Rätselhafte Freundschaft
Zeit seines Lebens setzte sich der Medienmogul Axel Springer publizistisch und finanziell für jüdische Belange ein. Warum er das tat, zeigt die Ausstellung "Bild dir dein Volk!" in Frankfurt am Main - und gibt damit Einblick in Springers widersprüchliche Persönlichkeit.
In Deutschland war Axel Springer einer der meist gehassten Verleger - in Israel hingegen wird er bis heute verehrt. Als Schlüsselereignis gilt Springers erste Reise ins gelobte Land - 1966.
"Seit Ausrufung der Unabhängigkeit lebte Israel im Kriegszustand mit allen seinen Nachbarn. Seit 1952 erhielten die Feinde Israels zunehmend Unterstützung von der Sowjetunion. Israel dagegen wurde vom Westen keineswegs selbstverständlich unterstützt. Selbst die USA leisteten Israel jahrelang keine Hilfe, weder wirtschaftlich, noch diplomatisch, noch militärisch. Einen Mann gab es jedoch, der den Israelis die Hand reichte: Axel Springer."
So Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Berlin, in einem Fachartikel über den deutschen Unternehmer.
"Axel Springer gab den Israelis das Gefühl, dass es nicht stimme, dass die ganze Welt gegen sie sei."
Der Hamburger Unternehmer spendete bei seinem Besuch eine Million Dollar für das Jerusalemer Israel-Museum. 1967 unterstützte er mit seinen Zeitungen Israels Sechstagekrieg. Zuvor hatte der Verleger bereits ausführlich über den Jerusalemer Eichmann-Prozess sowie über den Frankfurter Auschwitz-Prozess berichten lassen. Springers Engagement ging noch weiter: Er ließ alle seine Mitarbeiter unterschreiben, dass sie sich für eine "Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen" einsetzen sowie die "Lebensrechte des israelischen Volkes" unterstützen. Ein Grundsatz, der noch heute im Verlag gilt.
"Und das ist mit Sicherheit ein guter, ehrlicher Einsatz von Axel Springer für die Aussöhnung mit Juden und für Israel - aber gleichzeitig mit äußerst widersprüchlichen Methoden."
Dimitrij Belkin ist Historiker und arbeitet am Fritz-Bauer-Institut zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust in Frankfurt am Main. Der russischsprachige Zuwanderer hat in Archiven recherchiert und mit Zeitzeugen gesprochen, um herauszufinden, warum sich Springer etwa mit belasteten Mitarbeitern umgab. Wie mit Hans Zehrer. Zehrer war in der Weimarer Republik ein Antidemokrat und führender Vertreter der sogenannten Konservativen Revolution. Kein Wunder, dass die Forschung bis heute über Springers Personalpolitik rätselt. So zeigt sich der jüdische Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik irritiert:
"Ich habe das nie ganz verstanden, wie man auf der einen Seite diese erklärte, deutsch-jüdische Tradition aufrechterhalten konnte - und auf der anderen Seite einen wesentlichen Totengräber der Weimarer Republik zu seinem publizistischen Hauptberater machen konnte. Und das war ohne jeden Zweifel der Fall."
Noch Verwirrender: Springer beschäftigte sogar mehrere Mitarbeiter, die einst überzeugte Nazis waren. Wie Paul Karl Schmidt, der die NS-Propaganda des Auswärtigen Amtes steuerte. Schmidt hatte zum Beispiel 1944 Anregungen geschrieben, wie eine Juden-Deportation in Budapest nach außen verharmlost werden könnte. Nach dem Krieg veröffentlichte er unter dem Namen Paul Carell Bücher, die die Wehrmacht verherrlichten. Zudem arbeitete er als Sicherheitschef und Redenschreiber - für Axel Springer. Der Hamburger Medienmacher wollte offenbar nicht auf das "Experten"-Wissen von Ex-Nazis verzichten.
Belkin: "So dass de facto die Antisemiten im Springer-Haus - nicht nur sie, aber sie auch - mit zuständig waren für die pro-israelische Linie des Verlages. Wir kreisen ständig um Paradoxe bei dem Thema."
