Neutralität und Qualität als Richtschnur
Vor 70 Jahren nahm der RIAS den Sendebetrieb auf – mit dem Anspruch, eine Stimme der freien Welt zu sein. Auch heute noch spielt das Radio in Regionen, in denen der Zugang zu Informationen nicht selbstverständlich ist, eine große Rolle. Allein: Die Radiomacher sind heutzutage ein wenig kultursensibler, wie das Projekt MiCT beweist.
MiCT ist die Abkürzung für "Media in Cooperation and Transition" und wurde 2003/2004 im Irak gegründet. Das Projekt baut Radiostationen in Krisen- und Kriegsregionen auf, schult Journalisten, um die Qualität der Berichterstattung zu verbessern, und knüpft Netzwerke.
Radio sei nach wie vor eines der wichtigsten Medien, sagte Roman Deckert von MiCT im Deutschlandradio Kultur – besonders dort, wo es wie im Sudan viele Analphabeten gebe, die keinen Zugang zu geschriebenen Texten hätten.
MiCT ist bei seiner Arbeit "peinlichst" darum bemüht, Neutralität zu wahren, berichtete Deckert – man wolle auf keinen Fall "kulturimperialistisch" auftreten und den Journalisten vor Ort irgendetwas aufoktroyieren.
Ein Konzept, das allerdings auch an seine Grenzen stoßen kann, wie Deckert einräumt. So gebe es auch in Syrien derzeit neun oder zehn Stationen, die mit Hilfe von MiCT aufgebaut wurden: "Ganz unabhängig oder neutral kann man dort nicht sein", sagte er.
In Syrien hat MiCT ein "Monitoringsystem" installiert: "Da beobachten wir kontinuierlich, was dort gesendet wird." Es wäre der Albtraum, wenn die Stationen benutzt würden, um konfliktanheizende Botschaften zu verschicken.
(Online-Text: ahe)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es ist 70 Jahre her, als am 5. September 1946 der RIAS, der Rundfunk im amerikanischen Sektor, seinen Sendebeginn aufnahm, unter dem Slogan: "Eine freie Stimme der freien Welt." An diesem Jubiläumstag eines unserer Vorgängersender, in dessen Gebäude wir hier am Hans-Rosenthal-Platz in Berlin auch arbeiten, wollen wir wissen, wie frei Radioprojekte heute in Zeiten von Kriegen und Diktaturen sein können!
Roman Deckert gehört zu den Mitbegründern von MiCT, die Abkürzung steht für Media in Cooperation and Transition, einem Projekt, unterstützt aus mehreren Ländern, aus Kanada, aus Belgien, auch von Auswärtigen Amt hier und aus der Schweiz, von politischen Stiftungen, das versucht, in Krisen- und Kriegsregionen Radiostationen aufzubauen, Journalisten trainiert und Netzwerke knüpft. Und mit ihm habe ich vor unserer Sendung gesprochen. Herr Deckert, wie kam es dazu, wie kamen Sie zur Gründung dieses Projekts, Radio zu machen, wo es verdammt gefährlich ist?
Roman Deckert: Nun, MiCT hat sich 2003/2004 gegründet im Irak und dort auch direkt als erstes Projekt angefangen, Radiostationen zu unterstützen. Damals, nach dem Fall des Saddam-Hussein-Regimes gab es also eine große Leerstelle und sehr viele Radiosender, die allerdings vor allen Dingen die journalistischen Fertigkeiten vermissen ließen.
Radio ist DAS Medium, wenn es viele Analphabeten gibt
Und dort haben wir dann also verschiedene Länder zusammengebracht über das politische Spektrum hinweg und kurz darauf bin ich dazu gestoßen, um als zweites Land den Sudan einzuführen, eben auch ein sehr krisenreiches Land. Und dort haben wir gemerkt, dass Radio doch eines der wichtigsten Medienformate ist, das die größte Reichweite hat, also in einem Land, wo viele Analphabeten einfach keinen Zugang zu geschriebenen Texten haben.
von Billerbeck: Das klingt so einfach, wir gingen in den Irak 2003/2004 und dann in den Sudan. Wie macht man denn das?
