RAF-Ausstellung in Berlin

"Diese Ausstellung bietet überhaupt nichts Neues"

Zwei Männer lesen am 2. Juni 1978 Handzettel der Polizei, mit denen nach RAF-Terroristen gefahndet wird.
Die Gesellschaft an den Rand der Hysterie gebracht: Der RAF-Terror der 70er Jahre © picture-alliance/ dpa - Konrad Giehr
Moderation: Liane von Billerbeck |
Die RAF-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin gefällt dem früheren Innenminister Gerhart Baum (FDP) nicht. Sie bleibe bruchstückhaft und zeige nicht die gesellschaftlichen Zusammenhänge, kritisiert Baum.
Seit kurzem zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin die Ausstellung "RAF – Terroristische Gewalt". Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) hat sie sich bereits angesehen. Gefallen hat sie ihm nicht.
Die Ausstellung biete nichts Neues, bleibe bruchstückhaft und hinterlasse Unzufriedenheit, meint Baum. "Sie bietet punktuelle Einblicke, aber macht den Besuchern eigentlich nicht klar, was die RAF gewesen ist." So würden Dokumente und Gegenstände gezeigt wie etwa das Motorrad, das 1977 beim Attentat auf den früheren Generalbundesanwalt Siegfried Buback benutzt wurde. "Aber sie zeigen nicht die Zusammenhänge auf, und wenn, dann ist alles sehr verkürzt." Für den Qualitätsanspruch eines Hauptstadtmuseums sei ist das "viel zu wenig", so Baum über die ursprünglich aus Stuttgart stammende Ausstellung.
Die Ausstellung versäume es, die RAF in die Zusammenhänge einzuordnen, sowohl die internationalen als auch die der deutschen Gesellschaft, kritisierte der frühere Innenminister. "Die Täter waren ja Kinder unserer Gesellschaft, sie sind ja nicht aus dem Nichts entstanden. Was ist da passiert, dass sie zu Gewalttätern wurden?"

