Rafiq al-Hariri

Der Kennedy-Mord der arabischen Welt

Der frühere libanesische Regierungschef Rafik al-Hariri. Archivbild von 1998.
Der frühere libanesische Regierungschef Rafik al-Hariri - er wurde am 14.2.1995 bei einem Attentat in Beirut ermordet © imago/CHROMORANGE
Moderation: Ute Welty  · 14.02.2015
Die Hintergründe des Attentats auf den libanesischen Regierungschef Hariri vor zehn Jahren sind immer noch ungeklärt. Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith", berichtet von einer "bemerkenswerten Verschwörungstheorie".
Heute vor zehn Jahren wurden der damalige libanesische Regierungschef Rafiq al-Hariri und weitere 22 Menschen bei einem Bombenanschlag in Beirut getötet. Die bis heute nicht ganz aufgeklärte Tat hatte gravierende politische Auswirkungen. Im Libanon protestierten Hunderttausende gegen den Einfluss des Nachbarlands Syrien: Mit der sogenannten "Zedernrevolution" wurde die prosyrische Regierung gestürzt.
Das Hariri-Attentat sei für die Psyche der arabischen Welt mit der Ermordung John F. Kennedys in der westlichen Hemisphäre vergleichbar, sagte Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith" im Deutschlandradio Kultur. Nach dem Attentat hätten sich die Machtverhältnisse in dieser Region entscheidend verschoben:
"Mit der Ermordung Hariris hat Saudi-Arabien einen wichtigen Gewährsmann verloren, einen Machtfaktor. Zu diesem Zeitpunkt hat Saudi-Arabien angefangen, auch nach Alternativen zu suchen, wie man den syrischen und auch den iranischen Einfluss im Libanon zurückdrängen kann."
Gerlach verwies auf eine "bemerkenswerte Verschwörungstheorie" zu den Hintergründen des Attentats, die vor allem in Syrien kursiere:
"Sie besagt, dass nicht etwa das syrische Regime hinter dem Attentat auf Hariri steckt, sondern der saudische Geheimdienstchef und ehemalige saudische Botschafter in Washington, Bandar ibn Sultan. Der Mordfall Hariri ist ein Gegenstand geworden, in dem letztendlich alle Verschwörungstheorien, die diese Region beschäftigen, aufgefangen werden."
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Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Bombe hatte die Sprengkraft von 1.000 Kilogramm TNT. Die Detonation war im gesamten Stadtgebiet Beiruts zu spüren, und Bombe wie Detonation beendeten das Leben von Mr. Libanon. Heute vor zehn Jahren starben der ehemalige libanesische Regierungschef Rafiq al-Hariri und 22 weitere Menschen. Hariri gehörte zu den Politikern, die sich gegen den syrischen Einfluss im Libanon gewehrt haben. Nach seinem Tod protestierten Hunderttausende dagegen, und sie hatten mit ihrer Zedernrevolution durchaus Erfolg. Die pro-syrische Regierung wurde gestürzt. Der libanesische Politologe Sami Ofeish hat die Zedernrevolution von 2005 historisch so eingeordnet:
Sami Ofeish: Die Vergleiche zum Fall der Berliner Mauer oder den Ereignissen in der Ukraine oder Georgien sind durchaus angebracht. Die junge Generation, die heute auf dem Platz der Märtyrer demonstriert, ist eigentlich eine Generation, die resigniert hatte. Und was nun passiert ist, dass ein großer Teil dieser Generation sich plötzlich politisch engagiert, das ist eine ganz wichtige Veränderung, die Folgen haben wird.
Welty: Und über die Folgen der Zedernrevolution gibt es also einiges zu reden, und das tue ich jetzt zusammen mit Daniel Gerlach, dem Chefredakteur des Orientmagazins "Zenith". Guten Morgen!
Daniel Gerlach: Guten Morgen!
Welty: War die Zedernrevolution also so etwas wie der zeitlich versetzte Beginn des Arabischen Frühlings? Würden Sie das so beschreiben wollen?
Gerlach: Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist hier zu erwähnen: Die Zedernrevolution hat die Bevölkerung mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass man absolute Macht, auch militärische Macht, besiegen kann. Und dass man gegen diese absolute Macht und gegen diese düsteren Geheimdienststrukturen in irgendeiner Form etwas unternehmen kann. Gleichwohl würde ich sagen, eine direkte Parallele oder einen direkten Zusammenhang zwischen dem, was 2005 im Libanon passiert ist, und dem, was 2011 dann in Tunesien los ging, besteht meiner Meinung nach nicht -
Welty: Warum nicht?
