Rahmenkonzept Erinnerungskultur
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat bei der erinnerungspolitischen Arbeit neue Themenfelder im Blick.
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Worum geht es im Streit um die Reformpläne von Claudia Roth?
Kulturstaatsministerin Claudia Roth will die erinnerungspolitische Arbeit in Deutschland neu organisieren. Doch ein Rahmenkonzept dafür stößt auf erheblichen Widerstand bei den Gedenkstätten.
Die erinnerungspolitische Arbeit der Bundesregierung soll neu aufgestellt werden – das haben die Ampelparteien im Koalitionsvertrag festgelegt. Anfang Februar war für kurze Zeit ein Entwurf für ein neues „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ auf der Homepage von Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu finden. Inzwischen ist der Entwurf dort nicht mehr verfügbar, liegt Deutschlandfunk Kultur aber vor. Wir erklären, was geplant ist – und warum Gedenkstätten fordern, die Pläne zu stoppen.
Inhalt
Warum braucht es überhaupt ein neues Rahmenkonzept?
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gedenkorte in Westdeutschland in der Regel zivilgesellschaftlich organisiert. Die Kommunen unterstützten sie finanziell nur selten, allenfalls von den Ländern gab es ab und an Geld. Dies führte zu finanziellen Problemen bei vielen Gedenkstätten.
1993 beschloss der Bundestag, sich an der Finanzierung von Gedenkstätten in den alten und neuen Bundesländern zu beteiligen. Dazu verabschiedete das Parlament eine Gesamtkonzeption, die 1999 und zuletzt 2008 überarbeitet wurde. Sie gibt vor, an welchen Maßstäben sich die Förderung des Bundes orientieren soll.
Um den Veränderungen seitdem Rechnung zu tragen, will die Bundesregierung diese Richtlinien erneut überarbeiten. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes werden wir aktualisieren und die Gedenkstättenarbeit auskömmlich finanzieren.“
Was steht in dem Entwurf von Claudia Roth?
Im Mittelpunkt der erinnerungspolitischen Arbeit standen bislang die Zeit des Nationalsozialismus und die Schoah. Daneben galt es, an die Geschichte der DDR zu erinnern. Daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.
Wie aus dem Entwurf für ein „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ hervorgeht, plant Kulturstaatsministerin Claudia Roth jedoch, drei weitere Felder in den Blick zu nehmen: den Kolonialismus, die Geschichte der Einwanderungsgesellschaft und die wechselhafte Geschichte der Demokratie.
Fokus auf der Kolonialgeschichte
Geplant ist unter anderem ein Lern- und Erinnerungsort, der „über die deutsche und europäische Kolonialherrschaft insbesondere in Afrika“ und deren Folgen aufklären soll. In den letzten Jahren ist die deutsche Kolonialgeschichte, zu der auch der Völkermord an den Herero und Nama auf dem Gebiet des heutigen Namibia gehört, verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
Mit der Erinnerung an die Migrationsgeschichte in Deutschland will das Kulturstaatsministerium insbesondere die deutsche Nachkriegsgeschichte in den Blick nehmen. Zu ihr gehört nicht nur die Geschichte der Gastarbeiter und Asylsuchenden, sondern auch die Geschichte rechter Gewalt. Sie hat seit 1945 mindestens 113 Menschen das Leben gekostet. Unabhängige Recherchen gehen sogar von einer deutlich größeren Zahl von Opfern aus. Der Entwurf sieht einen Erinnerungsort für die Opfer des NSU, ein Dokumentationszentrum und ein virtuelles Archiv zu rechter Gewalt vor.
Rechte Wahlerfolge: Demokratie unter Druck
Schließlich reagiert Roth auch auf die Diskussionen um Gefahren für die Demokratie, die in den letzten Jahren angesichts der Wahlerfolge rechter Parteien zugenommen haben. Um „den Wert einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vermitteln“, sollen Einrichtungen gefördert werden, die sich mit der wechselvollen deutschen Demokratiegeschichte auseinandersetzen.
