Der Ankläger und der Anwalt
Ankläger und Verteidiger der Roten Armee Fraktion standen sich ab 1975 im Stammheim-Prozess gegenüber. Zwei von ihnen diskutierten jetzt ihre damalige Rolle: Klaus Pflieger, ehemaliger Bundesanwalt, und Hans-Christian Ströbele, ehemaliger RAF-Anwalt.
Wer war schuld am Tod von Holger Meins? Der RAF-Terrorist befand sich im Hungerstreik, um seine Zusammenlegung mit den in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen Baader, Meinhoff, Raspe und Ensslin zu erzwingen. Der Staat blieb hart, Meins starb am 9. November 1974 in der Haftanstalt Wittlich.
Für den früheren RAF-Verteidiger Hans-Christian Ströbele eindeutig die Schuld einer inhumanen Justiz. Er selber war noch zwei Tage vor seinem Tod bei Meins und hatte versucht, den zuständigen Haftrichter Theodor Prinzing zum Einlenken zu bewegten.
Ströbele: "Herr Prinzing hat nichts gemacht. Wenn er einen Tag, nach dem ich ihn besucht hatte, im Hubschrauber nach Stammheim gebracht worden wäre und da dann ernährt worden wäre, wäre er vermutlich nicht gestorben. So sieht die Wahrheit aus. Ich war dabei!"
Tote für die Propaganda
Dabei war auch Klaus Pflieger, aber auf der anderen Seite, der Seite der Staatsanwaltschaft. Ab 1975 arbeitete er als Haftrichter in Stammheim, war später auf Seiten der Anklage bei vielen RAF-Prozessen dabei. Holger Meins sei gestorben, weil die Terroristen einen Toten für ihre Propagandazwecke gebraucht hätten.
Pflieger: "Das letzte Zitat von Baader war in diesem Zusammenhang , in diesem Jahr werden wir den Hungerstreik nicht abbrechen, es werden Typen dabei draufgehen. Als Befehl an die Gruppe. Und Meins hat sich dran gehalten."
Später, so Pflieger, hätten die Anwälte über die Medien erfolgreich an der Legende gestrickt, die Stammheimer Häftlinge würden gefoltert. Aus Empörung über die Haftbedingungen hatten sich Dutzende junger Linker der RAF angeschlossen und die Zahl der Sympathisanten war in die Tausende gegangen.
Pflieger: "Das ist das, was ich letztlich auch den Anwälten vorwerfe, dass die dazu beigetragen haben, dass junge Leute in diesen Sumpf der RAF geraten sind."
Kampf mit allen Mitteln
Erstmals saßen heute im Deutschen Historischen Museum ein Ankläger und ein Verteidiger der RAF nebeneinander auf einem Podium und sprachen über ihre Rollen von damals.
Kaum ein Kapitel hat die Geschichte der Bundesrepublik stärker geprägt und traumatisiert als die Terroranschläge der RAF. Und ab 1975 standen sich mit dem Stammheim-Prozess im Gerichtssaal auch die Juristen gegenüber – auf der einen Seite die linken Verteidiger, die mit den RAF-Leuten sympathisierten und, wie im Fall von Klaus Croissant, auch nicht davor zurückschreckten, Waffen ins Gefängnis zu schmuggeln.
Auf der anderen Seite die Staatsanwaltschaft, Vertreter eines unversöhnlichen, autoritären Staates, der im Umgang mit der RAF bis an die Grenzen des Rechtsstaates ging. Und manchmal auch darüber hinaus.
So ließ der Verfassungsschutz mit Billigung des Kanzleramtes Gespräche zwischen Verteidigern und Mandanten abhören. Innerhalb von vier Jahren wurden sechs Gesetze erlassen, die allesamt das Ziel hatten, die Rechte von Verteidigern und Angeklagten einzuschränken. Darunter auch die Möglichkeit, Strafverteidiger vom Prozess auszuschließen und gegen Angeklagte auch in Abwesenheit zu verhandeln.
Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit?
Für Pflieger eine Notmaßnahme der Justiz gegen Angeklagte, die den Prozess durch ständige Hungerstreiks blockierten. Für Ströbele ein grober Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit.
Ströbele: "Man muss sich das mal vorstellen: Da haben die das ins Gesetz geschrieben, man kann das machen, während vorher jahrzehntelang NS-Verbrecher nicht der Prozess gemacht werden konnte, weil die krank waren. Weil: In Abwesenheit geht das nicht. Und da wurde das eingeführt und diese Gesetze gelten auch heute noch."
Die umstrittenste Maßnahme war das Kontaktsperregesetz: Monatelange Isolationshaft, die psychisch und physisch krank machte – erst in Stammheim wurde diese für die RAF-Mitglieder aufgehoben.
Viele der damaligen ad-hoc-Gesetze sieht auch Pflieger heute kritisch, darunter die Haftbedingungen und der aggressive Umgang mit den Anwälten und vor Gericht.
"Wackelphase des Rechtsstaats"
Hat der Rechtsstaat sich in dieser tiefen Krise dennoch bewährt, ist er gar gestärkt daraus hervorgegangen? Nein, sagt Ströbele, denn viele der Gesetze seien bis heute in Kraft.
Pflieger dagegen ist überzeugt: Nach den alten Regeln wäre der Stammheim-Prozess nicht durchführbar gewesen. Er spricht von einer Wackelphase des Rechtsstaats, die überwunden wurde und nicht, wie in den USA nach 9/11, dazu führte, dass man den Feind wie in Guantanamo rechtlos gestellt habe.
Pflieger: "Das ist meine Hoffnung, dass wir auch lernen trotz aller Aufregungen wie beim Breitscheid-Anschlag mit vielen Toten - dass wir lernen souverän damit umzugehen, traurig zu sein, aber nicht überzureagieren."