Jörg Baberowski: Räume der Gewalt
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015
272 Seiten, 19,99 Euro, auch als ebook
Hemmungen steuern das Töten
Wann werden Menschen brutal oder gar fähig zu morden? Der Historiker Jörg Baberowski glaubt, wenn "Räume der Gewalt" entstehen – und meint damit rechtsfreie Räume. Er schließt daraus: Ohne klare Machtverhältnisse gibt es keinen Frieden.
Nicht Ideen oder Ideologien, sondern Situationen, in denen Hemmungen abgeworfen werden, entscheiden darüber, ob Menschen Gewalt anwenden und das Tabu des Tötens verletzen. Diese Ansicht vertritt der Berliner Historiker Jörg Baberowski - er nennt diese Situationen "Räume der Gewalt".
Diese könnten nicht nur geographische Zonen, umgrenzte Landschaften, Lager, Gefängnisse, Anstalten sein, sondern auch jene unsichtbaren Räume, die durch die Vorstellung einer gemeinsam geteilten Welt entstünden.
So hätten die Verbrechen der Einsatzgruppen der SS weniger deshalb schreckliche Ausmaße angenommen, weil sie durch ideologische Überzeugungen angestiftet gewesen seien, sondern weil sie an den Fronten des Zweiten Weltkrieges operierten, die zudem nicht unter Beobachtung der deutschen Zivilgesellschaft standen.
Gewalt hängt von Möglichkeiten ab
Gewalt sei überall, aber nicht abstrakt oder klinisch sauber, sondern dynamisch. Sie verändere soziale Beziehungen. Menschen würden schlagen und töten im Affekt, aus Gehorsam, Zwang, Gewohnheit, Freude oder aus Abwehr. Ob sie aber Gewalt ausübten, hänge von Möglichkeiten und Handlungszwängen ab.
Ein "Raum der Gewalt" mache sie zu allem fähig, auch weil Täter und Opfer nicht mehr frei handeln würden, weil sie sich zu den Bedingungen der Gewalt verhalten müssten, wenn sie erst einmal ausgebrochen sei – in einem Krieg, bei einem Pogrom, einem Massaker sowie auf dem Prügelfeld der Hooligans und im "SM"-Studio.
Als zwei Seiten ein und derselben Sache sei Gewalt mit Macht verbunden, sowohl um Gewalt auszuüben als auch um sie zu einzudämmen. Ohne klare Machtverhältnisse gebe es keinen Frieden und werde das Gleichgewicht zwischen Gehorsam und Sicherheit gestört. Nur wer auf Drohung Taten folgen lassen könne, halte andere davon ab, gewalttätig zu werden.
Zwar sei es eine Leistung des modernen Staates, mit Hilfe des öffentlichen Gewaltmonopols Konflikte im Inneren zu vermeiden. Aber das 20. Jahrhundert habe auch gelehrt, dass dieses Gewaltmonopol im nationalsozialistischen, stalinistischen oder kolonialistischen Staat dazu genutzt worden sei, Angst und Schrecken unter eigenen Bürgern wie fremden Staaten zu verbreiten.
Auch deswegen widerspricht Jörg Baberowski der Auffassung, im Zuge des Zivilisationsprozesses sei das Töten in der Neuzeit anders zu bewerten als im Mittelalter, mit dem zu Unrecht verbunden werde, dass zu jener Zeit den Menschen das Töten Freude gemacht habe oder gar erlaubt gewesen sei.
Gewalt verstehen, um sie einzuhegen
Mehr als fünfzehn Jahre habe er sich als Historiker an der Humboldt-Universität Berlin wissenschaftlich mit den Schrecken der stalinistischen Gewaltherrschaft beschäftigt. Über Gewalt zu schreiben, verändere auch den Autor, mache ihn zum Pessimisten, weshalb er eines Tages damit aufhören müsse.
Nicht Gewalt sei das Rätsel, sondern dass wir uns über sie wundern. Denn ein Leben ohne Gewalt sei nicht vorstellbar. Sie gehöre zum menschlichen Seelenhaushalt wie die Liebe. Ihm reiche es aus, ein Phänomen, das nicht aus der Welt zu schaffen ist, zu verstehen, um es planvoll einhegen zu können.
So hätten die Verbrechen der Einsatzgruppen der SS weniger deshalb schreckliche Ausmaße angenommen, weil sie durch ideologische Überzeugungen angestiftet gewesen seien, sondern weil sie an den Fronten des Zweiten Weltkrieges operierten, die zudem nicht unter Beobachtung der deutschen Zivilgesellschaft standen.
Gewalt hängt von Möglichkeiten ab
Gewalt sei überall, aber nicht abstrakt oder klinisch sauber, sondern dynamisch. Sie verändere soziale Beziehungen. Menschen würden schlagen und töten im Affekt, aus Gehorsam, Zwang, Gewohnheit, Freude oder aus Abwehr. Ob sie aber Gewalt ausübten, hänge von Möglichkeiten und Handlungszwängen ab.
Ein "Raum der Gewalt" mache sie zu allem fähig, auch weil Täter und Opfer nicht mehr frei handeln würden, weil sie sich zu den Bedingungen der Gewalt verhalten müssten, wenn sie erst einmal ausgebrochen sei – in einem Krieg, bei einem Pogrom, einem Massaker sowie auf dem Prügelfeld der Hooligans und im "SM"-Studio.
Als zwei Seiten ein und derselben Sache sei Gewalt mit Macht verbunden, sowohl um Gewalt auszuüben als auch um sie zu einzudämmen. Ohne klare Machtverhältnisse gebe es keinen Frieden und werde das Gleichgewicht zwischen Gehorsam und Sicherheit gestört. Nur wer auf Drohung Taten folgen lassen könne, halte andere davon ab, gewalttätig zu werden.
Zwar sei es eine Leistung des modernen Staates, mit Hilfe des öffentlichen Gewaltmonopols Konflikte im Inneren zu vermeiden. Aber das 20. Jahrhundert habe auch gelehrt, dass dieses Gewaltmonopol im nationalsozialistischen, stalinistischen oder kolonialistischen Staat dazu genutzt worden sei, Angst und Schrecken unter eigenen Bürgern wie fremden Staaten zu verbreiten.
Auch deswegen widerspricht Jörg Baberowski der Auffassung, im Zuge des Zivilisationsprozesses sei das Töten in der Neuzeit anders zu bewerten als im Mittelalter, mit dem zu Unrecht verbunden werde, dass zu jener Zeit den Menschen das Töten Freude gemacht habe oder gar erlaubt gewesen sei.
Gewalt verstehen, um sie einzuhegen
Mehr als fünfzehn Jahre habe er sich als Historiker an der Humboldt-Universität Berlin wissenschaftlich mit den Schrecken der stalinistischen Gewaltherrschaft beschäftigt. Über Gewalt zu schreiben, verändere auch den Autor, mache ihn zum Pessimisten, weshalb er eines Tages damit aufhören müsse.
Nicht Gewalt sei das Rätsel, sondern dass wir uns über sie wundern. Denn ein Leben ohne Gewalt sei nicht vorstellbar. Sie gehöre zum menschlichen Seelenhaushalt wie die Liebe. Ihm reiche es aus, ein Phänomen, das nicht aus der Welt zu schaffen ist, zu verstehen, um es planvoll einhegen zu können.