Springer beschäftigte in seiner Hausleitung auch einen Holocaust-Überlebenden: Ernst Cramer, der im KZ Buchenwald gefoltert worden war. So arbeiteten im Bildzeitungs-Verlag Ex-Nazis, Ex-Mitläufer und Ex-Verfolgte zusammen. Der Verleger setzte auf Versöhnung - aber zugleich auf eine Aufarbeitung der deutschen Schuld. Allerdings nur, soweit es ihn nicht selbst betraf. Springer war nämlich in der NS-Zeit für antisemitische Propaganda mitverantwortlich gewesen - unter anderem als Mitarbeiter der Altonaer Nachrichten. 1979 wollte Verleger-Konkurrent Rudolf Augstein dieses dunkle Kapitel veröffentlichen. Doch Springer intervenierte persönlich - und konnte einen Artikel im Spiegel-Magazin verhindern.
Belkin: "Man kann vor allem wissen, dass '79/'80 jetzt nachgewiesene NS- und besonders antisemitische Vergangenheit für einen, der sich derart intensiv für Israel und für die Juden engagiert, eigentlich ein Ruin, ein Ende bedeutet hätte. Und das war auch so."
Waren Springers einstige Verfehlungen der Grund, warum er sich so vehement für die Juden einsetzte? Gleichsam als Wiedergutmachung? Dimitrij Belkin vom Fritz-Bauer-Institut hält dies für denkbar. Der Historiker verweist auf eine weitere mögliche Quelle von Schuldgefühlen: Springer war einst mit einer jüdischen Frau verheiratet gewesen, die aber getauft war. Die Ehe wurde 1938 geschieden - denn Springer war fremdgegangen. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Medienmacher durch die Trennung von seiner jüdischstämmigen Frau seine Karriere im Hitler-Staat befördern wollte. Auf jeden Fall lief die Geschiedene nun plötzlich Gefahr, als sogenannte Halbjüdin ins KZ zu kommen. Tatsächlich wurde sie nicht deportiert - aber Experte Belkin glaubt, dass die Trennung bei Springer nachwirkte:
"Und wenn Sie mich fragen, ob dann Schuldgefühle später für ihn eine Rolle gespielt haben, ganz konkret, ich würde sagen: auch, ja."
Offenbar gab es bei Springer eine weitere Triebfeder für seine ausgeprägte Juden- und Israelfreundschaft: seine Volkstümelei. Der Hintergrund: Konservative deutsche Kreise konnten sich seit dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" nicht mehr mit einem Volk identifizieren. Dies änderte sich mit dem Sechstagekrieg 1967: Nun gab es plötzlich ein siegreiches Israel. In einem Interview für das Fritz-Bauer-Institut erklärt der jüdische Anwalt und Moderator Michel Friedman den psychologischen Mechanismus:
"Das war plötzlich ein starkes Land, militärisch erfolgreich - also Assets, die in der konservativen Welt von Bedeutung waren, das war Ruhm. Und sich jetzt mit Juden identifizieren zu können via Israel - und wiederum den konservativen Antisemitismus ein Stück überdecken zu können durch Philosemitismus - das war dann die Stimmung."
Mögliche Schuldgefühle, Bewunderung der israelischen Stärke - bei Axel Springer wirkte bei seiner Judenfreundschaft wohl noch ein drittes Motiv mit: seine Religion. Der getaufte Protestant fand seine geistige Heimat in einer evangelischen Marienschwesternschaft. Dieser strenggläubige Orden verbindet Israel mit mystischen Heilsvorstellungen. 1978 schrieb Springer an die Ordensgründerin und Buchautorin Basilea Schlink:
"Er sei nach der Lektüre ihres Buches 'zutiefst erschüttert und glücklich gewesen', das Rätsel seiner Zuneigung 'zu den Juden und Israel ganz abseits von der selbstverständlichen Wiedergutmachungspflicht erklärt zu finden'."
Nach Ansicht von Wissenschaftler Belkin steckt allerdings hinter christlichen Heilsvorstellungen, die mit Israel verbunden sind, häufig ein evangelikaler Ansatz. Also ein Wille zur Bekehrung aller Juden:
"Andererseits war Springer kein Denker, kein systematischer Denker. Und er hat oft die Inhalte - das Heil kommt von den Juden - welches Heil? Jerusalem als zweite Heimat, das hat er nie zu Ende gedacht. Denn wenn er das zu Ende gedacht hätte, dann hätte er sicherlich verstanden, dass er hier auch ein bisschen mit christlicher Mission zu tun hat. Dass diese Vorstellung der Evangelien, des Johannesevangeliums in erster Linie, dass die sehr stark auf eine Überwindung sozusagen des Judentums gerichtet waren. Aber das hat er sich nie zum Thema gemacht."
Die Experten rätseln bis heute, welches Hauptmotiv ausschlaggebend war für Springers Einsatz für die Juden: Schuldgefühle? Volkstümelei? Christlicher Mystizismus? Klar ist eins: Die Forschung zum umstrittenen Verleger ist längst nicht abgeschlossen.
