RAF-Ausstellung in Berlin

Von Benno Ohnesorg bis Stammheim

Eine Frau betrachtet am 20.11.2014 im Deutschen Historischen Museum in Berlin in der Ausstellung "RAF - terroristische Gewalt" das Plakat. Die Ausstellung kann bis zum 08.03.2015 besichtigt werden.
Eine Frau betrachtet im Deutschen Historischen Museum in Berlin in der Ausstellung "RAF - terroristische Gewalt" das Plakat. © picture-alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Winfried Sträter |
Anschläge, Festnahmen, Gerichtsverfahren: Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin erzählt die Geschichte der RAF von ihrer Gründung 1970 bis zu ihrer Auflösung 28 Jahre später – und sucht nach Erklärungen, warum ein kleiner Teil der Studentenbewegung radikalisiert in den Untergrund ging.
Knallrote Wände. Um nicht zu sagen: blutrote. Und - Splitter als grafisch-gestaltendes Element. Ja, hier sind wir im Raum der Bombenanschläge und Explosionen, der terroristischen Gewalt.
Mit ihrer sehr plakativen Inszenierung wollen die Ausstellungsmacher die Besucher in den Bann ziehen. Man soll die Unruhe, die Gewalt, das Unheil spüren, wenn man den Raum betritt. Eine emotionale Raumerzählung.
"Ein Raum, der gestaltet ist, der einen sofort auch mitnimmt, mit dem Thema konfrontiert, der die Schattenseiten deutlich macht dieser bundesrepublikanischen Geschichte."
So Alexander Koch, der Chef des Deutschen Historischen Museums.
Auf den ersten Blick scheint diese Ausstellung auf spektakuläre Effekte angelegt zu sein. Das Thema RAF eignet sich gut dafür, um nicht zu sagen: Es verführt dazu. Aber der erste Eindruck täuscht.
Chronologie mit Erkenntnisinteresse
Im Grunde ist sogar das Gegenteil der Fall. Die inhaltliche Anlage der Ausstellung ist auf eine bemerkenswerte Weise ambitionslos. Genau das ist ihre Stärke. Sie rollt die Geschichte chronologisch auf, beginnt – das ist in Berlin neu hinzugekommen – mit der West-Berliner Studentenrevolte in den späten 60er Jahren, mit Filmaufnahmen an jenem verhängnisvollen 2. Juni 1967, als der tödliche Schuss auf Benno Ohnesorg fiel. Sie dokumentiert die wachsende Radikalisierung in der Szene, die Geburtsstunde der RAF im Mai 1970, die Anschläge, Festnahmen, das Ringen des Staates um sein Gewaltmonopol, die Gerichtsverfahren, das Spektrum gesellschaftlicher Reaktionen, die Haftbedingungen und ihre Instrumentalisierung zur Rekrutierung terroristischen Nachwuchses.
Interessant wird dieser Gang durch die RAF-Geschichte, weil ein erkenntnisleitendes Interesse dahinter steckt. Wie kam es dazu, dass sich ein Teil der studentenbewegten jungen Leute dazu hinreißen ließ, in den Untergrund zu gehen, Anschläge zu verüben und Menschen zu ermorden? Diese Frage, die uns heute wieder beschäftigt, ist die wichtigste, der die Ausstellungsmacher nachgegangen sind.
Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg:
"Wie werde ich Terrorist? Was war denn mit diesem Johannes Thimme? Beginnend mit diesem Deutsch-Aufsatz und am Ende baut er eine Bombe für die RAF, mit der er sich selber in die Luft jagt? Was ist das für ein junger Mann und wie kommt er auf diesen Weg?"
Der rätselhafte Fall Johannes Thimme
Johannes Thimme: Eine dieser rätselhaften Geschichten, bei denen sich ein Jugendlicher empört über die die gesellschaftliche Ungerechtigkeit und staatliche Härte gegenüber den Terroristen. In einem Schulaufsatz rechtfertigt er 1973 eine Kaufhausbrandstiftung und wird vom Fachlehrer kaum gebremst. Am Ende kommt er bei einem versuchten Bombenanschlag 1985 ums Leben.
Es ist die Geschichte einer Hilflosigkeit von Eltern, den Weg des eigenen Jungen in die Gewalt zu stoppen, wie Rainer Schimpf, einer der Kuratoren, festgestellt hat:
"Sie waren immer wieder im Gespräch. Es war nicht so, dass der Kontakt zwischen Eltern und Sohn abgerissen war. Er kam immer wieder nach Hause, sie haben sich ausgetauscht. Sie haben versucht, ihn davon abzuhalten. Aber es ist ihnen nicht möglich gewesen. Und es sind nicht Eltern aus einem Milieu, wo man sagen würde, kein Wunder, dass dieser Sohn mit ihnen nicht reden konnte. Keine NS-Vergangenheit, keine Eltern, die gewalttätig, autoritär waren. Nein, es ist das liberale Bildungsbürgertum."
Thimme saß nach dem Buback-Attentat in Haft, obwohl ihm keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden konnte, aber ihm wurde Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Ein Brief aus der Haft an den Vater gehört zu den eindrucksvollen Dokumenten dieser Ausstellung, bei denen man sich Zeit nehmen muss, um sie zu lesen und richtig zu erfassen.
Vielzahl aufschlussreicher Dokumente
Vielleicht ist das das größte Problem der Ausstellung: Sie enthält eine Vielzahl außerordentlich aufschlussreicher Dokumente – auf Papier, im Ton, im Bild. Dokumente, die versuchen, über die bloße Anklage der Gewalt hinaus die politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sichtbar zu machen. Aber man braucht Zeit, sie zu lesen, zu hören und zu erfassen. Zum Beispiel eine Rechtfertigungsschrift für den versuchten Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus in West-Berlin 1969 – ein Dokument brutalsten linken Antisemitismus.
Oder ein Tondokument – Ulrike Meinhof beim Prozess in Stuttgart-Stammheim:
"Wie kann ein isolierter Gefangener den Justizbehörden zu erkennen geben, angenommen, dass er es wollte, dass er sein Verhalten geändert hat? Wie kann er in einer Situation, in der jede Lebensäußerung unterbunden ist – ihm bleibt, dem Gefangenen in der Isolation, bleibt, um zu signalisieren, dass sich sein Verhalten geändert hat."
Es war der Augenblick, in dem Ulrike Meinhof mutmaßlich zu erkennen gab, dass sie aus dem Terrorismus herauskommen wollte – aber im Klima der Konfrontation wurden die Zwischentöne überhört.
Es hat lange gedauert, bis jene Gesprächsbrücken geschlagen wurden, die schließlich zur Auflösung der RAF 1998 beigetragen haben. Auch das vermittelt diese Ausstellung: Die Spirale der Gewalt zu durchbrechen war so viel schwerer, als sie in Gang zu bringen.

Die Ausstellung "RAF – Terroristische Gewalt" ist bis zum 8. März 2015 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.

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