Rätsel hinterm Zwinger
Ein wenig abseits der berühmten touristischen Anziehungspunkte in Dresden liegt das Denkmal für den Dresdner Komponisten Heinrich Schütz. Es wurde 1985 zum 400. Geburtstag des Komponisten aufgestellt und wittert jetzt vor sich hin. Ein Besuch dort gibt Rätsel auf.
Auf dem Teich hinter dem Zwinger sprudelt die Fontäne, die Enten jagen sich schon nicht mehr. Neben dem Uferweg hinter der Semperoper laden alte Eichen und Ahornbäume ihre dichten knorrigen Äste aus. Sie spenden Schatten für ein durch Moos und Algen grün gefärbtes Denkmal. Ich bin oft an der Stele vorbeigelaufen – meine Straßenbahnlinie hielt noch bis vor ein paar Monaten nicht weit von Zwinger und Hinterseite der Semperoper.
An einem Abend hatte ich noch viel Zeit vor einem Opernbesuch und bin spontan zum Rasenlatscher geworden. Das muss man, um sich das Denkmal einmal richtig von allen vier Seiten anzuschauen. Die gut drei Meter hohe quaderförmige Stele wittert auf der Hinterseite der Semperoper so vor sich hin. Auch die vier Bronzeplatten mit ihren mittelalterlich anmutenden Szenen sind schon grün angelaufen. Beim Herantreten kann man einen in den Stein eingemeißelten dürren Text lesen: Heinrich Schütz, 1585 bis 1672.
Gut, dass es in Dresden ein Schütz-Konservatorium gibt, wusste ich. Dass hinter der Frauenkirche irgendwann das Wohnhaus des Komponisten wieder aufgebaut werden soll, auch. Auch ein Schütz-Archiv gibt es hier, schließlich hatte der Komponist am Dresdner Hof von 1617 bis zu seinem Tod die Kapellmeisterstelle inne. Doch: Nirgends – auch in keinem Stadtführer – konnte ich einen Hinweis auf dieses langsam verwitternde Denkmal finden.
Meine vorläufige Schätzung: DDR-Zeit, bester sozialistischer Realismus. Keine Büste steht da am Zwingerteich, sondern eine Plastik gespickt mit Szenen aus dem Leben des Komponisten und Musikers. Auf der Bronzetafel an der Stirnseite, zum Wasser hin, gibt es gerade ein Konzert. 17 Sänger, Streicher und Trompeter werden dirigiert von einem Mann mit spitzem Bart. Schütz im Porträt also.
Die Tafel daneben auf der linken Seite zeigt Liebespaare: beieinander liegend, sich küssend, eines weinend voneinander abgewandt, wie nach einer Trennung. Ein Verweis auf das Opus 1 von Schütz, sein 1611 erschienenes erstes Madrigalbuch voller Liebeslieder. Auf der Rückseite des Denkmals herrscht Krieg. Reiter mit Lanzen, in der Schlacht fällt gerade einer vom Ross. Heinrich Schütz – der Komponist, der während des Dreißigjährigen Krieges lebte.
Den Schütz des Krieges zeigt auch - 200 Meter entfernt – in der kommenden Spielzeit die Dresdner Semperoper: Sie hat einen Abend des Regisseurs Herbert Wernicke im Repertoire, mit Szenen zu geistlicher Musik von Heinrich Schütz und einer Bühne voll mit Flüchtlingen, Panzer und Soldaten. Schütz musste Dresden während des Dreißigjährigen Krieges verlassen, musste sein Auskommen auch an andern Höfen suchen, in Mitteldeutschland und in Kopenhagen, wo der Konfessions-Krieg gerade einmal nicht so tobte.
Schließlich die vierte Seite des Dresdner Schütz-Denkmals aus DDR-Tagen: Zeigt sie am Ende den wichtigsten frühen und durch und durch evangelischen Komponisten? Den musikalischen Künder von Luthers Lehre? Immerhin: Auf dem letzten Bronzerelief ist ein Gekreuzigter zu sehen, neben weiteren Gruppen von geprügelten und gefolterten Männern. Das ist für mich die rätselhafteste Seite.
Als ich beim Dresdner Schütz-Archiv nach dem Denkmal frage, kann mir auch keiner weiterhelfen. In Köstritz – dem Geburtsort von Schütz – bekomme ich den rettenden Tipp: Mal Professor Wolfram Steude fragen. Er ist ein inzwischen pensionierter Dresdner Musikwissenschaftsprofessor und hatte 1985 in der DDR die Schütz-Ehrung zum 400. Geburtstag zu organisieren.