Service:
Jüdisches Museum Frankfurt am Main
"Bild dir dein Volk! Axel Springer und die Juden"
15. März bis 29. Juli 2012
"Seit Ausrufung der Unabhängigkeit lebte Israel im Kriegszustand mit allen seinen Nachbarn. Seit 1952 erhielten die Feinde Israels zunehmend Unterstützung von der Sowjetunion. Israel dagegen wurde vom Westen keineswegs selbstverständlich unterstützt. Selbst die USA leisteten Israel jahrelang keine Hilfe, weder wirtschaftlich, noch diplomatisch, noch militärisch. Einen Mann gab es jedoch, der den Israelis die Hand reichte: Axel Springer."
So Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Berlin, in einem Fachartikel über den deutschen Unternehmer.
"Axel Springer gab den Israelis das Gefühl, dass es nicht stimme, dass die ganze Welt gegen sie sei."
Der Hamburger Unternehmer spendete bei seinem Besuch eine Million Dollar für das Jerusalemer Israel-Museum. 1967 unterstützte er mit seinen Zeitungen Israels Sechstagekrieg. Zuvor hatte der Verleger bereits ausführlich über den Jerusalemer Eichmann-Prozess sowie über den Frankfurter Auschwitz-Prozess berichten lassen. Springers Engagement ging noch weiter: Er ließ alle seine Mitarbeiter unterschreiben, dass sie sich für eine "Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen" einsetzen sowie die "Lebensrechte des israelischen Volkes" unterstützen. Ein Grundsatz, der noch heute im Verlag gilt.
"Und das ist mit Sicherheit ein guter, ehrlicher Einsatz von Axel Springer für die Aussöhnung mit Juden und für Israel - aber gleichzeitig mit äußerst widersprüchlichen Methoden."
Dimitrij Belkin ist Historiker und arbeitet am Fritz-Bauer-Institut zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust in Frankfurt am Main. Der russischsprachige Zuwanderer hat in Archiven recherchiert und mit Zeitzeugen gesprochen, um herauszufinden, warum sich Springer etwa mit belasteten Mitarbeitern umgab. Wie mit Hans Zehrer. Zehrer war in der Weimarer Republik ein Antidemokrat und führender Vertreter der sogenannten Konservativen Revolution. Kein Wunder, dass die Forschung bis heute über Springers Personalpolitik rätselt. So zeigt sich der jüdische Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik irritiert:
"Ich habe das nie ganz verstanden, wie man auf der einen Seite diese erklärte, deutsch-jüdische Tradition aufrechterhalten konnte - und auf der anderen Seite einen wesentlichen Totengräber der Weimarer Republik zu seinem publizistischen Hauptberater machen konnte. Und das war ohne jeden Zweifel der Fall."
Noch Verwirrender: Springer beschäftigte sogar mehrere Mitarbeiter, die einst überzeugte Nazis waren. Wie Paul Karl Schmidt, der die NS-Propaganda des Auswärtigen Amtes steuerte. Schmidt hatte zum Beispiel 1944 Anregungen geschrieben, wie eine Juden-Deportation in Budapest nach außen verharmlost werden könnte. Nach dem Krieg veröffentlichte er unter dem Namen Paul Carell Bücher, die die Wehrmacht verherrlichten. Zudem arbeitete er als Sicherheitschef und Redenschreiber - für Axel Springer. Der Hamburger Medienmacher wollte offenbar nicht auf das "Experten"-Wissen von Ex-Nazis verzichten.
Belkin: "So dass de facto die Antisemiten im Springer-Haus - nicht nur sie, aber sie auch - mit zuständig waren für die pro-israelische Linie des Verlages. Wir kreisen ständig um Paradoxe bei dem Thema."
Springer beschäftigte in seiner Hausleitung auch einen Holocaust-Überlebenden: Ernst Cramer, der im KZ Buchenwald gefoltert worden war. So arbeiteten im Bildzeitungs-Verlag Ex-Nazis, Ex-Mitläufer und Ex-Verfolgte zusammen. Der Verleger setzte auf Versöhnung - aber zugleich auf eine Aufarbeitung der deutschen Schuld. Allerdings nur, soweit es ihn nicht selbst betraf. Springer war nämlich in der NS-Zeit für antisemitische Propaganda mitverantwortlich gewesen - unter anderem als Mitarbeiter der Altonaer Nachrichten. 1979 wollte Verleger-Konkurrent Rudolf Augstein dieses dunkle Kapitel veröffentlichen. Doch Springer intervenierte persönlich - und konnte einen Artikel im Spiegel-Magazin verhindern.
