio Dreyeckland zunächst hieß, war geboren, mehrsprachig auf Französisch, Elsässisch und Deutsch.
"Die 12. Sendung direkt aus dem Kaiserstuhl. Und gleich ein wichtiger Anlass: Beim Austausch der Brennelemente im Kernreaktor Fessenheim ereigneten sich mehrere Unfälle."
Produziert wurden die Sendungen aus einem "Kofferstudio" erzählt Michael Karthäuser. Plattenspieler, Mikrofone, Kassettenrekorder, die in befreundeten WG-Küchen aufgebaut wurden.
Provisorische Studios, eine klandestine, geheime Struktur waren nötig. Am Ende stand jeweils eine "Sendekassette", mit Sendungen nicht länger als 15 Minuten:
"… weil das war ja nicht ungefährlich. Denn es waren ja die Peiler unterwegs und man wusste nicht, wie schnell die sind."
Senden mit Rucksacksender
Denn gesendet wurde mit Hilfe eines kleinen Rucksacksenders, improvisiert, mit Hilfe einer Motorradbatterie:
"Und jetzt wieder des berühmte Spielchen mit dem Suchen zwischen 100 und 104 Megahertz, bis ihr's gefunden habt, noch ein bissle Musik ..."
"Das Sendeteam ist in der Regel auf einen höher gelegenen Berg im Schwarzwald oder im Kaiserstuhl gewandert. Und wenn man dann oben war und hatte den freien Blick über das Rheintal und Freiburg, dann konnte man sicher sein, das ist ein guter Sendestandort. Und wir hatten über ein Dutzend solcher Sendestandorte, die abwechselnd benutzt wurden."
Öffentliche Meinung übers Radio war ein Katz- und Mausspiel mit Post, Polizei und Behörden.
"Und es hatte ja auch was Abenteuerliches. Das Sendeteam hatte oft ein Fernglas dabei. Und wenn man dann auf der Passhöhe einen VW-Bus gesehen hat, mit einer sperrigen Antenne drauf, dann konnte man sicher sein, das ist der Peilwagen von der Post. Und dann war es an der Zeit, die Sendung zu beenden und den Rucksacksender und sich selbst in Sicherheit zu bringen."
In Frankreich wurden freie Radios legalisiert
1981 verbesserten sich die Bedingungen auf der linken Rheinseite. In Frankreich wurde Françoise Mitterand Präsident und freie Radios durften dort feste Studios einrichten. Und so sendeten die Freiburger Radiomacher von französischer Seite nach Deutschland.
In Deutschland war freies Radio weiterhin illegal. Radio Dreyeckland, wie der Sender jetzt hieß, wurde von einem reinen Anti-AKW-Radio zu einem Sender der linksalternativen Szene in Freiburg:
"Und dann bringen wir noch 'nen Beitrag über Schorsch und Winne, wie es ihnen so geht, im Knast in Karlsruhe. Wat ne Scheiße …"
Doch das Exil in Frankreich war keine Dauerlösung: 1985 kündigen die Radiomacher an, aus Deutschland zu senden. Auch wenn das illegal war.
"Das ist ein Tankdeckel."
Michel Menzel war damals schon dabei. Seit langen Jahren ist er Geschäftsführer von Radio Dreyeckland. Neben seinem Schreibtisch im mit Ordnern, Zeitungen, Papieren, Computern vollgestopften Büro wird auch noch diese Reliquie aufbewahrt, aus der Zeit, als die Polizei immer wieder auf der Suche nach der Sendeanlage Razzien durchführte:
"... ein Versteck für unsere Sendeanlage musste gefunden werden, das ist der Deckel, der nicht entdeckt worden ist von zahlreichen stattgehabten Durchsuchungen der Polizeidirektion Freiburg."
