Frankfurt
Ein Abend von Rainald Grebe und vielen Frankfurtern
Regie: Rainald Grebe
Schauspiel Frankfurt
Ein Abend voller Pointen über Frankfurt
Heimat Ost und West. "Frankfurt" heißt das Doppelporträt zweier gleichnamiger Städte, das der Musikkabarettist Rainald Grebe inszeniert hat. Der eindringliche Theaterabend lebt vom Kontrast, von der Übertreibung, von unlauteren Vergleichen.
Der Musikkabarettist Rainald Grebe macht am Schauspiel Frankfurt Theater und steht dabei nicht auf der Bühne. Der Mann, der selbst sein bester Hauptdarsteller ist, geht das Wagnis ein, seinen so akkurat auf sein Denken und seine Musikalität zugeschnittenen Humor anderen zu überlassen: Schauspielern und Laien. In seinem Stück "Frankfurt" entwickelt er auf groteske und überraschend einfühlsame Weise ein Doppelporträt der beiden Frankfurts: Frankfurt/Oder und Frankfurt/Main. Der Abend beginnt in Schenkelklopfer-Manier wie eine Grebe-Musikkabarett-Show und endet als berührendes Theaterstück.
Rainald Grebe ist der Experte für die Hohlheit von Klischees. Er klatscht sie an die Wand, die Klischees, und hinterlässt Trümmer, die uns die Scham in den Körper jagen, dass wir ihnen nie, ja wirklich nie wieder erliegen wollen. Immer begleitet von einem Lacher natürlich - der macht die Demontage ja erst erträglich. In seinem Theaterstück "Frankfurt" geht es um Frankfurt-Klischees. In Sachen Frankfurt/Main ist die Rede von Grüner Soße, Bankentürmen, Äppelwoi, in Sachen Frankfurt/Oder mokiert man sich über den Boxer Axel Schulz. Grebes Stück über Frankfurt beschäftigt sich mit der "boomenden" Stadt Frankfurt/Main und der "untergehenden" Stadt Frankfurt/Oder, deren Einwohnerzahl tatsächlich in den letzten 25 Jahren von 87.000 Bewohnern auf 57.000 geschrumpft ist, sodass zu befürchten ist, dass es Frankfurt/Oder in 100 Jahren gar nicht mehr gibt. Diese düstere Aussicht hat Rainald Grebe angetrieben, dieses Doppelporträt zu zeichnen.
Schenkelklopfer, Kalauer und Slapstick
Der Abend beginnt mit diversen Schenkelklopfern: Der Schauspieler Christoph Pütthoff macht eine Frankfurter Stadtführung nach – im typischen Stadtführer-Singsang auf Amerikanisch, auf Spanisch und auf Japanisch. Nahezu simultan fällt er von einer Sprache in die andere und damit auch von einem Klischee ins nächste. Der übertrieben dickfällige Amerikaner, der laszive Spanier mit anstößigem Hüftschwung und der überehrgeizige Japaner, der alle Details aufzählen will. Alles ist so gespielt kosmopolitan, so überkandidelt und dabei doch so banal. Diese Nummer wird auf die Spitze getrieben, als Pütthoff und die Schauspielerin Franziska Junge als Reporterteam eine Führung über den brachliegenden Flugplatz von Frankfurt/Oder machen und ihn mit Werbefloskeln des hessischen Fraport betexten. Der Abend lebt vom Kontrast, von der Übertreibung, von unlauteren Vergleichen, kleinen Grenzüberschreitungen, Verwechslungen und falschen Bildern. Das funktioniert prima, denn...
Witze, Witze, Witze
Es mangelt nicht an Witzen und zwar auf allen Ebenen: Kalauer, Slapstick, Imitation, Parodie. Rainald Grebe lässt die drei Schauspieler Christoph Pütthoff, Franziska Junge und Martin Rentzsch singen, Klavier und Gitarre spielen, tanzen, vorlesen, rumtoben, über Stühle laufen, eine Suppe kochen, mit dem Publikum schwätzen, ja, sogar ein Quiz veranstalten, bei dem man ein Wochenende in Frankfurt/Oder und ein Candle-Light-Diner mit Axel Schulz gewinnen kann. Echt. Live. Auf der Theaterbühne.
Es treibt voran. Als wäre der Stoff immanent komisch, als könnten Frankfurt und Frankfurt nicht anders, als komisch zu sein. Der Abend nimmt von Anfang an eine Humorrasanz auf, dass einem angst und bange wird, weil man nicht weiß, wie Grebe dieses hohe Witzniveau und das Pointen-Presto über gut zwei Stunden halten will.
Aber er schafft es. Denn Grebe macht Theater und keine Show, in der er nur Pointensalven ablässt. Grebe macht gutes altes Theater - old school – mit sehr guten Schauspielern und Menschen, hier Laiendarstellern. Handwerklich ist es ist ein besonderes Theater: mit Liedern, mit Klaviermusik und viel Gesang, Punkrock, mit Klamauk über Komponisten und Dichter wie C.P.E. Bach oder Goethe oder Heinrich von Kleist, mit Fotos, mit Videos, mit absurden Storchentänzen und mit ganz ruhigen Geschichten.
Eiserner Vorhang am Bühnenrand
Alles das spielt auf kleinem Raum vor dem Eisernen Vorhang am Bühnenrand auf einer Reihe alter roter Theaterstühle. Dort sitzen auch die sieben Laiendarsteller, die im Laufe des Abends auf die Bühne kommen: Frankfurter aus beiden Frankfurts, die ihre Frankfurt-Geschichten erzählen. An diesem Punkt geht der Abend unter die Haut und später auch zu Herzen. So sehr sich Pütthoff und Co. vorher um Komik bemüht haben, gegen diese echten Geschichten können sie nichts ausrichten.
Zwei ältere Damen, vielleicht um die 70, sie könnten eineiige Zwillinge sein - blond onduliert, mit schwarzem Bolero-Strickjäckchen, elegant - sie erzählen, wie sie sich als Kinder in Frankfurt/Oder kennengelernt haben, wie sie gemeinsam nach Frankfurt/Main gezogen sind als Studentinnen, wie sie hier Adorno, Schmid und Horkheimer gehört haben und nun immer noch Freundinnen sind. Eine junge Frau aus Frankfurt/Oder, kaum 30 Jahre alt, erzählt, wie sie mit 14 Jahren nach Hannover kam, wie sie den Umzug "in den Westen" erlebt und wie er sich bis heute für sie anfühlt. Eine Frau in der Mitte ihres Lebens berichtet von der Abwicklung der Halbleiter-Werke in Frankfurt/Oder durch einen Manager aus Frankfurt/Main. 2009 war das, da wurde auch sie nach 25 Jahren entlassen. Ein Mann aus Frankfurt/Main, der neben ihr sitzt, entpuppt sich im Laufe des Abends als ihr Ehemann. Und man hat den Eindruck: Hier versöhnen sich zwei Menschen und zwei Städte. Die Geschichten mögen alltäglich erscheinen, aber sie sind besonders. Die ruhige Art des Erzählens machen diese Szenen so eindringlich. Sie wirken nie sentimental, weil durch die stete Komiklieferung der Schauspieler das Kitschgefahrenpotential erheblich dezimiert wird.
Am Ende entsteht so nicht nur ein Abend über Frankfurt, sondern ein eindringlicher Abend über Heimat, über Freundschaft und Liebe und ein Abend über Deutschland - Ost und West. Und man konnte sogar lachen.