Rafael Seligmann: "Deutsch Meschugge"

"Die Wirklichkeit ist immer radikaler als die Fantasie"

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Rafael Seligmanns "Deutsch Meschugge" kolportiert den Politikbetrieb. © Foto: iStock/ Thomas Saupe / Buchcover: Transit-Verlag
Rafael Seligmann im Gespräch mit Florian Felix Weyh |
Zwischen Satire und Politkrimi angesiedelt ist Rafael Seligmanns neuer Roman "Deutsch Meschugge": Er erzählt die Geschichte des jüdischen Filous Paul Levite, der eigentlich nur einen Job sucht und es bis zum Kanzler einer rechtspopulistischen Regierung bringt.
Florian Felix Weyh: Im Studio von Deutschlandfunk Kultur hat nun ein Politologe platzgenommen, den man eher als Romancier kennt: Rafael Seligmann nämlich. Guten Morgen, Herr Seligmann!
Rafael Seligmann: Guten Morgen, Herr Weyh!
Weyh: Als Romancier, nicht als Politologe ist er mit der seltenen Fähigkeit begabt, in die Zukunft sehen zu können. Am 15. September 2019 gewinnt in einer vorgezogenen Bundestagswahl die deutsche nationale Mehrheitspartei DNMP 27 Prozent der Stimmen und kann damit die Dauerkanzlerin Angela Merkel, nein, Hedwig Kleinert, endlich in Rente schicken. Allerdings ist das nicht ganz so einfach mit 27 Prozent, da braucht es Geschick, um eine unwahrscheinliche politische Zweckehe zu stiften: Die große Stunde des Paul Levite, eines jüdischen Filous, der sich mit Hilfe der Nationalpopulisten und der Kommunisten zum Kanzler wählen lässt. Vor Trump hätte man gesagt, schöne Kolportagen, Reißereien, eine Erfindung, was diese Autoren sich so alles ausdenken. Seit Trump kommt man bei solch einem Text "Deutsch meschugge" ins Grübeln, ob das noch Satire oder schon eine Blaupause zur Machtergreifung ist.
Seligmann: Ja, das steckt in jedem Menschen oder in jedem Volk, und wenn man sieht, wir haben jetzt gerade gefeiert: Macron ist französischer Präsident. Die unterlegene Kandidatin Marine Le Pen hat 34 Prozent, nicht 27 Prozent. Würde man die Kommunisten dazuzählen oder die Linksradikalen, dann wäre man über 50 Prozent. Also es ist nicht nur in den USA, auch die braven Skandinavier spielen mit niederträchtigen Gedanken. Es ist menschlich.

"Grundsätzlich kommen Extremisten gut miteinander zurecht"

Weyh: Sie haben ja ein tolles Konstrukt gewählt für Ihren Roman, nämlich das Konstrukt, dass die beiden radikalen Flügel, die Rechtsradikalen und die Linksradikalen, geeint werden von einem Juden. Wie kommt das?
Seligmann: Grundsätzlich kommen Extremisten gut miteinander zurecht. Das hat man ja im Hitler-Stalin-Pakt gesehen, und einen Juden habe ich genommen, weil ich selbst Jude bin, und natürlich können Juden genauso gut oder so schlecht sein wie alle anderen. Wir haben uns in Deutschland nach der Shoah angewöhnt, wir wollen in jedem Juden etwas Besonderes sehen, zumindest einen Gerechten, wenn nicht einen Heiligen. Außer in Israel, da können sie alle Teufel sein, aber die guten Juden, die sind entweder tot oder sie leben bei uns und laufen dauernd herum und versöhnen. Ich habe einen ganz normalen Juden genommen, den Paul Levite, der blutet, wenn man ihn sticht und hasst, wenn man ihn quält, und das hat ein Nichtjude sehr gut beschrieben, nämlich William Shakespeare.
Der Politikwissenschaftler und Schriftsteller Rafael Seligmann im Studio von Deutschlandfunk Kultur.
Der Politikwissenschaftler und Schriftsteller Rafael Seligmann im Studio von Deutschlandfunk Kultur.© Deutschlandradio / Florian Felix Weyh
Weyh: Dieser Paul Levite will eigentlich nur Karriere machen, oder? Das ist jemand mit einer verkrachten Berufslaufbahn hinter sich als Vertreter und so weiter, kann toll reden, das ist sein Asset, mit dem er da wirklich wuchern kann in der Politik. Er will Karriere machen.
Seligmann: Er will zumindest eine gesicherte Existenz leben, und der Vorschlag, als er den Vorschlag bekommt, einer rechtsradikalen oder populistischen oder faschistischen Partei beizutreten, der bedeutet für ihn – und das möchte er da rausschinden – vier Jahre Sicherheit als Bundestagsabgeordneter. Mehr möchte er zunächst …
Weyh: Nicht mehr, das ist das einzige Motiv.
Seligmann: Das ist zunächst das Motiv, und dann, wenn man die Macht trinkt, wird man besoffen und greift nach immer mehr.