"Hier ist das zweite Studio von Radio Dreyeckland. Wir senden weiter auf 101,7 Megahertz, die Frequenz haben wir noch, obwohl wir nicht wissen, was sich abspielt in der Grether-Fabrik im Hauptstudio. Ich höre jetzt gerade das Telefon…
Ich muss darüber berichten, dass ein großer Polizeieinsatz hier stattfindet bei Studio 1 auf dem Grethergelände. Mit einer unglaublichen Brutalität versuchen die Bullen, Leute von uns festzunehmen. Wir versuchen weiter, den Sender zu schützen und ihn zu retten. Wir müssen dafür kämpfen, dass diese Stimme nicht untergeht. Das sind nicht unsere letzten Worte. Das müssen Sie sich merken. So Ulf, jetzt kannsch weitermachen ..."
Ende der Illegalität
Nach mehreren Versuchen gelang es Radio Dreyeckland schließlich Ende der 1980er-Jahre, eine offizielle Sendelizenz zu bekommen. Die Illegalität war vorbei. Das Programm konnte ausgebaut werden.
"Im Statut von Radio Dreyeckland steht: Es ist ein linkes und alternatives Medium und das würde ich nach wie vor auch noch so sehen. Auch wenn der Begriff alternativ natürlich auch etwas verschwommen ist. Und auch der Begriff 'links' sehr stark zu hinterfragen ist. Wir stehen ganz stark auf Seiten der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Gruppen und der Subkultur und auch der autonomen Linken ... Das sind immer noch die Gruppen und die Themen, die uns umtreiben. Und das scheidet uns strukturell auch nochmal von anderen Medien. Ich würde jetzt aber nicht so einen dichotomischen Block aufbauen und sagen, hier sind wir und da die anderen."
Andreas Reimann ist seit den frühen 1990ern dabei. Er ist einer von sieben Mitarbeitern, die ein regelmäßiges Honorar bekommen und dafür 24 Stunden am Tag den Sendebetrieb am Laufen halten müssen. Finanziert wird das Radio über die Mitgliedsbeiträge eines Vereins, Projektmitteln aus kulturellen und zivilgesellschaftlichen Fördertöpfen. Den Löwenanteil des kleinen Budgets machen aber die 120.000 Euro aus Gebührengeldern aus, die den freien Radios zustehen.
Freies Radio – das heißt heute oft: Wenig professionelle Sendungen, manchmal dadurch langweilig und langatmig, aber auch irgendwie ungehobelt, untergründiger, launiger:
"Also, das Interessante am Musikprogramm von Radio Dreyeckland ist, dass wir versuchen, die Genres auseinanderzuhalten, so dass wir ganz viele Sendungen – in Zahlen sind es etwa 50 regelmäßige Musiksendungen – dass wir da alle Genres, alle Spielarten darstellen möchten."
Auf die vielen Genresendungen, die es so in der Radiolandschaft nicht mehr oft gibt, ist Musikredakteurin Eva Gutensohn sichtlich stolz. Radio Dreyeckland will für die lokale Szene, für Bands und DJs eine Anlaufstelle sein.
Schwerpunkt kommunale Berichterstattung
Und anders als bei anderen freien Radios und Bürgerradios versucht Radio Dreyeckland auch aktuell zu berichten. In einer tägliche Frühsendung, der Mittagssendung und in Wiederholungen am Abend:
"Wir haben gesagt, wir wollen das wieder aufbauen, weil es aus unserer Sicht ganz zentral ist, kommunale Berichterstattung zu machen, aktuell zu sein bei dem, was in unserer Stadt passiert, politisch, kulturell irgendwie Teil zu haben. Und wir haben gesagt, dass das wahrscheinlich nur geht, wenn wir den Leuten, die aktuell arbeiten, auch 'ne Aufwandsentschädigung bieten. Und daher haben wir uns dann auch entschieden, Geld dafür zur Seite zu legen und das auch zu finanzieren."
Wer die aktuellen Sendungen plant und moderiert, bekommt eine kleine Aufwandsentschädigung.
Wie relevant Radio Dreyeckland ist, das ist seit den Anfangstagen umstritten. Wirklich groß war die Hörerschaft nie, zwischen 4000 und 5000 Hörern pro Tag sagen die aktuellen Zahlen, die Frequenz ist schwer zu empfangen, in manchen Teilen Freiburgs fast gar nicht. Die Mitgliedszahlen im Unterstützungsverein sind deutlich geschrumpft in den letzten Jahren.