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Ihre Anschläge, ihr Terror machten weltweit Schlagzeilen. Nein, diesmal ist nicht der IS gemeint, sondern die RAF: Deren terroristische Gewalt wird jetzt nämlich im Deutschen Historischen Museum in Berlin in einer Ausstellung thematisiert – und wir haben einen prominenten Politiker gebeten, sich diese Ausstellung für uns anzusehen, Gerhart Baum nämlich, der von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister gewesen ist. Herr Baum, guten Morgen!
Gerhart Baum: Guten Morgen!
von Billerbeck: Vor zehn Jahren gab es schon mal eine Ausstellung über die RAF, auch in Berlin, in den Kunst-Werken, und damals war die Empörung groß und es wurden Änderungen vorgenommen, weil die Öffentlichkeit wohl auch nicht ertrug, dass auch die anfangs idealistischen Motive der RAF-Terroristen zur Sprache kommen sollten. Ist man denn heute weiter in der Wahrnehmung der RAF, wenn Sie diese Ausstellung jetzt betrachten?
Nur punktuelle Einblicke
Baum: Nein. Diese Ausstellung bietet eigentlich überhaupt nichts Neues. Die Ausstellung in den Kunst-Werken war die Reaktion der Künstler auf das Phänomen RAF und auf die Reaktionen in der Gesellschaft. Es war eine Ausstellung, die sehr fundiert war, auch mit Katalogen, die Auskunft gaben über dieses komplexe Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Die jetzige Ausstellung ist damit überhaupt nicht zu vergleichen. Sie bietet punktuelle Einblicke, aber macht den Besuchern eigentlich nicht klar, was die RAF gewesen ist und wie sie einzuordnen ist in die Zusammenhänge, in die globalen Zusammenhänge – das war ja kein allein deutsches Phänomen – und wie die Reaktion der Gesellschaft war, das, was uns von Anfang an sehr interessiert hat: Wie reagieren wir? Ist die Überreaktion zu überwinden, die es gegeben hat, der heftige parteipolitische Streit? Das kommt da überhaupt nicht zum Ausdruck – sehr, sehr schade.
Im Grunde müssen die Besucher – viele junge Leute habe ich da gesehen – jetzt lesen und müssen sich wirklich einmal klarmachen, was das gewesen ist.
von Billerbeck: Also erst mal ein enttäuschter Besucher Gerhart Baum. Dann exerzieren wir das doch mal durch. Welchen Fragen gehen denn die Ausstellungsmacher im Deutschen Historischen Museum überhaupt nach?
Baum: Na gut, sie zeigen einige Attentate, zeigen Dokumente, zeigen Gegenstände, zeigen das Motorrad, das gefahren worden ist, als Buback ermordet worden ist.
von Billerbeck: Der einzige Generalbundesanwalt.
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum© dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler
"Wir haben gesetzlich überreagiert"
Baum: Ja. Aber sie zeigen nicht die Zusammenhänge auf, und wenn, dann ist alles sehr verkürzt. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Es gab ja sehr früh schon Versuche, herauszufinden: Was ist in dieser Gesellschaft passiert? Die Täter waren ja Kinder unserer Gesellschaft. Sie sind ja nicht aus dem Nichts entstanden. Was ist da passiert, dass sie zu Gewalttätern wurden und wie bringt man das Sympathisanten-Umfeld, das ja sehr umfangreich war, wieder zurück in diese Gesellschaft?
Das wird abgehandelt unter dem Stichwort "Versöhnung", aber beginnend erst mit 1987. Das hat sehr viel früher begonnen. Da gab es Leute wie Heinrich Böll und Enzensberger und Max Frisch, die versucht haben, vor Überreaktionen zu warnen und die Gesellschaft wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen.
Wir haben ja auch überreagiert, wir haben gesetzlich überreagiert. Es war von Kriegszustand die Rede und es waren 35 Täter etwa, nicht mehr. Schreckliche Taten, aber die Republik ist in einer Weise herausgefordert worden, wie eigentlich nie zuvor, und das hätte sehr viel deutlicher dargestellt werden müssen.
von Billerbeck: Sie haben es gesagt, dass diese Fragen ausgespart werden, dass junge Leute bereit waren, aus dem bürgerlichen Leben der Bundesrepublik auszuscheren, auszusteigen, um einen Bürgerkrieg anzuzetteln, und besonders Frauen waren ja darunter: Ulrike Meinhof erinnern wir. Die waren sogar bereit, auch ihr Leben zu riskieren. Warum ist diese Frage bis heute so, dass man sie in einer Museumsausstellung eben nicht stellt?
Fehlende Einordnung der Zusammenhänge
Baum: Das ist sehr, sehr schade. Es gibt ja zum Beispiel eine sehr umfangreiche Literatur, auch eine Literatur über die Motive der Frauen, was Sie eben angesprochen haben. Also ich finde, für den Anspruch, den Qualitätsanspruch eines Hauptstadtmuseums ist das alles viel zu wenig. Die Ausstellung kommt aus Stuttgart. Okay, möglicherweise hat sie für Stuttgart gereicht – für Berlin reicht sie nicht.
Und es gibt auch, wie ich gesehen habe, keinen Veranstaltungszyklus, den man dann daneben hätte aufbauen müssen, um den wissbegierigen Leuten, jungen Leuten heute vor allen Dingen vor Augen zu führen, was da eigentlich passiert ist.
Also wie gesagt, diese Einordnung in die internationalen Zusammenhänge, die Sichtbarmachung des erbitterten Streits zwischen den Parteien, die gesellschaftlichen Überreaktionen – es hat ja eine Reaktion gegeben, die den Terrorismus geradezu gefördert hat, unwillentlich gefördert hat, also Solidarisierung hervorgerufen hat in der linken Szene.
Und man muss auch deutlich machen: Die RAF war ein radikalisiertes Zerfallsprodukt einer linken Protestbewegung, im Grunde der Protestbewegung der Achtundsechziger. Aber es war nicht die Protestbewegung der Achtundsechziger, sondern eben nur ein radikalisierter Ausschnitt, die Nachtseite sozusagen dieser Bewegung.
Es wird etwas deutlich, wenn man die Filme sieht hier, die in Berlin aufgenommen worden sind zu den Anti-Vietnam-Demonstrationen. Das zeigt die Ausstellung. Aber sie bleibt bruchstückhaft und hinterlässt also Unzufriedenheit.
von Billerbeck: Sie waren ja als Bundesinnenminister in dieser Zeit, wo auf jedem Postamt ja auch die Fahndungsplakate hingen, auch an Gesprächsversuchen beteiligt, um diese Gewaltspirale zu durchbrechen. Und es gab ja offenbar auch, als dann die RAF-Terroristen vor Gericht standen, Versuche, da ein Umdenken dem Staat zu signalisieren. Das war aber offenbar gar nicht so einfach. Es gibt da einen Ton von Ulrike Meinhof, nämlich aus Stuttgart-Stammheim.
Ulrike Meinhof: Wie kann ein isolierter Gefangener den Justizbehörden zu erkennen geben, angenommen, dass er es wollte, dass er sein Verhalten geändert hat? Wie? Wie kann er das in einer Situation, in der bereits jede, absolut jede Lebensäußerung unterbunden ist? Ihm bleibt, das heißt, dem Gefangenen in Isolation bleibt, um zu signalisieren, dass sich sein Verhalten geändert hat ..."
Undatiertes Foto von Ulrike Meinhof
Ulrike Meinhof© picture alliance / dpa
von Billerbeck: Wenn Sie diesen Ton hören, Herr Baum, dann ist doch bestimmt diese Zeit wieder wach. Nun gehen Sie dort als Zeitzeuge durch diese Ausstellung. Mit welchen Gefühlen machen Sie das?
Das Gespräch wurde nicht gesucht
Baum: Ja, ich meine, dieser Ausschnitt von Ulrike Meinhof zeigt, dass das Gericht damals auf diese wirklich hochinteressante Bemerkung von ihr nicht in der Lage war, einzugehen. Sie begann, sich vom Terrorismus zu lösen, aber sie lebte in Stammheim mit den anderen zusammen. Sie stand unter Gruppendruck, und sie hat sich dann auch das Leben genommen. Hier hätte die Gesellschaft reagieren müssen, nicht mit Straffreiheit, aber doch, es hätte ein Signal geben müssen, dass eine so prominente Frau plötzlich begann, nachzudenken über ihre Taten.
Ich habe 1979 ein Gespräch mit dem Terroristen Horst Mahler geführt, was zu einem großen Aufsehen geführt hat und auch zu einem Misstrauensantrag im Bundestag gegen mich. Ich wollte deutlich machen durch dieses Gespräch mit einem Mann, der sich abgewendet hatte, wie es zu dieser Verirrung gekommen ist, also wie man wieder dazu kommt, den jungen Leuten zu signalisieren: Ihr könnt die Gesellschaft ändern, aber bitte nicht mit Gewalt. Die Verfassung ist, unsere Verfassung ist immer noch das stärkste Engagement zur Veränderung. Veränderung ja, aber nicht so.
von Billerbeck: Der einstige Bundesinnenminister Gerhart Baum mit seinen Eindrücken nach dem Besuch der Ausstellung "RAF – Terroristische Gewalt" im Deutschen Historischen Museum in Berlin, zu sehen ist sie noch bis zum 15. März, und er empfiehlt auch, viel Literatur und Lektüre, um diese Ausstellung auch zu verstehen. Herr Baum, ganz herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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