Direkt nach seinem Urlaub kommt Steude zu unserem Treffpunkt, dem Denkmal. Er weiß es noch genau: Vor 20 Jahren sei das Denkmal aufgestellt worden, zum Bach-Händel-Schütz-Jahr, das die DDR groß gefeiert hatte. Doch was der Bildhauer Berndt Wilde da geschaffen hat, findet bei Wolfram Steude kaum Gnade. Schon, dass da Schütz unhistorisch mit zwei Händen dirigiert statt nur mit einem Stock den Rhythmus schlägt, lässt Steude fast nicht mehr durchgehen.
Auch dass in der Ecke der Kriegstafel auf der Rückseite ein Papst sitzt, stört ihn sehr, ein Papst, um den sich der Lutheraner Schütz nie gekümmert habe. Aber am schlimmsten ist für den Schütz-Kenner die Tafel mit Christus am Kreuz und den anderen Geschlagenen. Das ist für Stolte zu viel DDR und zu wenig Komponist:
Steude: "Die christlichen Elemente in seinem Werk, die natürlich enorm stark sind, die wurden in allgemein menschliches Leid umgemünzt. Also: Hier ist zwar ein Christus am Kreuz, aber das ist nur ein Symbol für menschliche Erniedrigung, für menschliches Leid."
Wolfram Steude tritt noch einen Schritt näher heran, um sich die anderen etwa 10 Zentimeter großen Figuren in dem Relief anzusehen:
"Hier dieser niedergeschlagene Mann, der hier kniet mit dem Kopf nach unten in beiden Armen: Leid. Der hier ist auch geschlagen, wird durch einen andern gestützt. Also die Erniedrigten und Beleidigten sozusagen – dafür war Christus gerade noch gut genug, um eben auch noch mit zu erscheinen. Es scheint mir hier eine marxistische Intention vorzuliegen."
Inzwischen ist das Denkmal hinter Zwinger und Semperoper selbst zum Denkmal seiner eigenen DDR-Geschichtlichkeit geworden. Mich hat’s angerührt mit seiner unter Moos und Algenflechten versteckten Botschaft. Als ich mich kurz vor der Semperoper zusammen mit dem Schütz-Professor noch einmal umdrehe, und sage: Von weitem sieht die Stele mit den vier Tafeln selbst doch fast wie ein Kreuz aus, da bremst mich Wolfram Steude und meint zum Dresdner Heinrich-Schütz-Denkmal: Vielleicht sieht es ja flüchtig aus wie ein Kreuz, aber es soll es sicher nicht bedeuten.
An einem Abend hatte ich noch viel Zeit vor einem Opernbesuch und bin spontan zum Rasenlatscher geworden. Das muss man, um sich das Denkmal einmal richtig von allen vier Seiten anzuschauen. Die gut drei Meter hohe quaderförmige Stele wittert auf der Hinterseite der Semperoper so vor sich hin. Auch die vier Bronzeplatten mit ihren mittelalterlich anmutenden Szenen sind schon grün angelaufen. Beim Herantreten kann man einen in den Stein eingemeißelten dürren Text lesen: Heinrich Schütz, 1585 bis 1672.
Gut, dass es in Dresden ein Schütz-Konservatorium gibt, wusste ich. Dass hinter der Frauenkirche irgendwann das Wohnhaus des Komponisten wieder aufgebaut werden soll, auch. Auch ein Schütz-Archiv gibt es hier, schließlich hatte der Komponist am Dresdner Hof von 1617 bis zu seinem Tod die Kapellmeisterstelle inne. Doch: Nirgends – auch in keinem Stadtführer – konnte ich einen Hinweis auf dieses langsam verwitternde Denkmal finden.
Meine vorläufige Schätzung: DDR-Zeit, bester sozialistischer Realismus. Keine Büste steht da am Zwingerteich, sondern eine Plastik gespickt mit Szenen aus dem Leben des Komponisten und Musikers. Auf der Bronzetafel an der Stirnseite, zum Wasser hin, gibt es gerade ein Konzert. 17 Sänger, Streicher und Trompeter werden dirigiert von einem Mann mit spitzem Bart. Schütz im Porträt also.