"Alle Politiker suchen Macht"

Weyh: Sie haben es ja schon ein bisschen vorweggenommen, indem sie gesagt haben, ich habe einen Juden gewählt, weil ich selber ein Jude bin. Wie viel Rafael Seligmann steckt denn in der Figur?
Seligmann: Man kann nur über etwas schreiben, das man selbst kennt. Also wenn man anfängt, abstrakt über irgendetwas zu schreiben … Schreiben Sie doch mal über einen weiblichen Orgasmus. Das könnten Sie gar nicht beschreiben. Also ich kann nur einen Menschen beschreiben, den ich mir ungefähr in Projektionen vorstellen kann, und ich habe ihn beschrieben: Äußerlich sieht er ganz anders aus, groß und kräftig, ich bin klein und schmächtig, aber dieser Mensch hat etwas Verkommenes an sich. Das habe ich auch, das hat jeder Mensch. Also ich zumindest.
Weyh: Das ist interessant, dass Sie das sagen, weil ich war in einem ganz anderen Konflikt als Leser. Das Verkommene liegt sozusagen in dem Metier, in dem er sich bewegt und welche Opportunitäten er da ergreift, aber er ist doch so sympathisch, dass man eigentlich immer will – und das ist das Perfide an Ihrem Text –, dass er Erfolg hat. Man will, dass er Erfolg hat mit seinem Putsch, mit seiner Machtergreifung, und fasst sich dann irgendwann selbst so ans Revers und denkt, meine Güte, ich meine, ich kann doch nicht wollen, dass er die Länder abschafft, eine Alleinherrschaft eingeht. Das haben Sie aber extra so geschrieben.
Seligmann: Ja, wieder jeder Mensch hat man liebenswerte Züge und hat eben auch verkommene Züge, und was zum Tragen kommt, liegt, früher sagte man: in der göttlichen Verantwortung, aber natürlich auch in unserer eigenen Verantwortung. Einerseits bin ich ein Mensch mit einem weichen Herzen, der nicht an einen Schnorrer vorbeigehen kann, ohne ihm Geld zu zahlen. Andererseits habe ich zumindest Machtprojektionen, und als Politologe, man guckt immer zu. Einerseits bin ich froh, dass ich in dieser Versuchung, in dieser Situation nicht bin, andererseits überlegt man sich, was könntest du da machen, und ich habe eben feststellen müssen, dass jeder Politiker immer mehr Macht sucht – natürlich zum Guten der Bevölkerung, aber Macht sucht er oder sie.

