Radka Denemarková: „Stunden aus Blei“

Tödliche Konfrontation von Moral und Macht

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Cover des Romans "Stunden aus Blei" von Radka Denemarková. Vor rotem Hintergrund stehen Titel und Name der Autorin in schwarzen Großbuchstaben um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Auf dem Cover ist außerdem ein illustrierter Vogel zu sehen, ebenfalls in Schwarz.
© Hoffmann und Campe

Radka Denemarková

Aus dem Tschechischen von Eva Profousová

Stunden aus BleiHoffmann und Campe, Hamburg 2022

880 Seiten

32,00 Euro

Von Jörg Plath |
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Mit ihrem Roman „Stunden aus Blei“ liefert Radka Denemarková eine wütende Anklage der chinesischen Diktatur: Darin lernt eine tschechische Autorin eine Frau kennen, die sich, von ihr beeinflusst, gegen das Regime auflehnt und grausam bestraft wird.
China hat der tschechischen Schriftstellerin Radka Denemarková ein lebenslanges Einreiseverbot erteilt. Ihr politischer Roman „Stunden aus Blei“ dürfte daran nichts ändern. Denemarková wirft der Volksrepublik rücksichtslose Bereicherung und gravierende Menschenrechtsverletzungen vor. Ihre Hauptfigur, die tschechische Schriftstellerin Birgit Stadtherrová, lernt in Peking chinesische Dissidenten kennen, „Unumerziehbare“, die überwacht, isoliert und deportiert werden.
Empört fordert Stadtherrová Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Eine junge, mit ihrer Überwachung beauftragte Chinesin konfrontiert sie mit Zitaten von Václav Havel. Die Frau wehrt sich mit Konfuzius, wird dann nachdenklich, begehrt auf, wird verhaftet, gefoltert, bei lebendigem Leib ihrer Nieren beraubt und hingerichtet. Stadtherrová erlebt bleierne Stunden der Schuld.

Panorama von Haltungen zur Diktatur

Die tödliche Konfrontation von Moral und Macht bettet Denemarková ein in ein Panorama von Haltungen zur Diktatur: Tschechen jagen im kommunistischen Reich der unbegrenzten Wirtschaftsmöglichkeiten dem Geld hinterher, eine junge US-Amerikanerin genießt naiv-hedonistisch Körper und Mode, der Diplomat ist feige. Nur der chinesische Freund der Schriftstellerin widersteht der Repression sanft, aber unbeugsam.
Keine Figur trägt einen Eigennamen. Als Freund, Anwalt, Diplomat, Botschafter, junge Chinesin, Mutter, Programmierer sind sie Funktion. Über der Szene fliegen Vögel, und ein tausendjähriger, orangefarbener Kater namens Pommerantsch behauptet, die Schriftstellerin sei seine Figur.
In dieser traumartigen, auch surrealen Atmosphäre fordern Geheimdienstler in grauen Anzügen drohend Respekt für die chinesische „Realpolitik“ – ein einst, so heißt es unmittelbar darauf, im nationalsozialistischen Protektorat Böhmen und Mähren üblicher Terminus für ein „erträgliches“ Maß Terror.

Manche historische Diskurse vorhersehbar

Solch harte Montagen vergleichen ständig China und Tschechien, das Heute und das Damals unter kommunistischer Herrschaft oder deutscher Okkupation. Manche der historischen Exkurse sind vorhersehbar, manche klingen nach Leitartikel. „Stunden aus Blei“ ist ein Gewebe aus vielen Stimmen, die einander ins Wort fallen: philosophisch und alltagsnah dreckig, symbolisch und realistisch, erzählend und journalistisch.
Allerdings klingen die Tiraden gegen die „asozialen“ Medien, die Technikverliebtheit, den Konsumismus oder die „koboldhaften Machos“ oft recht bekannt. Faszinierend wird der Roman, sobald sich Radka Denemarková ihren Figuren zuwendet. Wenn der Programmierer aus Peking zurückkehrt nach Prag, braucht es keinen Exkurs: Unverkennbar regiert seine Mutter die Familie mit faschistischen Methoden.

Hoffnung gibt es auch

„Stunden aus Blei“ ist ein polyphones, oft surreal anmutendes Schattenspiel unter Lemuren – und die wütende Anklage einer Diktatur, der die Europäer um des Geldes willen ähnlich zu werden drohen. Doch Hoffnung gibt es auch: Zwei begabte junge Menschen befreit die Schriftstellerin aus den Händen ihrer Eltern. Der Jugend gehört die Zukunft.

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