Gerlach: – denn die Ursachen sind sehr andere. Auch die Kräfte, die dahinter standen, sind sehr andere, und insofern kommt zwar der Begriff des Arabischen Frühlings aus dem Libanon, er ist aber da, denke ich, in einem anderen Kontext entstanden. Es gibt vielleicht eine Parallele, die den meisten Menschen nicht so offensichtlich ist, und das ist die Tatsache, dass die Zedernrevolution zwar ein Regime vertrieben hat beziehungsweise ein Besatzungsregime vertrieben hat, aber nicht die düsteren Geheimdienststrukturen, die dieses Land weiterhin kontrolliert haben in der Zeit danach. Das konnte man zum Beispiel in Ägypten nach 2011 auch beobachten.
Welty: Eine andere Parallele drängt sich auch noch auf, denn im Libanon wurde 2005 - Sie haben es gerade gesagt - die pro-syrische Regierung gestürzt, aber seitdem verharrt das Land ja mehr oder weniger im politischen Stillstand. Und auch in Ägypten und in Libyen kommt man ja nicht so recht voran. Woran liegt es, dass offensichtlich die Kraft reicht, um die Regierung zu stürzen oder zum Rücktritt zu zwingen, aber dann die Kraft eben nicht mehr reicht, um die Verhältnisse tatsächlich ins Bessere zu bewegen?
Gerlach: Nun, das ist eigentlich nicht verwunderlich. Etwas zu demontieren, etwas zu zerstören, ist ja immer leichter, als etwas aufzubauen. Es ist vielleicht eine optische Täuschung, wenn man die Bewegungen des Arabischen Frühlings, von Tunesien angefangen, bis nach Syrien, als ein einziges Phänomen begreift. Denn der Impuls mag zwar von Tunesien ausgegangen sein, aber wir haben es hier mit zum Teil echten und zum Teil nur scheinbaren Revolutionen zu tun. Meiner Ansicht nach ist eigentlich das, was in Libyen passiert ist, die einzige echte Revolution in dem Sinne, dass man einen Staat oder beziehungsweise die herrschende Klasse und die herrschenden Institutionen wirklich komplett zerstört hat und versucht, sie zu ersetzen. Und wir sehen, dass das nicht geglückt ist. In Tunesien hat der Staat weiter existiert nach der Revolution. Das heißt, man hat zwar den Präsidenten abgesetzt und man hat grundlegende Reformen erreicht, aber die Institutionen dieses Staates haben weiter funktioniert. Syrien ist ein ganz anderer Fall, der Libanon 2005 letztendlich auch, denn da ging es ja nicht darum, einen neuen Staat zu entwerfen oder das herrschende System aufzulösen, sondern da ging es darum, eine fremde Besatzungsmacht zu vertreiben, und das ist deshalb meiner Meinung nach auch nicht vergleichbar.
Welty: Ich habe es eben beschrieben, Hariri hatte sich vor seiner Ermordung gegen den immensen syrischen Einfluss auf die libanesische Politik gewehrt, und so galt der syrische Geheimdienst sehr schnell als Drahtzieher hinter dem Bombenanschlag, was allerdings nie bewiesen werden konnte. Welche Folgen hatte das für Syrien?
Gerlach: Die Syrer mussten sich 2005 mit zwei neuen Grundbedingungen abfinden. Das eine: Syrien hing wirtschaftlich vom Libanon ab. Es gab etliche, einige Hunderttausend syrische Gastarbeiter, die im Libanon ihr Brot verdient haben. Und als die Truppen abgezogen sind, ist letztendlich auch ein großer Teil der syrischen Gastarbeiter aus dem Land verwiesen worden, was dazu führte, dass in vielen Teilen des Landes die Menschen keine Einkünfte mehr hatten. Das hat zur Verarmung Syriens beigetragen, zumindest, was die unteren Klassen anbelangt. Und ein weiterer Punkt ist interessant: Die Geheimdienste sind im Libanon immer aktiv geblieben. Sie haben bloß jetzt andere Voraussetzungen gefunden und mussten mit lokalen Verbündeten Arrangements finden, um Geld in erheblicher Summe zu waschen, um weiter am Schmuggel und an illegalen Zöllen zu verdienen. Und da hat das syrische Regime meinem Eindruck nach einen Verbündeten gefunden, der dann auch immer mächtiger wurde, nämlich die Hisbollah. Und die Hisbollah, die heute eine der stärksten politischen und militärischen Kräfte im Libanon ist, ist seitdem ein viel engerer Verbündeter des Assad-Regimes als vorher. Und mein Eindruck ist, dass man durchaus davon sprechen kann, dass die Hisbollah eine Stellvertreterschaft des syrischen Regimes im Libanon übernommen hat.