Politischer Journalist seit 30 Jahren

Weyh: Deutschlandfunk Kultur, noch immer im Studio Rafael Seligmann mit seinem Roman "Deutsch meschugge". Wir haben gerade eben über die Verführung der Macht und die Figur geredet, aber was wirklich auffällt in dem Roman, ist die wirklich profunde Kenntnis des Politikbetriebs, die da drinsteckt, also ich lerne extrem genau, wie Schachern funktioniert, politisches Schachern.
Seligmann: Ja, ich habe politische Wissenschaften studiert, ich habe es einige Jahre auch gelehrt in München. Als politischer Journalist bin ich seit 30 Jahren tätig. Das heißt, ich beobachte die politische Landschaft. Ich gebe seit sechs Jahren eine Zeitung heraus, "Jewish Voice From Germany".
Weyh: Aber sind die Politiker, die Sie da all die Jahre beobachtet haben, wirklich so gewissenlos und so egozentrisch fixiert auf ihren eigenen Vorteil? Es geht nie um Inhalte in Ihrem Buch, es geht immer um Positionen.
Seligmann: Politiker brauchen Macht, um etwas tun zu können. Das ist ganz normal, und wir haben vor Kurzem Heiko Maas interviewt, habe ich ihn gefragt, streben Sie Macht an, und als einer der ganz wenigen sagte er, ja, weil ohne Macht kann man nichts durchsetzen. Der eine mehr, der andere weniger, genießt immer mehr die Macht. Man kommt mit sachlichen Argumenten, und dann geht es darum, die Macht zunächst zu erringen, um Gutes zu tun, ja, dann fließt das Gute so ein bisschen ab, und es geht vor allem darum, Macht zu erhalten. Das geschieht am besten, in dem man sie immer weiter ausdehnt.
Weyh: Nun gibt es ja einige Figuren, die kann man sozusagen eins zu eins übersetzen, also Nadja Hauser, Sahra Wagenknecht. Ludwig Hufnagel erinnert uns an Anton Hofreiter. Übrigens, die Grünen, die bei Ihnen die Bunten heißen, kippen am schnellsten um. Wir haben eine Sendung, in der es um SPD-Bücher ging. Die SPD taucht bei Ihnen sozusagen gar nicht auf als anfällig. Ist das so eine kleine Referenz an die Geschichte der Sozialdemokraten?
Seligmann: Ja, es ist eine Referenz an die Geschichte der SPD, teilweise an die Gegenwart. Allein die Rede von Otto Wels 1933 im Angesicht der bereits okkupierten Macht der Nazis, sich der Macht und Hitler und der Verkommenheit entgegenzustellen mit dem Ausspruch, die Freiheit kann man uns nehmen, die Ehre nicht – das war die größte Stunde des deutschen Parlaments bis heute. Diese Partei hat immer mit sich gerungen – ich bin kein Sozialdemokrat, aber ich muss es als Historiker und Politologe anerkennen –, diese Partei hat immer mit sich gerungen zwischen Ethik und Macht. Ja, das sollte man auch durchaus anerkennen.

"Unerfahrener Lausbub" Sebastian Kurz

Weyh: Alle anderen Parteien in Ihrem Roman, also diese Populisten, die hochkommen als neue rechte Kraft, die vereinigen sich dann mühelos sehr schnell mit den abgewählten Christdemokraten, die bei Ihnen auch anders heißen. Da ist auch wieder der Machtinstinkt, der ist ganz klar.
Seligmann: Ja, also wenn man sich zum Beispiel ansieht, was in Frankreich, was in Österreich geschieht, da sind die Volksparteien ja schon abgetreten. Bei den französischen Präsidentschaftswahlen, wenn Macron nicht aufgetreten wäre, befürchte ich, dass Frau Le Pen an der Macht gewesen wäre. In Österreich kommt ein 30-jähriger – wenn ich darf, würde ich ihn gerne Rotzlöffel nennen –, der Außenminister Herr Kurz, der eine ganze Partei, eine konservative Partei, die Österreichische Volkspartei … der okkupiert die Partei, benennt sie nach sich um. Das hat nicht einmal Stalin gewagt, nicht einmal Kim Jong-un. Und das wird ernst genommen, dieser Mann wird ernst genommen. Er ist kein politischer Radikaler, aber ein unerfahrener Lausbub.
Weyh: Aber so wie Sie das jetzt andocken an die Wirklichkeit, muss man ja doch fast sagen, das, was Sie so grell, kolportagenhaft übertrieben haben, ist so nah an der Wirklichkeit. Das macht uns fast Angst.
Seligmann: Die Wirklichkeit ist immer radikaler als das, was die menschliche Fantasie sich ausdenken kann.
Weyh: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank, Rafael Seligmann! Wir sprachen über "Deutsch meschugge", erschienen im Transit Verlag. 288 Seiten, 24 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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