Stark verankert in der Freiburger Szene
Und welche Rolle spielt lineares Radio überhaupt in Zeiten des Internets? Wie reagiert ein freies Radio auf den Medienwandel? Das eigene Programm auch ins Netz zu bringen, hat Radio Dreyeckland schon früh versucht, man findet dort aktuelle Berichte, Diskussionen und Sendungen. Trotzdem soll das lineare Radio der Kern bleiben, sagt Andreas Reimann:
"Ja, viel besser als z.B. die vielen Podcaster oder Blogger, die letztlich ziemlich einsam vor sich hin bloggen, ist das freie Radio nach wie vor auch ein sozialer Ort. Wenn man jetzt hier durch die Räume laufen würde, würde man viele Stimmen hören, es ist den Tag über viel los. Man trifft sich, man diskutiert viel. Es kommen Gruppen hier ins Radio rein.
Also dieser soziale Austausch, der ist vorhanden, der bietet Chancen. Dadurch ist Radio Dreyeckland auch sehr stark in der Freiburger Stadt verankert und mit vielen gesellschaftlichen Kräften verbunden und ich glaube nicht, dass ein reines Internetmedium so 'ne starke Verankerung haben kann.
Das stimmt: In den kleinen, verwinkelten Büros mit dem schmuddeligen Charme einer Studentenvertretung sitzen an einem Montagmittag an allen Ecken ehrenamtliche Radiomacher, recherchieren, schneiden Interviews, diskutieren über Sendungen. Im Studio läuft die Mittagssendung.
Treffpunkt zivilgesellschaftlicher Gruppen
Ein Treffpunkt. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen haben ihre eigenen Sendungen. Und vor allem: Radio Dreyeckland sendet mehrsprachig. Seit Mitte der 1980er-Jahre senden migrantische Communities in ihren Muttersprachen - auf Türkisch, kurdisch, brasilianisch, persisch, japanisch, auf insgesamt fast 20 Sprachen – als migrantische Sprachen oder gar gebrochenes Deutsch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch völlig ausgeschlossen waren.
Zum Beispiel die russische Sendung Radio Ech: Sie sendet sowohl auf Russisch als auch auf Deutsch und möchte als unabhängiges Medium über die Problem in Russland berichten.
"Das heißt bei uns 'Radio in anderen Sprachen'. Das impliziert immer, es gibt das Deutsche und andere Sprachen. Das ist etwas, was wir seit Jahren versuchen aufzuweichen und mehr in Richtung Mehrsprachigkeit als Grundverständnis zu gehen, überhaupt von freiem Radio als mehrsprachiges Radio. Da gibt es sehr spannende Konzepte, das man wegkommt von der einen Hauptsprache und hinkommt zu so einer Vielsprachigkeit."
Wie das klingt, zeigt sich z.B. in dieser Sendung zweier Radiomacherinnen im April. Bei laufendem Sendebetrieb wechseln sie die Sprachen – Deutsch, Französisch, Englisch. Und thematisieren die Vielsprachigkeit:
"Wie lange lernst du überhaupt Deutsch?"
"Wie lange lerne ich, sagen wir jetzt sechs Monate auf der Schule."
"Und jetzt machst du Sendungen, nicht schlecht."
"Derjenige von euch, der... Was ist deine Muttersprache?"
"Meine Muttersprache ist Ewe."
"Ok, derjenige von euch, der jetzt nach sechs Monaten, der nachdem, er Ewe sechs Monate gelernt hat, eine Radiosendung machen kann, kriegt von Radio Dreyeckland tausend Euro Preis. Könnt ihr jetzt hier gleich anrufen."
"Wie lange lerne ich, sagen wir jetzt sechs Monate auf der Schule."
"Und jetzt machst du Sendungen, nicht schlecht."
"Derjenige von euch, der... Was ist deine Muttersprache?"
"Meine Muttersprache ist Ewe."
"Ok, derjenige von euch, der jetzt nach sechs Monaten, der nachdem, er Ewe sechs Monate gelernt hat, eine Radiosendung machen kann, kriegt von Radio Dreyeckland tausend Euro Preis. Könnt ihr jetzt hier gleich anrufen."