Deckert: Nun, wir haben doch alle bei MiCT persönliche Beziehungen zu diesen Gebieten. Und wenn dann mal ein neues Land dazukommt wie zum Beispiel vor zwei, drei Jahren Mali, dann schauen wir natürlich über unsere Netzwerke, wer hat Ahnung von diesem Land, sodass wir dort also auch nicht neokulturimperialistisch auftreten, sondern schon immer sehr beflissen darauf bedacht sind, dass wir möglichst die Bedürfnisse vor Ort der Kolleginnen und Kollegen eruieren und dort also nicht irgendetwas aufoktroyieren.
von Billerbeck: Der RIAS, an dessen 70. Sendegeburtstag wir ja heute miteinander sprechen, der galt ja vor allem in der DDR als Frontsender des Westens. Inwieweit erleben Sie denn, dass von Ihnen betreute Journalistinnen vielleicht sogar aus guten Motiven dann doch einseitig berichten?
Deutschland hat in den Krisenländern einen guten Ruf
Deckert: Ja, also, zunächst einmal sind wir durchaus sehr vorsichtig, um wie gesagt nicht kulturneoimperialistisch aufzutreten. Deutschland hat einen sehr guten Ruf in den meisten dieser Länder, das kommt uns zupass. Wir haben in Syrien insbesondere ein sehr starkes Monitoring-System, weil dort neun oder zehn verschiedene Radiostationen in unserem Netzwerk senden, und da beobachten wir kontinuierlich, was dort gesendet wird, weil das natürlich der Alptraum ist, dass diese Plattform genutzt würde, um konfliktanheizende Botschaften zu verschicken.
Natürlich, ganz unabhängig oder neutral kann man dort nicht sein, gerade Syrien ist da der Extremfall, aber in den anderen Ländern sind wir doch peinlichst darum bemüht, Neutralität zu wahren und wirklich einfach nur die journalistische Qualität zu verbessern, um dann über diese Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine bessere Berichterstattung zu gewährleisten, ein größeres Verständnis innerhalb dieser kriegsgebeutelten Gesellschaften zu fördern.
von Billerbeck: Wie sehr spiegeln sich denn nun die äußeren Bedingungen in diesem Land im Verhalten der Radiomacher wider?
Deckert: Natürlich, in vielen dieser Länder gibt es nicht nur eine Zensur, sondern auch eine Selbstzensur. Und wir müssen da auch sehr stark aufpassen, dass wir diese Leute keinen Gefahren aussetzen. Da müssen wir sehr genau drauf achten, auch in Abstimmung natürlich mit unseren Gebern. Hier ist an erster Stelle eben das Auswärtige Amt zu nennen, wo es eine gute Abstimmung gibt, ohne dass jetzt also das Auswärtige Amt uns in die inhaltliche Arbeit hineinpfuscht, wenn ich das mal so sagen darf.
von Billerbeck: Hier wird ja viel diskutiert über die Rolle des Radios der Zukunft, über Digitalradio, über Internetradios. Und gerade das Internet spielt ja eine sehr wichtige Rolle. Man sagt auch immer und könnte auch meinen, in den Ländern, in denen Sie aktiv sind mit MiCT, sei das Internet entscheidend. Welche Kraft hat denn das Radio da unter diesen Bedingungen und als Medium überhaupt?
Eigene Sender für Syrien entwickelt
Deckert: Auch das ist wieder von Land zu Land sehr verschieden, aber generell kann man, denke ich, doch sagen, dass Radio eins der wichtigsten Medien ist. Es ist unterschiedlich, in Syrien zum Beispiel haben wir Umfragen gemacht über Mediennutzung, das ist auch ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, dass wir überhaupt erst mal schauen, wie ist denn die Medienlandschaft, um dann entsprechende Maßnahmen zu treffen, wenn sie denn gewünscht sind. Und in Syrien hat nur rund die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu Radioempfang und der wiederum ist maßgeblich vom Assad-Regime dominiert, sodass wir dann auf die Idee kamen, gut, wir müssen die Reichweite ausbauen.
Wir haben dann einen eigenen Mikro-FM-Sender entwickelt und in Oppositionsgebiete gebracht, sodass dort also auch die normale Bevölkerung, die keinen Internetzugang hat, diesen Radioempfang gewährleistet bekommen hat, über Satellit, da wird dann das Signal eingespeist über diese kleinen Mikrotransmitter in einem Umkreis von 10, 15 Kilometern, sodass diese Leute eben auch Zugang haben zu einem unabhängigeren Journalismus, der ihnen ein breiteres Bild des öffentlichen Diskurses bietet, aber auch ganz normale praktische Lebenshilfe unter diesen schwierigen Umständen.
von Billerbeck: Roman Deckert von MiCT, Media in Cooperation and Transition, über Radiomachen in Krisen und Kriegen. Ich danke Ihnen!
Deckert: Herzlichen Dank!