Rainer Hermann: Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018
378 Seiten, 16,95 Euro
Warten auf den großen Knall
Eine Kette aus Fehlentwicklungen und falscher Politik: Der Nahe Osten ist in einer Situation, in der der große Knall noch kommen wird, meint der Autor Rainer Hermann. Für Ägypten rechnet er mit einer möglichen weiteren Revolution - die blutiger sein werde als im Jahr 2011.
In ihrer größten Krise seit dem Mongolensturm sieht der Islamwissenschaftler Rainer Hermann die arabische Welt.
"Wir haben so viel Zerfall in der arabischen Welt wie nie seit dem 13. Jahrhundert", sagte er im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur auf der Leipziger Buchmesse. Als eines der großen Probleme der Region nennt der Autor des Buches "Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten", dass sich die dortigen Eliten von der Mehrheit der Bevölkerung abgekoppelt hätten.
"Die Staaten sind zu einem Selbstbedienungsladen für Eliten geworden, ob in Ägypten, ob im Irak, ob in Syrien", so Hermann. Vor diesem Hintergrund sieht er auch die Massenproteste in der arabischen Welt: "Was wir 2011 erlebt haben, war nicht ein arabischer Frühling, war nicht ein Ruf nach Demokratie, sondern war ein Abschütteln dieses Jochs von Diktaturen, die Menschen haben gesagt: Kiffaya, so wie in Ägypten, jetzt reicht es", meint der langjährige FAZ-Auslandskorrespondent. "Es war ein Ruf nach Würde, gebt uns Arbeit, lasst uns teilhaben an diesem Staat, diese Staaten sind nicht nur da für irgendwelche Eliten, die sich über Militärputsche nach oben gerobbt haben."
Keine positive Vision für die Zeit danach
Herrmann hat die Proteste auf dem Tahrirplatz 2011 in Kairo selbst erlebt: "Da waren die Menschen voller Euphorie: Wir stürzen einen Diktator!", berichtet er. "Als ich dann mit den vielen Aktivisten gesprochen habe: Was macht ihr, wenn Mubarak zurückgetreten ist, wenn er gestürzt wurde? Dann sagten sie: Dann ziehen wir uns zurück, das ist nicht mehr unsere Aufgabe. Wir machen Revolution, Politik sollen nachher andere machen."
Das, so Hermann, sei natürlich eine Einladung an das Militär gewesen, zurückzukommen. Heute sei die Repression in Ägypten so schlimm wie seit der Nasser-Ära in den 1950er-Jahren nicht mehr.
Vor diesem Hintergrund rechnet Hermann mit einer weiteren Revolution: "Das wird geschehen. Denn die Bedingungen, die 2011 zu diesem Umsturz geführt haben, sind nicht verbessert worden, im Gegenteil: Sie werden von Jahr zu Jahr schlechter."
Der Dschihad könnte nach Ägypten zurückkehren
So werde die "Bugwelle" von arbeitslosen Jugendlichen in Ägypten immer großer, denn jedes Jahr drängten 800.000 junge Ägypter neu auf den Arbeitsmarkt - meist erfolglos. "Die Terrorideologie des Dschihad kam aus Ägypten und verbreitete sich von den 60er- und 70er-Jahren von Ägypten in der ganzen islamischen Welt, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass dann, wenn die Lebensverhältnisse in Ägypten wieder eine neue Revolution bringen, wenn der Kessel den Druck nicht mehr hält, dass dann dieser Dschihad nach Ägypten zurückkehrt und diese Revolution blutiger sein wird als 2011 und unter dem Zeichen des Dschihad geschehen könnte."
(uko)