RAF-Zeit ist eine Altlast der Republik

Wolfgang Kraushaar im Gespräch mit |
Die RAF-Zeit beschäftige uns auch immer noch so stark, da der Mordfall um Siegfried Buback nie aufgeklärt wurde, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar. Dies habe auch der wohl letzte große RAF-Prozess um Verena Becker schmerzlich gezeigt.
Andre Zantow: Die RAF und die Winfried Sträter über den anonymen Text, der 1977 für Aufregung gesorgt hat. Diese Zeit bietet bis heute Stoff für unzählige Filme, Bücher und Diskussionen und ein Chronist der Jahre ist Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler, inzwischen am Hamburger Institut für Sozialforschung. Schönen guten Tag, Herr Kraushaar!

Wolfgang Kraushaar: Schönen guten Tag, Herr Zastrow.

Zantow: 35 Jahre nach dem Buback-Attentat: Warum beschäftigt uns diese Zeit immer noch so stark?

Kraushaar: Weil ich glaube, dass wir es immer noch zu tun haben, mit den Altlasten der Republik. Schließlich ging es ja um jemanden wie den höchsten Staatsanwalt der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Fall ist ja nie aufgeklärt worden. Auch wie man schmerzlicherweise bei diesem Prozess erfahren hat müssen. Und es ist seitdem eine merkwürdige Stimmung, die sich aktiviert hat im Raume, im Jahre 2007 nämlich, 30 Jahre Deutscher Herbst, sollte da gedacht werden. Und man hat damals zum ersten Mal Zeugenaussagen gehört, von Peter-Jürgen Boock, zum Beispiel, der ein ehemaliges RAF-Mitglied beschuldigt hat, dass er derjenige sei, der Buback erschossen habe. Dann kam immer mehr ins Zentrum dieser Verdächtigungen Verena Becker und seitdem hat das ein erhebliches Gewicht, selbst über einen so langen Zeitraum hinweg.

Zantow: Wir haben eben in dem Beitrag eben über die Stimmung in der BRD Ende der 70er-Jahre gehört. Wann war denn der Moment, in dem die Sympathie für die RAF endete? Also, war es der Buback-Mord?

Kraushaar: Nein, definitiv nicht. Ich glaube, dass die große Zäsur der sogenannte Deutsche Herbst war, das hießt die Zeit, in der Hanns Martin Schleyer im September 1977 entführt und später dann umgebracht worden ist. Aber da spielte sich ja auch ab die Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu und zu dieser Zeitspanne gehört ebenfalls der Dreifachselbstmord in Stammheim von Andreas Baader, Gudrun Enslin, Jan-Carl Raspe und damit sozusagen der Führungsfiguren der damaligen RAF. Das hat zu einer erheblichen Ernüchterung geführt. Dennoch waren die Sympathien mit Gewalt nicht restlich oder restlos vertrieben. Das dauerte noch eine Weile, aber damit war im Grund genommen der Höhepunkt überschritten.

Zantow: Sie haben eben gerade die Ereignisse des Deutschen Herbstes angesprochen. So ein offener, bewaffneter Kampf gegen Bundesinstitutionen, das wäre ja heute gar nicht mehr möglich, würde man sich zumindest kaum vorstellen können. Was war denn damals anders als heute?

Kraushaar: Ich glaube, dass man diese Zeit nicht verstehen kann, ohne die Vorstellung von einem systematischen Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen. Und insofern galten diejenigen, die diese verkörpert haben, wie zum Beispiel Siegfried Buback, als potenzielle Feindfiguren. Und das insbesondere, wenn es darum ging, sich zu solidarisieren mit RAF-Häftlingen, die dann ja mittlerweile im Gefängnis saßen, als unschuldig erschienen und dann Hungerstreiks durchführten. Und ich glaube, ein sehr wichtiger Punkt war der Tod von Holger Meins im November 1974 als Hungerstreikendem. Das hat erheblich dazu beigetragen, dass diese Stimmung sich immer mehr aufgebaut hat und insofern auch zu solchen Dingen hat führen können wie dieser klammheimlichen Freude, von der ja eben im Beitrag die Rede war.

Zantow: Sie haben das Misstrauen gegenüber dem Staat angesprochen. Stammt aus dieser Zeit auch das offene linke Auge und das wohl geschlossene rechte Auge in Bezug auf Terrorismus in Deutschland?

Kraushaar: Sie spielen damit ja naheliegenderweise einerseits auf den RAF-Terrorismus und andererseits auf den NSU-Terrorismus an. Ich glaube man sollte nicht unterschätzen, dass dazwischen ja Jahrzehnte liegen. Insofern wäre ich damit etwas vorsichtig. Man hat damals natürlich auch gesehen, dass es einen Rechtsterrorismus bereits gab. Man kann eigentlich im Nachhinein soweit gehen und sagen, dass jemand wie Rudi Dutschke ja Opfer eines Attentats, das von einem Rechtsradikalen verübt wurde war, gewesen ist. Das spielte damals auch bereits eine nicht unerhebliche Rolle. Ich würde nicht so weit gehen, dass es eine so klare Unterscheidung zwischen Blindheit und Sehenwollen gegeben hätten. Das glaube ich nicht. Dies glaube ich noch nicht mal im Hinblick auf die neueren Zusammenhänge was die NSU anbetrifft. Denn eines darf man natürlich dabei nicht verkennen: Es hat was die NSU anbetrifft keine Bekennerschreiben gegeben. Die haben sich ja ideologisch nicht bekannt, nicht an die Öffentlichkeit gewandt. Die haben so etwas wie eine Art von Propaganda durch die Tat, durch reine Mordpraxis betrieben. Das unterschied sich doch sehr dem, was die RAF gemacht hat.

Zantow: Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung. Vielen Dank, Herr Kraushaar.

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