Die umstrittene Legende
Von 1959 bis zum Ende der DDR saß er in der Volkskammer. Seit dem Mauerfall engagiert er sich für die Partei Die Linke und wird nicht müde die Vorzüge der DDR zu betonen, gar den Mauerbau zu verteidigen. Genau das brachte ihm die bitterste Niederlage seines Lebens ein.
Ob Dissident, linientreuer Genosse oder Kind: In der DDR kannte jeder seinen Namen. Auch für Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, CDU, ist Täve irgendwie ein Held. Rad-Rennfahrer Gustav-Adolf Schur, so sein bürgerlicher Name, ist neben Sigmund Jähn, dem ersten ostdeutschen Kosmonauten und dem Ampelmännchen wohl einer der prominentesten Menschen der untergegangenen DDR. Jetzt wird er 85.
"Das Leben rast an einem vorbei und man bildet sich ein man ist ein junger Hüpfer. Stimmt aber nicht, deswegen bin ich über die 85 höchst verwundert ..."
Täve - der Vater von vier Kindern und siebenfache Großvater - ist ein drahtig schlanker Mann. Er hat kaum Falten im Gesicht. So manch 50-Jähriger sieht älter aus, was vielleicht auch an seinen Rad-Touren liegt, die er jedes Wochenende mit seinem Carbon-Rad unternimmt.
Täve Schur lacht viel. Weshalb man auch nie so recht weiß, ob er die Dinge ernst meint. Wenn er beispielsweise davon erzählt, das ihn der Sieg bei den Weltmeisterschaften - wie etwa 1958 in Reims - zwar stolz gemacht, aber gar nicht so viel bedeutet habe. Viel wichtiger sei es ihm gewesen, schiebt er schnell hinterher, die DDR-Nationalhymne zu hören, wenn er auf dem Sieger-Podest stand.
Heldenstatus bei der Friedensfahrt erworben
Den Heldenstatus hat sich Täve Schur aber nicht in Reims oder bei den Olympischen Spielen - wo er im Einzelfahren nie eine Medaille gewann - erworben, sondern bei der Friedensfahrt. Das war eine Drei-Länderrundfahrt, die durch Polen, die DDR und die damalige Tschechoslowakei führte. Sie gilt heute noch als eines der härtesten Amateur-Etappen-Radrennen. 1955 und 1959 hat sie Gustav-Adolf Schur gewonnen, dadurch wurde er sozusagen zum Volkseigentum. Eine Rolle, die er mit Bravour mitgespielt hat. Noch heute taucht der Arbeiter-und Bauernstaat in fast jedem seiner Sätze auf; die seiner Meinung nach kein Unrechtsstaat war, die nur verkürzt dargestellt werde.
"Was wir versucht haben, war richtig, dadurch bin ich Mensch geworden, genau. Dort groß geworden zu sein, wo die Menschen dafür gesorgt haben, dass man Radfahren konnte. Und auch international zum Einsatz kam."
Die Staatssicherheit, das ausgeklügelte System des DDR-Staatsdoping-Programms unter dem insbesondere Minderjährige litten, die Niederschlagung des Prager Frühling oder der Aufstand in Ungarn 1956: Alles Dinge von denen Schur bis heute nichts hören will. Weshalb ihm auch der Ruf des Ewig-Gestrigen anhängt.
Stattdessen lebt Täve Schur - der "Arbeiterjunge aus Heyrothsberge", der "Sohn eines einfachen Ziegeleiarbeiters" wie die "Magdeburger Volksstimme" mal schrieb, seinen eigenen Mythos weiter, den die SED-Genossen ihm einst übergestülpt hatten. In den neuen Ländern ist das vielen Menschen völlig egal, für sie ist Täve ein unverrückbares Idol.
"Er ist eine völlig integre Persönlichkeit, und ein sehr bescheidener Mensch. Durch seine Hilfsbereitschaft, durch seine Kameradschaftlichkeit. Und Täve ist so ein Stück Heimat."
Die größte Niederlage seines Lebens erlebte Täve Schur allerdings 2011, als ihm - wegen seiner DDR-Staatsnähe - die Aufnahme in die "Hall of Fame" des deutschen Sports verwehrt wurde. Eine Ahnengalerie deutscher Sportgrößen, darunter Franz Beckenbauer, Steffi Graf oder Max Schmeling. Horst Schäfer: Der Eigentümer des privaten Friedensfahrt-Museums in Kleinmühlingen springt seinem Freund Täve zu Seite:
"Ich hab zum Gustav gesagt, weißt du, wenn diese Mitglieder so entschieden haben, egal. Du bist der Held in unserem Herzen. Und: Wir wollen das jetzt nicht auseinanderpflücken, welche Personen dort noch Mitglied sind. Es wird verschiedenartig gewichtet."