Die Tafel daneben auf der linken Seite zeigt Liebespaare: beieinander liegend, sich küssend, eines weinend voneinander abgewandt, wie nach einer Trennung. Ein Verweis auf das Opus 1 von Schütz, sein 1611 erschienenes erstes Madrigalbuch voller Liebeslieder. Auf der Rückseite des Denkmals herrscht Krieg. Reiter mit Lanzen, in der Schlacht fällt gerade einer vom Ross. Heinrich Schütz – der Komponist, der während des Dreißigjährigen Krieges lebte.
Den Schütz des Krieges zeigt auch - 200 Meter entfernt – in der kommenden Spielzeit die Dresdner Semperoper: Sie hat einen Abend des Regisseurs Herbert Wernicke im Repertoire, mit Szenen zu geistlicher Musik von Heinrich Schütz und einer Bühne voll mit Flüchtlingen, Panzer und Soldaten. Schütz musste Dresden während des Dreißigjährigen Krieges verlassen, musste sein Auskommen auch an andern Höfen suchen, in Mitteldeutschland und in Kopenhagen, wo der Konfessions-Krieg gerade einmal nicht so tobte.
Schließlich die vierte Seite des Dresdner Schütz-Denkmals aus DDR-Tagen: Zeigt sie am Ende den wichtigsten frühen und durch und durch evangelischen Komponisten? Den musikalischen Künder von Luthers Lehre? Immerhin: Auf dem letzten Bronzerelief ist ein Gekreuzigter zu sehen, neben weiteren Gruppen von geprügelten und gefolterten Männern. Das ist für mich die rätselhafteste Seite.
Als ich beim Dresdner Schütz-Archiv nach dem Denkmal frage, kann mir auch keiner weiterhelfen. In Köstritz – dem Geburtsort von Schütz – bekomme ich den rettenden Tipp: Mal Professor Wolfram Steude fragen. Er ist ein inzwischen pensionierter Dresdner Musikwissenschaftsprofessor und hatte 1985 in der DDR die Schütz-Ehrung zum 400. Geburtstag zu organisieren.
Direkt nach seinem Urlaub kommt Steude zu unserem Treffpunkt, dem Denkmal. Er weiß es noch genau: Vor 20 Jahren sei das Denkmal aufgestellt worden, zum Bach-Händel-Schütz-Jahr, das die DDR groß gefeiert hatte. Doch was der Bildhauer Berndt Wilde da geschaffen hat, findet bei Wolfram Steude kaum Gnade. Schon, dass da Schütz unhistorisch mit zwei Händen dirigiert statt nur mit einem Stock den Rhythmus schlägt, lässt Steude fast nicht mehr durchgehen.
Auch dass in der Ecke der Kriegstafel auf der Rückseite ein Papst sitzt, stört ihn sehr, ein Papst, um den sich der Lutheraner Schütz nie gekümmert habe. Aber am schlimmsten ist für den Schütz-Kenner die Tafel mit Christus am Kreuz und den anderen Geschlagenen. Das ist für Stolte zu viel DDR und zu wenig Komponist:
Steude: "Die christlichen Elemente in seinem Werk, die natürlich enorm stark sind, die wurden in allgemein menschliches Leid umgemünzt. Also: Hier ist zwar ein Christus am Kreuz, aber das ist nur ein Symbol für menschliche Erniedrigung, für menschliches Leid."
Wolfram Steude tritt noch einen Schritt näher heran, um sich die anderen etwa 10 Zentimeter großen Figuren in dem Relief anzusehen:
"Hier dieser niedergeschlagene Mann, der hier kniet mit dem Kopf nach unten in beiden Armen: Leid. Der hier ist auch geschlagen, wird durch einen andern gestützt. Also die Erniedrigten und Beleidigten sozusagen – dafür war Christus gerade noch gut genug, um eben auch noch mit zu erscheinen. Es scheint mir hier eine marxistische Intention vorzuliegen."
Inzwischen ist das Denkmal hinter Zwinger und Semperoper selbst zum Denkmal seiner eigenen DDR-Geschichtlichkeit geworden. Mich hat’s angerührt mit seiner unter Moos und Algenflechten versteckten Botschaft. Als ich mich kurz vor der Semperoper zusammen mit dem Schütz-Professor noch einmal umdrehe, und sage: Von weitem sieht die Stele mit den vier Tafeln selbst doch fast wie ein Kreuz aus, da bremst mich Wolfram Steude und meint zum Dresdner Heinrich-Schütz-Denkmal: Vielleicht sieht es ja flüchtig aus wie ein Kreuz, aber es soll es sicher nicht bedeuten.