Warum kritisieren die Gedenkstätten das Vorhaben?
Das Konzeptpapier stößt bei Gedenkstätten auf Widerstand. Alle Dachverbände für die Gedenkstätten zur Erinnerung an das NS-Unrecht und die SED-Diktatur haben einen Brief an Kulturstaatsministerin Roth unterzeichnet, in dem die Pläne scharf kritisiert werden.
Besonders schwer wiegt der Vorwurf, der Entwurf könne „geschichts-revisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden“, wie es in dem Schreiben heißt. Die Sorge ist, dass die Verbrechen einzelner Täter auf eine Stufe mit dem staatlichen und rechtlich verankerten Vernichtungssystem des Nationalsozialismus gestellt werden.
Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, erklärte im Deutschlandfunk, es gehe den Gedenkstätten nicht darum, die Schwere rechtsterroristischer Anschläge zu verharmlosen. Aber: Das ist etwas ganz Anderes, als wenn ein Staat per Gesetz dazu aufruft, Verbrechen auszuüben, wie es im NS- oder im SED-Staat geschehen ist oder wie es auch im Zusammenhang mit dem Kolonialismus passierte.“
Roth weist Vorwürfe zurück
Den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus hält der Historiker Norbert Frei dennoch für unangebracht: „Diese Begriffe sollten wir dann doch für andere reservieren, vor allem für die AfD.“ Roth wies den Vorwurf ebenfalls zurück.
Daneben fürchten die Gedenkorte, künftig weniger Geld zu bekommen. So warnt Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte des KZ Buchenwald, im Deutschlandfunk Kultur davor, dass das neue Konzept die finanziellen Mittel für bestehende Gedenkstätten verringern könnte. Wenn es insgesamt nicht mehr Mittel, aber zusätzliche Gedenkstätten gebe, könne das dazu führen, „dass die existierenden Orte ihre Arbeit in dieser Form möglicherweise nicht mehr durchführen können“.
Wie geht es mit dem Entwurf nun weiter?
Die Gedenkstätten kommen in ihrem Brief zu einem harschen Urteil: Angesichts „gravierender Mängel“ appellieren sie an Kulturstaatsministerin Roth, den Entwurf nicht weiter zu verfolgen.
Die Frankfurter Rundschau berichtete, dass Claudia Roth die Gedenkstätten im Mai zu einem Runden Tisch eingeladen hat. Sie wolle die Diskussion über den Entwurf im Sommer vertiefen, um im Herbst dann eine aktualisierte Gedenkstättenkonzeption vorzulegen, schreibt das Blatt.
Noch Anfang März hatte Roth auf eine Kleine Anfrage in Bundestag geantwortet, die Rahmenkonzeption werde „in der zweiten Aprilhälfte auf drei großen gesellschaftspolitischen Dialogforen in Berlin, Bonn und Dresden“ diskutiert.
Welche Kritik gibt es am Begriff Erinnerungskultur?
Der Begriff der Erinnerungskultur stammt ursprünglich aus der Kulturwissenschaft und ist seit jeher umstritten. Er steht immer wieder im Zentrum politischer Debatten, wie etwa beim Historikerstreit. Grundsätzlich beschreibt er die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit im Hinblick auf ihre Gegenwart und Zukunft umgeht. Dabei geht es weniger um wissenschaftliche als um öffentliche Erinnerungsarbeit.
Auch derzeit wird der Begriff wieder diskutiert. So sprach der Historiker Norbert Frei im Deutschlandfunk von einer „oft ziemlich gedankenlosen Rede von der Erinnerungskultur“. Die Begriffe Geschichtswissen und Geschichtsbewusstsein seien besser geeignet, um die Arbeit der Gedenkstätten zu beschreiben.
Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, stimmte ihm im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur zu: „Was wir wollen, ist nicht Erinnerung, sondern eine quellengestützte, wissenschaftlich basierte, auf Reflexion ausgerichtete Auseinandersetzung mit der Geschichte. Und das ist etwas anderes als Erinnerung.“
nbs