Belkin: "Man kann vor allem wissen, dass '79/'80 jetzt nachgewiesene NS- und besonders antisemitische Vergangenheit für einen, der sich derart intensiv für Israel und für die Juden engagiert, eigentlich ein Ruin, ein Ende bedeutet hätte. Und das war auch so."
Waren Springers einstige Verfehlungen der Grund, warum er sich so vehement für die Juden einsetzte? Gleichsam als Wiedergutmachung? Dimitrij Belkin vom Fritz-Bauer-Institut hält dies für denkbar. Der Historiker verweist auf eine weitere mögliche Quelle von Schuldgefühlen: Springer war einst mit einer jüdischen Frau verheiratet gewesen, die aber getauft war. Die Ehe wurde 1938 geschieden - denn Springer war fremdgegangen. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Medienmacher durch die Trennung von seiner jüdischstämmigen Frau seine Karriere im Hitler-Staat befördern wollte. Auf jeden Fall lief die Geschiedene nun plötzlich Gefahr, als sogenannte Halbjüdin ins KZ zu kommen. Tatsächlich wurde sie nicht deportiert - aber Experte Belkin glaubt, dass die Trennung bei Springer nachwirkte:
"Und wenn Sie mich fragen, ob dann Schuldgefühle später für ihn eine Rolle gespielt haben, ganz konkret, ich würde sagen: auch, ja."
Offenbar gab es bei Springer eine weitere Triebfeder für seine ausgeprägte Juden- und Israelfreundschaft: seine Volkstümelei. Der Hintergrund: Konservative deutsche Kreise konnten sich seit dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" nicht mehr mit einem Volk identifizieren. Dies änderte sich mit dem Sechstagekrieg 1967: Nun gab es plötzlich ein siegreiches Israel. In einem Interview für das Fritz-Bauer-Institut erklärt der jüdische Anwalt und Moderator Michel Friedman den psychologischen Mechanismus:
"Das war plötzlich ein starkes Land, militärisch erfolgreich - also Assets, die in der konservativen Welt von Bedeutung waren, das war Ruhm. Und sich jetzt mit Juden identifizieren zu können via Israel - und wiederum den konservativen Antisemitismus ein Stück überdecken zu können durch Philosemitismus - das war dann die Stimmung."
Mögliche Schuldgefühle, Bewunderung der israelischen Stärke - bei Axel Springer wirkte bei seiner Judenfreundschaft wohl noch ein drittes Motiv mit: seine Religion. Der getaufte Protestant fand seine geistige Heimat in einer evangelischen Marienschwesternschaft. Dieser strenggläubige Orden verbindet Israel mit mystischen Heilsvorstellungen. 1978 schrieb Springer an die Ordensgründerin und Buchautorin Basilea Schlink:
"Er sei nach der Lektüre ihres Buches 'zutiefst erschüttert und glücklich gewesen', das Rätsel seiner Zuneigung 'zu den Juden und Israel ganz abseits von der selbstverständlichen Wiedergutmachungspflicht erklärt zu finden'."
Nach Ansicht von Wissenschaftler Belkin steckt allerdings hinter christlichen Heilsvorstellungen, die mit Israel verbunden sind, häufig ein evangelikaler Ansatz. Also ein Wille zur Bekehrung aller Juden:
"Andererseits war Springer kein Denker, kein systematischer Denker. Und er hat oft die Inhalte - das Heil kommt von den Juden - welches Heil? Jerusalem als zweite Heimat, das hat er nie zu Ende gedacht. Denn wenn er das zu Ende gedacht hätte, dann hätte er sicherlich verstanden, dass er hier auch ein bisschen mit christlicher Mission zu tun hat. Dass diese Vorstellung der Evangelien, des Johannesevangeliums in erster Linie, dass die sehr stark auf eine Überwindung sozusagen des Judentums gerichtet waren. Aber das hat er sich nie zum Thema gemacht."
Die Experten rätseln bis heute, welches Hauptmotiv ausschlaggebend war für Springers Einsatz für die Juden: Schuldgefühle? Volkstümelei? Christlicher Mystizismus? Klar ist eins: Die Forschung zum umstrittenen Verleger ist längst nicht abgeschlossen.
Service:
Jüdisches Museum Frankfurt am Main
"Bild dir dein Volk! Axel Springer und die Juden"
15. März bis 29. Juli 2012