Rainer Werner Fassbinder

Der eiskalte Rebell des deutschen Kinos

Der Regisseur, Produzent, Autor und Schauspieler Rainer Werner Fassbinder am 16.02.1978 in Coburg bei den Dreharbeiten zu dem Film "Die Ehe der Maria Braun".
Der Regisseur, Produzent, Autor und Schauspieler Rainer Werner Fassbinder am 16.02.1978 in Coburg bei den Dreharbeiten zu dem Film "Die Ehe der Maria Braun". © picture alliance / dpa / Istvan Bajzat
Von Markus Metz und Georg Seeßlen |
Vor 40 Jahren ist Rainer Werner Fassbinder gestorben. Er zählte zu den wichtigsten Erneuerern des westdeutschen Nachkriegskinos. Seine Energie brachte eine ganz eigene Filmsprache hervor.
Viele Filmemacher in der ganzen Welt beziehen sich auf dieses Weltbild, das die intimsten Gefühle und die historischen Geschehnisse zusammenbringen kann. Gerne wäre er, bei allen seinen Talenten, noch zur Musik gekommen. Das und vieles andere wahrscheinlich verhinderte sein früher Tod. Rainer Werner Fassbinder hatte nicht allzu viel Zeit, zum Mythos zu werden.
1982 starb er mit 37 Jahren. Mit vielen Originalzitaten, nicht nur aus Filmen, sondern auch aus Theaterstücken und Hörspielen, tritt diese Sendung gleichsam in einen Dialog mit dem wichtigsten Filmemacher im Deutschland der Nachkriegsgesellschaft - weniger nostalgisch als vielmehr zur Frage, was seine Arbeiten heute zu sagen haben. Im Folgenden ein Kurz-Essay der beiden Autoren dieser Sendung, Markus Metz und Georg Seeßlen.

Rainer Werner Fassbinder war der große Einzelne im Neuen Deutschen Film. Auf den ersten Blick scheint es ein wenig paradox, dass ein Künstler, der so sehr bestrebt war, eine "Familie" um sich zu versammeln, der sich so offen und öffentlich nach Zuneigung und Anerkennung sehnte und der in seiner Arbeitswut eine ganz eigene Bilder- und Sprachwelt schuf, im Grunde immer ein Solitär blieb.
Irm Hermann, Brigitte Mira, Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven und Laurens Straub posieren für ein Gruppenfoto.
Rainer Werner Fassbinder im Kreis seiner Darsteller zur Preisvergabe für den Film "Angst essen Seele auf" 1974 in Cannes.© Getty Images / United Archives / FilmPublicityArchive
Künstlerische Nachfolger hat Fassbinder erst in Film- und Theatermachern gefunden, die mindestens eine Generation oder einen Kontinent von ihm entfernt waren. Auch deshalb wurde Fassbinders Tod 1982 nicht nur wie der Schlusspunkt eines Werks empfunden, das neben rund vierzig Kinofilmen zahlreiche Bühnenstücke, Fernsehproduktionen und sogar Chanson-Texte (für Ingrid Caven) umfasste, sondern auch wie ein Schlusspunkt eines aufregenden Kapitels deutscher Film-, Literatur- und Mediengeschichte.

Filmemacher berufen sich bis heute auf ihn

Trotzdem zeigt sich immer wieder die Aktualität seiner Arbeit. Filmemacher in Frankreich (wie François Ozon) oder Kanada (wie Xavier Dolan) haben keine Probleme, sich auf Rainer Werner Fassbinder zu berufen. Auf deutschen Bühnen werden Fassbinder-Stoffe so häufig wie nie zuvor gespielt.

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Ausstellungen und Retrospektiven belegen, wie viel Inspirationskraft da noch zu holen ist. Ganz zu schweigen von der großen Arbeit der Biografen, Kuratoren, Filmwissenschaftler und Kritiker, die als kollektive Erzähler an einem Fassbinder-Bild für heute arbeiten. Dieses Werk ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Kein Unterschied zwischen Leben und Kunst

Die enorme Produktivität Fassbinders hängt mit seiner kolossalen Begabung zusammen, einen Film schon so gut wie fertig zu schreiben: Fast alles war schon in seinem Kopf, bevor die Dreharbeiten begannen - Kamerabewegungen, Lichtführung, Ausstattung.

Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 30. Mai 2015.

Aber natürlich auch damit, dass alle seine Filme extrem persönliche Bekenntnisse sind - die eigenen Stoffe wie die Filme, die sich eine literarische Vorlage anverwandeln. Für Fassbinder gab es keinen Unterschied zwischen Leben und Kunst.

Was Menschen kaputtmacht

Seine Filme sind das fortlaufende visuelle Tagebuch eines Menschen, der in sich unversöhnt das liebesbedürftige Kind, den psychischen "Satansbraten" und den von etwas kaputt gemachten Menschen sucht, was Fassbinder selber "das System" nannte: die Gesellschaft, die Geschichte, die Familie, die Macht, das Geld - von allem etwas vielleicht.
Rainer Werner Fassbinder steht rauchend vor einer Kamera-Dolly.
Rainer Werner Fassbinder 1980 am Set zu "Berlin Alexanderplatz".© imago images / Prod.DB / Collection Christophel Bavaria Film / WDR / Etienne George
"Wie kaputt kann einen das System machen", fragte er verzweifelt in einem Interview zu den Dreharbeiten von "Berlin Alexanderplatz". Wer ist dieser kaputtgemachte Mensch? Was ist dieses kaputtmachende System? Wie geht das Kaputtmachen von Menschen?
Das sind die Fragen, die seine Filme stellen.

Ein Kino ohne Happy End

So kann man seine Filme wohl entlang dreier sehr verschiedener Leitlinien durchstreifen: als eine lange magische Autobiografie; als Chronologie des deutschen Kleinbürgertums vom Faschismus bis in die ersten Krisen der Nach-Wirtschaftswunderzeit. Und als Suche nach den Ursachen einer Krankheit, nach diesem "System" einer Krankheit der Beziehungen und der Seelen, die ihn als Person fest im Griff hatte, die ihn, gewiss, zu Zeiten unausstehlich und bösartig machte und die in seinen Filmen noch jede Beziehung scheitern lässt.
In Fassbinders Welt gab und gibt es kein Happy End. Deswegen werden seine Filme mit der Zeit nicht versöhnlicher, wie es vielen Filmemachern ging, sondern sie werden im Gegenteil immer rebellischer.

Weiterführende Literatur

Robert Fischer (Hg): "Fassbinder über Fassbinder. Die ungekürzten Interviews"
Verlag der Autoren, 2004

Jürgen Trimborn : "Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben. Rainer Werner Fassbinder"
Propyläen, 2012

David Barnett: "Rainer Werner Fassbinder. Theater als Provokation"
Henschel Verlag, 2012

Harry Baer: "Schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Das atemlose Leben des Rainer Werner Fassbinder"
Kiepenheuer & Witsch, 1991

Harry Baer: "Das Mutterhaus - Erinnerungen an die 'Deutsche Eiche"
Männerschwarm, 2001

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