Welty: Und die Position Assads auch bis heute stärkt.
Gerlach: Bis heute stärkt – sogar mehr noch als das: Die Hisbollah ist heute eine Art militärische Besatzungsmacht. Sie ist nämlich der einzige externe Player, der mit Truppen ganz erklärt und offiziell auf dem Terrain Syriens aktiv ist und dort Krieg führt. Das heißt, die Verbindungen zwischen dem syrischen Regime und der Hisbollah, sind - nicht nur nach meiner Einschätzung, sondern nach der von vielen Experten und auch Strafverfolgungsbehörden - sehr, sehr wichtig für die Aufklärung des Hariri-Attentats.
Welty: Lassen Sie uns noch mal ein bisschen auf das Machtgefüge gucken von damals und auf das Machtgefüge von heute. Es gab ja eher ein Gleichgewicht zwischen Syrien und Saudi-Arabien vor der Ermordung Hariris, das sich danach verändert hat. Wie würden Sie das dann beschreiben in der Entwicklung bis heute?
Gerlach: Rafiq Hariri galt lange Zeit als der Mann Saudi-Arabiens im Libanon. Er hat sein Vermögen in Saudi-Arabien verdient, er war sogar saudischer Staatsbürger. Was er genau in Saudi-Arabien alles getan hat, weiß man gar nicht genau. Da ranken sich Legenden, Geschichten und auch Verschwörungstheorien um diese Person.
Welty: Durchaus auch eine schillernde Figur.
Gerlach: Eine sehr schillernde Figur. Eine sympathische Figur, eine charismatische Figur, aber eben ein Geschäftsmann, der mit allen Wassern gewaschen war. Und die saudische Beziehung Hariris war wohl sehr wichtig. Saudi-Arabien war aber nicht sein einziger Förderer und auch nicht sein einziger Partner. Hariri galt auch lange Zeit, und das wird heute auch öfter mal unter den Tisch gekehrt, als ein treuer Gewährsmann des syrischen Regimes, obwohl er das nie erklärt war, aber die Beziehungen zwischen dem alten syrischen Regime waren eigentlich nicht die schlechtesten. Die haben sich dann im Laufe der Jahre sehr, sehr verschlechtert. Und man hat durchaus den Eindruck gewinnen können, dass Hariri auch sein Selbstbewusstsein daher genommen hat, dass die Amerikaner, aber auch vor allem Frankreich, sich sehr für die Sache der libanesischen Unabhängigkeit und für einen Rauswurf der Syrer aus dem Libanon eingesetzt hat. Und nur mit diesen Unterstützern im Rücken konnte diese Bewegung überhaupt entstehen.
Welty: Noch mal die Frage: Inwieweit hat sich das Machtverhältnis zwischen Saudi-Arabien und Syrien verändert?
Gerlach: Mit der Ermordung Hariris hat Saudi-Arabien einen wichtigen Gewährsmann verloren, einen Machtfaktor. Ich glaube, an diesem Zeitpunkt hat Saudi-Arabien angefangen, auch nach Alternativen zu suchen, wie man den syrischen Einfluss und auch den iranischen Einfluss im Libanon zurückdrängen kann. Es gibt eine bemerkenswerte Verschwörungstheorie, die vor allem in Syrien kursiert natürlich. Sie besagt, dass nicht etwa das syrische Regime hinter dem Attentat auf Hariri steckt, sondern der saudische Geheimdienstchef und ehemalige saudische Botschafter in Washington, Bandar ibn Sultan.
Was auch immer da dran sein mag: Interessant ist, dass man tatsächlich versucht hat, sich diesen Mordfall Hariri gegenseitig in die Schuhe zu schieben. Und dass er ein Gegenstand geworden ist, in dem letztendlich alle Verschwörungstheorien, die diese Region beschäftigen, in irgendeiner Form aufgefangen hat. Man kann fast sagen, dass Hariri-Attentat war für die Psyche der arabischen Welt etwas Ähnliches wie der Mord an John F. Kennedy für die westliche Hemisphäre.
Welty: Zehn Jahre nach dem Attentat auf den ehemaligen libanesischen Regierungschef Rafiq al-Hariri. Eine Zustandsbeschreibung der Region von und mit Daniel Gerlach, dem Chefredakteur des Orientmagazins "Zenith". Ich danke sehr dafür und für den Besuch in "Studio 9"!
Gerlach: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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